Ich hab den Beruf verfehlt…
Anglistik an der TU Dortmund hätt ich studieren sollen. Oder Pornoproduzent werden. Ach, ist eigentlich das gleiche.
Bemerkenswertes Geschlechterverhältnis im Fach Pornographie:
Vier Männer und zwölf Frauen blicken gebannt nach vorne.
In Berlin ist ja gerade Berlinale, und da ist es ziemlich schwierig, Filme außerhalb der Arbeitszeit zu finden und noch Karten dafür zu bekommen (es ist verblüffend, wieviel Zeit die Berliner während gewöhnlicher Arbeitszeiten haben).
Im Rahmen meiner sozial- und genderkritischen Feldstudien habe ich mal wieder größte Last auf mich genommen und habe – rein wissenschaftlich, versteht sich – in einem normalen Kino (nein, kein Schmuddel-Etablissement, sondern das einzige historische deutsche Kino, indem noch vor dem Film Orgel gespielt wird und die einzige Orgel steht, die noch an ihrem Orginalplatz steht) eine Vorführung von „XConfessions” gesehen: Zehn Pornofilme hintereinander, alle von der Regisseurin Erika Lust (kein Witz, die heißt wirklich so), die so dafür gefeiert wird, dass sie endlich mal politisch korrekte Pornos für Frauen macht. Wollte mal wissen, was das ist. Erika Lust war sogar persönlich da und hat vorher ein paar Worte gesprochen.
Ich habe jetzt nicht nachgezählt. Aber geschätzt im Publikum 2/3 oder sogar mehr Frauen. Keine Ahnung, ob die auf Pornographie stehen oder sich im Rahmen des Feminismus einfach männliche Verhaltensweisen aneignen wollen. Jedenfalls sahen verblüffend viele davon danach aus als würden sie auch in Gender-Seminaren sitzen.
Und nee, war nicht geil.
War nicht irgendwie Swingerparty oder die große Anmache, Fummelei oder so. Die sassen alle total intellektualisert da und haben sich das angesehen wie ein Sozialdrama. Neben mir saß ein Pärchen, bei dem er versucht hat, seine Hand in schwüle Regenwaldgebiete schweifen zu lassen, was sie empört abgewehrt hat. Sonst war keinerlei Regung oder Bewegung wahrzunehmen.
Die meisten waren auch stinklangweilig. Hin und wieder auf und nieder immer wieder. Das ganze bisweilen verpackt in irgendwelche mehr oder weniger witzig oder gewollt-witzigen Stories. Ich hätte mir die nicht mal merken können, wenn man nicht noch einen Zettel mit den Stories bekommen hätte.
Journalist wohnt alleine, muss arbeiten, stört sich am Gestöhne aus der Nachbarwohnung. Klopft, rächt sich mit Hundegebell aus dem Rechner usw. Nachbarin kommt zu ihm rüber, meint, er wäre ja nur neidisch, ob er nicht auch mal wolle. Sie treiben es und der nächste aus der nächsten Wohnung klopft, weil es stört. Hmm, ja, geht so.
Endzeitdystopie. Ferne Zukunft. Gibt kein Wasser mehr. Verdurstende Frau torkelt durch die Gegend, kurz bevor sie abnippelt. Plötzlich findet sie, einfach so irgendwo in der Natur: Einen nackten Mann, der in einem Wasserbecken steht und sich lasziv wäscht. Sie will Wasser, er will es nicht gratis hergeben. Also muss sie es sich abarbeiten. Oh je, oh je.
Frau trifft Mann am Nacktbadestrand, keine Story, sie rammeln einfach los.
Frau verleiht ihren Typen an ihre Freundinnen.
Zwei Tussies, die zusammen wohnen, suchen sich einen gemeinsamen Stecher. Einer bewirbt sich, sie probieren ihn aus.
Schwarzer Typ wird von weißer Domina bearbeitet.
Flugschüler treibt’s mit seiner Fluglehrerin am Flugzeug.
Studentin findet im Bett ihrer abwesenden Mitbewohnerin den Vibrator und probiert den mal aus.
Gutaussehender Typ geht in Stripschuppen und schaut gutaussehender Stripperin zu, er jodelt sich einen. Passiert aber nichts zwischen beiden, halten Abstand. Pseudogag für Feministinnen: Danach bezahlt sie ihn.
