Fahrräder
Ich war gerade auf der Berliner Fahrradschau. So ne Fahrrad-Lifestyle-Messe.
Ich hätte vorgewarnt seine sollen. Stand nämlich auf der Veranstaltungswebseite, von der ich überhaupt erfahren habe, dass es die Messe gibt, kein Eintrittspreis drauf. Irgendwie hatte ich angenommen, das könnte billig oder kostenlos sein, wollen sie einem doch was verkaufen. Kostet 15 Euro Eintritt. War mir eigentlich zuviel, bin zwar nicht geizig und kann’s mir ohne nachzudenken leisten, aber das heißt nicht, dass ich kein Wertgefühl habe. Aber nun war ich schon da… und um es gleich zu sagen: Es lohnt sich nicht.
Ich bin da vielleicht etwas altmodisch. Wenn es um Fahrräder geht, erwarte ich so ein Ding mit zwei Rädern, auf das man sich draufsetzt und losradelt, fertig. Wie in der Beamtenkarriere: Oben klingeln, nach unten strampeln, um möglichst schnell voranzukommen.
Aber, ach.
Nun, so ganz normale Fahrräder, wie ich mir das vorgestellt habe, hatten sie auch, eher so am Rande. Findet man in jedem Fahrradgeschäft.
Nein, hier geht’s um Lifestyle. Man fährt nicht einfach Fahrrad, man drückt sein Lebensgefühl und seinen Charakter (oder für was man ihn hält) darin aus. Das muss alles irgendwie elaboriert, außergewöhnlich, stilistisch sein. Das Fahrrad wie ein modisches Kleidungsstück, nur überindividualisiert. Wie ein tiefergelegter Opel Manta mit Rennsitzen und Fuchsschwanz, nur für Veganer. Gar zu oft habe ich gefragt, warum man mit so etwas Seltsamem fahren sollte, Antwort: „Warum nicht?“ Konstruktive Vorteile versprechen sie nicht. Was, zugegebenermaßen, gut ist, ist die Material- und Verarbeitungsqualität. Was eigentlich überflüssig ist, denn die Diebstahlhalbwertszeit Berliner Fahrräder liegt weit unterhalb der Lebensdauer auch billiger Materialien. Im Gegenteil: Je teurer, desto klau.
Und weil ihnen da am Prinzip Fahrrad auch nichts grundlegend Neues einfällt, denken sie sich allerlei Schnickschnack aus, wie in den Rahmen fest eingelassene Beleuchtung. Bekommt man nie wieder repariert. Braucht man aber auch nicht, denn LED-Lampen halten weit länger als die Berliner Diebstahlhalbwertszeit. Was ich übrigens nicht gesehen habe, waren Neuerungen bei Fahrradschlössen. Fahrradschlösser waren überhaupt eigentlich kein Thema da, man will ja niemanden dazu bringen, über den Preis nachzudenken.
Zwei Fahrradtypen dominierten die Messe als das vom gewöhnlichen Abweichende.
Pedelecs. Das ganz große Ding. Weil wir noch nicht genug Krempel haben, bei dem man den Akku jede Nacht laden muss um am nächsten Tag nicht alt auszusehen. Bemerkenswerterweise für die Elektromotorisierung dazu, dass die „Fahrräder“ immer schwerer und wuchtiger werden. Einer wollte mir eines andrehen, das fast wie ein altes Motorrad und ziemlich schwer und nur schwer muskelkraftig zu fahren schien, so im alten US-Stil. Ich fragte, was das Ding eigentlich sein will, ein Fahrrad oder ein Mofa. Da wurde er sauer. Wie ich dazu käme, seine schönen Fahrräder (die keine Fahrräder sein wollten, sondern sie selbst, wie er betonte) mit Mopeds zu vergleichen, das wäre ja… Ich unterbrach ihn. Ich hatte Mofa gesagt, nicht Moped. Er räumte ein, dass er mich nicht versteht. Er wisse nicht, was ein Mofa ist. Na, toll. Eine Fahrrad-Fachmesse, auf der die Fachleute nicht wissen, was ein Mofa ist. Oder war. Werd ich schon so alt, dass die Selbstverständlichkeiten meiner Jugend den Leuten heute gar nicht mehr bekannt ist?
