Ich war heute im Wolkenkuckucksheim
Die IT-Branche ist auch auf dem Zeitgeisttrip.
Ich war heute in Berlin beim AWS Summit von Amazon. Eine Veranstaltung zum Bewerben ihrer Cloud-Dienste.
Es war so proppenvoll, dass das Mittagessen doppelt nicht gereicht hat. Die Zeit hat nicht gereicht, das, was sie hatten, innerhalb des Zeitplans auszugeben (was auch daran lag, dass viele Leute es einfach nicht in überschaubarer Zeit auf die Reihe kriegen, sich den Teller an einem Buffet zu füllen und Platz zu machen, wenn sie denn mal fertig sind), als ich dann mal dran war, war fast alles schon komplett weggefressen, ich habe mit etwas Glück noch die letzte Kelle Chili con Carne für ein halbes Schlüsselchen zusammenkratzen können, alle hinter mir haben dann gar nichts mehr bekommen. Die Köche meinten, es wären viel mehr Leute da gewesen als erwartet.
Allerdings habe ich auch immer öfter den Eindruck, dass es sich längst zum Eigenzweck verselbständigt hat, „irgendwas mit Cloud“ zu machen. Die Vorträge waren nur teilweise interessant, viele Vorträge wurden eigentlich eher pro forma gehalten, damit sie gehalten sind. Und ich habe in der IT schon länger, aber immer öfter das Problem, dass ich bei irgendwelchen Firmen an deren Messeständen nicht in definierter Zeit herausfinden kann, was die eigentlich machen und anbieten. Die sind oft nicht in der Lage zu artikulieren und auf den Punkt zu bringen, was sie da machen. Meine Lieblingsfrage ist, ob man Software oder eine Dienstleistung anbietet. Daran scheitern schon manche.
Beispiel:
Sie: Dürfen wir uns Ihnen vorstellen?
Ich: Gern. Was machen Sie denn?
Sie: Mit uns können Sie ihre Daten in der Cloud speichern. (Freudestrahlt lächelnd.)
Ich: Äh … mmh … ja … also … nehmen Sie mir das nicht übel, aber das kann ich doch auch so schon. Das ist doch ganz leicht. Wo liegt denn da Ihre Leistung?
Sie: Mit uns können Sie aber alle ihre Daten in der Cloud speichern.
Ich: Aha … welche Daten kann ich denn ohne Sie nicht in der Cloud speichern?
Sie: Wie meinen Sie das?
Ich: Was habe ich davon, wenn ich Ihr Produkt einsetze? Wo ist der Mehrwert gegenüber dem Normalzustand?
Irgendwie ließ sich das Gespräch dann nicht in substanzielle Bahnen führen und ich habe mich darauf verlegt, mir ein Tütchen Gummibärchen mitzunehmen. Bei Gummibärchen weiß man schnell und konkret, worum es geht.
Ich war auch bei einer anderen Firma, die schöne bunte Flyer mit tollen Graphiken hatten. Ich habe daran aber, egal wie herum ich sie gehalten habe, nicht erkennen können, welchen Lösungsansatz sie für welches Problem anbieten. Eine Frau gab sich dann alle Mühe, mir den Flyer der Firma zu erläutern, musste aber selbst mehrmals rätseln, was da was bedeutet.
Ich war mal vor 17 Jahren in einer Firma, mit der wir damals jährlich einen Stand auf der CeBIT hatten. Da wurde das Standpersonal – ich war auch mal dabei – vorher zur Kommunikationsschulung geschickt, damit wir lernen, wie wir auf den Punkt bringen, dass wir die ultimative Lösung für das Problem des Kunden haben, und zwar so, dass der das auf Anhieb versteht, was wir machen und anbieten.
Wir waren damals auch der Meinung, dass ein Produktflyer selbsterklärend sein muss, und ein Flyer, den man noch zusätzlich erklären muss, Schrott ist. Irgendwie sind Flyer heute eher darauf ausgelegt, mehr so eine allgemeine Themenverortung der Firma vorzunehmen. Wir machen in Cloud und so. Irgendwas mit Cloud.
Das ist heute mehr so ein soziales Miteinander. Du machst was mit Cloud (oder noch nicht, aber willst), wir machen was mit Cloud, also machen wir das jetzt zusammen, weil es ohne uns nicht geht.
Kurios fand ich auch das Unterfangen, Applikationsprogramme vom PC in die Cloud zu verlagern, damit sie dann da alle zentral (und langsam wegen der GUI) laufen, dann aber mit einem zusätzlichen Rechner und viel Aufwand das Problem lösen zu wollen, dass die Software, die vorher auf dem PC lief und jetzt in der Cloud laufen soll, ja irgendwie lokale USB-Geräte ansteuern können muss. Wie kann man seine Software von seinem Schreibtisch in die Cloud migrieren, und dabei trotzdem einen USB-Anschluss dabehalten?
Es ist immer die Rede vom Fachkräftemangel in der IT.
Ich habe im Gegenteil den Eindruck, dass die IT längst überwuchert ist und zu viele Pseudofirmen und zu viele Leute unterwegs sind.
Merkt man ganz profan daran, dass man nichts mehr zum Mittagessen bekommt, weil alles weggefressen ist.
(Neulich sagte ja schon ein Investor, dass die allermeisten, eigentlich alle Startups in Berlin nie in die Gewinnzone kommen und nicht überleben werden. Aber man pumpt ja gerade immer mehr Leute mit Pseudo-IT-Ausbildung in den Markt.)