EgyptAir MS804: Und schon ist die Terror-These weg
Hat sich was, von wegen hochwahrscheinlich.
Da hatte ich doch gerade darüber geschimpft, dass man über den Flugzeugabsturz noch fast gar nichts weiß, aber alle schon daherblubbern, dass ein Terroranschlag „hoch wahrscheinlich” sei.
(Mal ne Zwischenfrage: Ist das von der Presse eigentlich nicht irgendwie rassistisch, islamophob oder irgendsowas, sofort die Islamisten verantwortlich zu machen, wenn ein Flieger vom Himmel fällt?)
Und habe ne Menge kritischer Zuschriften bekommen.
Ob mir denn nicht der Wahrscheinlichkeitsbegriff von Bayes und so weiter, blablabla, bekannt wäre, der sich auch auf singuläre Fälle anwenden ließe.
Liebe Leute!
Ihr könntet Euch damit gleich bei den Geisteswissenschaftlern bewerben.
Nur weil irgendwo irgendeine Autorität mal irgendwas gesagt hat und man einen Begriff zitieren kann, heißt das noch lange nicht, dass das dann auch so ist. Wir sind hier im Bereich der Realität, der Empirie.
Denkt mal darüber nach, was das überhaupt für eine Aussage sein soll, dass in diesem Fall ein Terroranschlag mit einer Wahrscheinlichkeit von x% vorgelegen haben soll.
Was soll das für eine Aussage sein? War’s ein Terroranschlag oder nicht? Haben Terroristen da vielleicht zu x% mitgewirkt, so wie die Milch 3% Fett enthält?
Dieser Flugzeugabsturz wurde zu 73% von Terroristen verursacht!
So’n Quatsch.
Freilich gibt es zwar Wahrscheinlichkeitsaussagen über einzelne Vorgänge. Wenn man pokert, kann man auch anhand der gesehenen Karten Wahrscheinlichkeitsüberlegungen anstellen, was der andere auf der Hand haben könnte.
Das sind aber immer Aussagen, die sich auf eine Strategie zu einer hypothetischen ständigen Wiederholung beziehn, also in den Bereich der Entscheidungstheorie gehören. Wenn das und das vorliegt, dann ist es die richtige Strategie, sich so und so zu verhalten.
Sowas gehört beispielsweise in die Checkliste der Piloten oder die Reaktionspläne der Luftaufsicht.
Wenn die und die Merkmale vorliegen, dann ist es so und so wahrscheinlich, dass jene Ursache vorliegt, also wählen wir folgende Verhaltensweise. Weil wir zwar nicht wissen, ob es jetzt so ist, aber über die Wahrscheinlichkeit sagen können, dass eine gewisse Strategie im Wiederholungsfall die im Mittel beste Strategie ist.
Es wäre also völlig korrekt, wenn sich in Falle des Falles Piloten, Behörden usw. so verhalten, als hätten sie einen Terrorfall, solange es um Entscheidungen und zeitkritisches Notfallverhalten geht, das auf Basis der bekannten Fakten erfolgen muss.
Eine solche Anforderung besteht aber nicht für Presse.
Es gibt für die Presse keinen (objektiven) Zeitdruck, innerhalb einer Frist x eine Absturzursache zu verkünden oder anzunehmen, und deshalb einer Strategie zu folgen, die „wahrscheinlichste” Ursache zu unterstellen und damit bei vielen Wiederholungen den im Mittel größten Erfolg zu erzielen. Die Presse muss nicht entscheiden, und sie soll in ihrer Berichterstattung eigentlich gar keine Zufallsgröße haben, keine Entscheidungen treffen, keine Strategien verfolgen.
Das heißt, dass die Presse bzw. deren Inhalt gar keine aleatorische Größe sein und damit eigentlich gar nicht nach Wahrscheinlichkeiten schreiben darf. Sie soll schreiben, was bekannt und Stand der Ermittlungen ist, und sonst eigentlich gar nichts.
Deshalb geht mir das auch so auf den Senkel, wenn mir Leute schreiben, ob ich nicht den Wahrscheinlichkeitsbegriff von X oder Y kenne, der anwendbar ist. So ein Blödsinn.
Die Presse soll nicht raten, was passiert sein könnte, sondern sachlich berichten. Deshalb haben Wahrscheinlichkeiten darin überhaupt nichts zu suchen. Und wer nicht verstanden hat, wann Wahrscheinlichkeitstheorie überhaupt zur Anwendung kommt und was sie bedeutet, der kann sich Bayes an den Hut stecken. Der hat nämlich gar nichts verstanden.
Da sieht man aber wieder mal, wie Pseudo-Wissen zu wissenschaftsklingender Rhetorik verkommt.