Herrjemine, Herrjemine, da hatte ich mir aber besseres vorgestellt.
Ich weiß jetzt nicht, was da die Besonderheit an frauengeeigneten Pornos sein soll. Irgendeine an den Haaren herbeigezogene Alibi-Story? (Gab’s auch schon. Da fand ich mitunter „Warum liegt denn hier soviel Stroh rum?” noch besser.)
Man könnte ja meinen, sie hat irgendwie schrägen Humor, aber sie denkt sich das nicht mal selbst aus. Sie lebt davon (und verdient anscheinend dick damit), dass ihr irgendwelche Leute ihre erotischen Phantasien oder Erlebnisse zumailen, und sie verfilmt das mit ihrer Truppe da dann. Und das weibliche Publikum scheint drauf zu stehen (sofern man von regungslosem Sitzen im Kino davon sprechen kann).
Vielleicht auch eher so eine Art Porno-Gucken aus politisch korrektem Pflichtbewusstsein. Wer weiß.
Naja, und in Dortmund schreiben sie jetzt eben Pornos im Seminar.
Erotische Texte zu analysieren, das gehört für die meisten Literaturstudenten schon lange dazu. Aber selbst Pornos zu schreiben, das ist neu. Der Andrang für Lenz’ Seminar war enorm. Obwohl der wissenschaftliche Mitarbeiter es in diesem Semester zweimal anbietet, gab es eine lange Warteliste. Nur das Seminar über Disneyfilme hatte genausoviele Anmeldungen.
Beachtlicherweise ist es ja eigentlich feministisches Ziel, Pornographie komplett zu verbieten, weil sie Ursache allen modernen Übels sei.
“Geschockt haben uns Texte aus dem viktorianischen Zeitalter”, sagt eine Teilnehmerin. “Gerade in dieser prüden Zeit wurden hinter verschlossenen Türen Texte verfasst, die uns heute verstören”, sagt Lenz und meint etwa den Roman “The Lustful Turk”, in dem Vergewaltigungen detailliert dargestellt werden.
Aber: “Pornos können auch positiv und subversiv wirken”, erklärt Lenz, “indem sie etwa homosexuelle oder ältere Paare beim Sex zeigen.” Kritisch sieht er, dass die meisten pornografischen Filme heute eine perfekte Welt vorgaukelten: “Frauen mit riesigen Brüsten haben in zig verschiedenen Stellungen Sex mit Männern mit riesigen Penissen.” Die Erwartungen, die junge Menschen an ihr Sexleben hätten, seien dadurch falsch.
Bei Erika Lust waren die Penisse auch groß, aber die Brüste mitunter hängend.
Und auch dem Wesen des feministischen Pornos kommt man auf die Spur:
Die letzte Präsentation steht an, eine leicht nervöse Studentin eilt zum Pult. Sie stellt einen selbstgezeichneten Comic vor, in dem zwei Männer miteinander schlafen, wobei der eine sich am Ende in einen Werwolf verwandelt. “Warum zeigen sie keine Geschlechtsorgane?”, fragt Lenz die Referentin, deren Comic schließlich ein Porno sein soll. “Ich habe den Schwerpunkt auf die Augen und die Gesichtsausdrücke gelegt”, sagt sie, “das war mir einfach wichtiger.”
Scheint in Mode zu kommen.
Frauen porträtieren sich längst massenweise selbst beim Orgasmus per Video und laden das auf www.beautifulagony.com hoch. Und der Künstler Clayton Cubitt machte mal Furore, indem er unter dem Titel Hysterical Literature Frauen abfilmte, die angezogen an einem Tisch saßen und aus einem selbstgewählten Buch beliebigen Inhaltes vorlesen sollten, solange sie können, während – unsichtbar aber nicht unhörbar – seine Mitarbeiterin mit dem Vibrator unter dem Tisch saß und dafür sorgte, dass die Leserinnen nicht lange lesen konnten.
Es heißt ja, dass Frauen Pornos nicht viel abgewinnen könnten, aber dafür viel schneller und effektiver als Männer Gesichter und Gesichtsausdrücke lesen könnten. Geht der Trend also zum Gesichtsporno? Aufgeilen nicht am Sex, sondern am Gesichtsausdruck der anderen?
Egal.
Jedenfalls weiß ich jetzt endlich, was die in Literaturwissenschaften eigentlich treiben.