Anscheinend ja. 10 Minuten später stand ich an einem anderen Stand, ähnliche Situation, nur dass sich ein älteres Ehepaar (geschätzt Rentenanfang, aber sehr sportlich und gut drauf) schallend lachend über die Verkäufer dort amüsierte. Die Verkäufer und Firmeninhaber dort dachten, sie hätten irgendwas ganz tolles und modernes erfunden, wurden aber ausgelacht, weil es eben wie ein Mofa aussah. Auch das Ehepaar hatte zwingend an Mofas denken müssen, und auch hier wussten die Anbieter nicht, was ein Mofa ist. Aber fest davon überzeugt, etwas epochal neues erfunden zu haben. Tatsächlich ist vieles, was man dort sieht, nichts anderes als ein Mofa, nur mit Akku und Elektroantrieb statt mit Gemischtank und Zweitakter. Alles schon mal da gewesen.
Die andere Kategorie sind Lastenfahrräder. Jede Menge, in allen Varianten. Und scheiß-teuer. An einem Stand wollten sie schon für das einfachste Modell in der einfachsten Ausführung schon 2.700 Euro haben.
Ich habe den Typ mal gefragt, wieviele Kilometer man fahren müsse, bis sich die Anschaffung gegenüber der Miete für einen Mietwagen (mir gingen da so die car2go-Smarts durch den Kopf, denn mehr als in einen Smart passt in so ein Lastenfahrrad auch nicht rein) amortiesiert hat. Da habe ich ihn kalt erwischt. Er war völlig verblüfft, darüber hatten sie noch nie nachgedacht. Das sei ein „schöner Gedankengang“ sagten sie mir. Ich hätte es für gewöhnliche Betriebswirtschaft gehalten, aber gut, betriebswirtschaftlich schien mir da vieles nicht zu sein, das ist mehr so Lebensstil. Er sagte ja auch, dass es ihm mit seinem Lastenfahrrad ja nicht darum ginge, billiger als ein Auto zu sein (mal drüber nachdenken und sickern lassen: Ein Fahrrad, das nicht billiger sein will als ein Auto…), sondern er es so schön und gesund findet, sich mit dem Ding durch die Gegend zu strampeln, und die Gebühren und die Zeit für das Fitness-Studio würde man damit ja auch sparen, das müsse man schon berücksichtigen. Naja, wem’s Spaß macht…
Den Spruch mit der Gesundheit und dem Selberstrampeln habe ich an mehreren Ständen mit Lastenfahrrädern gehört.
Finde ich drollig: Sitzt man nur selbst auf dem Fahrrad, soll man Pedelecs kaufen, weil es einem nicht (mehr) zuzumuten wäre, selbst zu strampeln. Motorisiert fahren mit Öko-Gefühl. Ist man aber mit Lasten unterwegs, dann soll es plötzlich das non-plus-ultra sein, selbst zu strampeln. Würde ein vernünftiger Mensch es nicht genau andersherum machen?
Ich habe dann doch noch ein Lastenfahrrad mit Elektroantrieb entdeckt. Ein Schweizer bietet auch noch Fahrradvollverkleidungen aus Paraglider-Material als Regenschutz an. Fahrradfahren hat heute viel damit zu tun, sich ein individuelles Behelfsauto aus Einzelteilen zusammenzubauen.
Aber natürlich fühlen sie sich alles so gesund und öko und bio. Deshalb gibt es Fahrradgriffe, Lenkstangen, ganze Fahrräder aus Holz. Und dann rauchen sie alle wie die Schlote.
Außerdem sprechen sie alle englisch. Wie die Wahnsinnigen. Nicht nur, weil viele Anbieter aus Niederlanden, Dänemark, England kommen. Lifestyle. Ich habe welche mit angehört, die angestrengt englisch miteinander sprachen, beide mit Berliner Akzent. Als einer nicht weiter wusste, haben sie beide kurz in breitestem Eingeborenen-Berlinerisch miteinander gesprochen, bis das Verständigungsproblem gelöst war, um dann sofort wieder in Englisch weiterzumachen. Wenn’s Spaß macht, warum nicht.
Irgendwie hatte das alles mit Fahrradfahren eigentlich nichts zu tun, das war wirklich so eine Lifestyle-Messe.
Als ich rauskam, kam ich am Fahrradparkplatz der Besucher vorbei. Eine große Fläche voll gefüllt mit ganz normalen gammeligen, dreckigen, gewöhnlichen Stadtfahrrädern, wie man sie kennt. Nichts von der schönen bunten edlen Schicki-Micki-Gefährte-Welt. Irgendein Händler hatte solche Haftnotizzettel drucken lassen und an jedes Fahrrad eins gepappt: Man hätte ein schönes neues Fahrrad für sie entdeckt.
Irgendwie hatte das was davon, wenn man irgendwo auf so eine abgedrehte Modeschau geht, alles chic, aber untragbar, alles applaudiert, und draußen laufen sie in alten Jeans und Turnschuhen rum.