Und das Ergebnis sehen wir jetzt schon hier, oder um die Primärquelle präzise zu nennen, hier. Es haben nämlich einige Systeme des Flugzeugs, die eigentlich Störungen vorab per Satellit melden, um Reparaturen schnell und zeitsparend anleiern zu können, Minuten vor dem Absturz einige Störungen gemeldet:
00:26Z 3044 ANTI ICE R WINDOW 00:26Z 561200 R SLIDING WINDOW SENSOR 00:26Z 2600 SMOKE LAVATORY SMOKE 00:27Z 2600 AVIONICS SMOKE 00:28Z 561100 R FIXED WINDOW SENSOR 00:29Z 2200 AUTO FLT FCU 2 FAULT 00:29Z 2700 F/CTL SEC 3 FAULT no further ACARS messages were received.
Das heißt, dass innerhalb von 3 Minuten ein Brand eskaliert ist. Angefangen hat es mit der Scheibenheizung des rechten Cockpit-Fensters, und dann dem Sensor für das Schiebefenster. Dann gab es Rauch in einer Toilette. Könnte sich natürlich um die Toilette am Cockpit handeln. Denach gab es auch im avionics compartment unter dem Cockpit. Dann meldete sich der nächste Fenstersensor, diesmal der feststehenden Scheibe. Wieder eine Minute später ist ein Flugrechner ausgefallen (FCU = Flight Control Unit), das Ding, mit dem der Pilot den Bordrechner programmiert. Und kurz darauf ein Rechner, der für die Flugzeugsteuerung zuständig ist.
Die hatten Feuer im Cockpit.
Und wenn denen schon die Rechner ausgefallen sind, und diese Alarmmeldungen zweifelsohne auch im Cockpit gemeldet wurden, und da mit Sicherheit die Alarmmeldungen losgetickert sind, werden die schon Stress gehabt haben. Wenn aber im Rechnerraum unter dem Cockpit und der angrenzenden Toilette schon Rauch war, dann haben die mit Sicherheit auch im Cockpit Rauch und „Feuer unter dem Arsch” gehabt. Deshalb haben die vermutlich auch nicht mehr gefunkt. Weil sie erstens wichtigeres zu tun hatten, zweitens vermutlich – um nicht zu sagen wahrscheinlich (denn hier geht es um Folgen bekannter Fakten und nicht umgekehrt) – nicht mehr Herr der Situation im Cockpit waren, wenn die so schnell hocheskaliert ist, außerdem für solche Fälle selbst dann, wenn die Lage noch unter Kontrolle war, nach Vorschrift vorgehen und erst einmal die Fehlermeldungen lesen, verstehen und die Notfall-Checklisten abarbeiten müssen, und bei solchen Vorfällen natürlich auch der Funk ausgefallen sein kann.
Dazu muss man außerdem wissen, dass es bei Verkehrsflugzeugen zur trainierte Pilotenroutine gehört (oder früher mal gehörte), bei Rauch im Cockpit notfallmäßig auf Höhe mit normalem Druck (ca. 3000 Meter) zu sturzfliegen und dann die Seitenscheibe aufzukurbeln, um da mal durchzulüften. Und dass sie einen Sturzflug gemacht haben, den sie aber zunächst wieder abgefangen haben, hatte man ja zu den Radarbeobachtungen schon gesagt.
Momentan sieht die Sache also gar nicht nach Terror aus.
Von wegen „hochwahrscheinlich”.
Selbst wenn man Wahrscheinlichkeitsbegriffe von Bayes oder wem auch immer unterstellt: Auch die bewegen sich im Bereich des Rechnens und Kombinierens bekannter Informationen und Größen.
Aber Unkenntnis zu Terrorismus zu verreichnen, hat mit Wahrscheinlichkeiten nichts zu tun.
Selbst wenn man unterstellt, dass Terroranschläge im Allgemeinen die häufigste Ursache für Flugzeugabstürze wären, heißt das nicht, dass man sie als wahrscheinlich annehmen kann, solange man nichts weiß. Denkfehler: Das lückenhafte post-mortem-Wissen des Betrachtenden beeinflusst ja nicht die Wahrscheinlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit eines Terroranschlages wird ja nicht dadurch erhöht, dass man noch nichts über den Absturz weiß, denn der Absturz ist ja schon passiert und kann in seiner Ursache nicht mehr durch nachträgliche Denk- und Wissensprozesse beeinflusst werden. Unwissenheit macht keine Wahrscheinlichkeiten.
Selbst wenn man also mit Wahrscheinlichkeiten hantieren will, hätte die seriöse Aussage lauten müssen, dass man noch nicht genug weiß, um Ursachen als wahrscheinlich herauszustellen.
Was man natürlich konnte war, typische Probleme bei Start und Landung auszuschließen und sich auf Ursachen während des Fluges zu konzentrieren.
Aber Wahrscheinlichkeitstheorie darf nicht zur Ausrede dazu verkommen, dass man einfach mal ins Blaue spekulativ irgendwas behauptet.