Stell Dir vor, es ist schwul, und keiner geht mehr hin…
Ich war mal wieder bei einer Veranstaltung.
Ein Leser hatte mir einen Hinweis auf eine Veranstaltung bei der TAZ gegeben, und weil es kein großer Umweg auf dem Feierabendweg war und zeitlich gerade so passte, bin ich mal hingegangen.
Eigentlich gab es dazu eine Seite bei der TAZ, aber die ist nicht mehr erreichbar, und ich weiß nicht, ob man sie gelöscht hat oder die nur gerade irgendeine Störung in ihrem Reverse Proxy/Cache haben. Ersatzweise im Internet-Archive zu finden. Es ging um den homosexuellen Sexualwissenschaftler Hans Giese (1970 gestorben), und ich war dort, weil ich mir da vielleicht die eine oder andere Erkenntnis darüber versprach, wie der Wissenschaftscrash Gender Studies hatte passieren können, was da in der Frühzeit so passiert ist.
Normalerweise sind solche Veranstaltungen – gerade in Berlin – immer stopft voll. Wenn Queer im Titel vorkommt, kommen jede Menge Gläubige, um den Götzen anzubeten. Doch heute Verblüffung, es war fast niemand da. Ein Dutzend Leute vielleicht. Wer den Raum im TAZ-Cafe kennt: Oben niemand, auf den Seitenbänken niemand und auf den Sitzreihen mit je vier Stühlen meist eine, ab und zu auch mal zwei Personen.
Schwer zu sagen, woran das lag. G20? Ist die ganze Gender-Queer-Lobby beim Randalieren? Oder ist das Thema „schwul“ nicht mehr zugfähig, kommt keiner mehr? Oder lag’s an der Person Giese, weil der sich nicht nur im Sinne der Schwulenlobby geäußert hatte? Weiß ich nicht.
Im wesentlichen ging es drum, als einzigen Gast den Doktoranden und Historiker Moritz Liebeknecht dazuhaben, der einen Vortrag hielt und dann für Publikumsfragen bereitstand.
Tut mir leid, wenn ich es jetzt mal so ganz direkt und frontal sage, aber: Der Vortrag Liebeknechts, sein Auftreten, das war für mich die fleischgewordene Symptomatik deutschen Hochschulversagens. Da reicht es nicht mehr zu fragen, was Liebeknecht eigentlich so kann und macht, da muss man auch dem Doktorvater Schildt Versagen unterstellen. Geisteswissenschaftler kurz vor dem Stillstand oder sowas.
Der setzt sich da hin und liest völlig hölzern vom Blatt einen Text runter, der so als Buchprosa ausgelegt war (und auch da hölzern, gestelzt, blutleer wirkte), so ziemlich monoton und mit künstlich wirkender amateurhafter Intonation. Wie kann man denn bis zum Doktoranden kommen, und wie kann man als Doktorand mit seinen „Ergebnissen“ so zum eigenen Schaden auf die Öffentlichkeit losgelassen werden, wenn man nicht in der Lage ist, seine Informationen in freier Rede zu präsentieren?
Haben die kein Oberseminar oder sowas?
Wofür lässt sich dieser Professor eigentlich bezahlen?
Und was soll das mit Forschung und Promotion zu tun haben, wenn man nur vorbeikommt, um einen vorgefertigten Text abzulesen? Das hätte auch die Putzfrau gemacht. Zumal Liebeknecht auch nicht wesentlich mehr wusste, als er vorgelesen hatte, es hieß da immer gerne, da steht nichts in den Quellen. (Worin soll da eigentlich eine Promotionsleistung bestehen, wenn man nur mal zusammenschreibselt, was man an Texten so findet?)
Auch inhaltlich war das völlig strukturlos, inhaltslos, witzlos. Der hat halt das, was man da aus öffentlichen Informationen so findet, zusammengesammelt und in zeitlicher Reihenfolge runtergeleiert, ziel- und zusammenhangslos. Ich kenne Mathematiker, die weitaus spannender, stringenter, mit mehr Querbezügen, mehr Lebensnähe und mit mehr Feuer von 1 bis 1000 zählen können – und das in freier Rede. Eine Frau vor mir ist immer wieder eingenickt. Ich habe mich hinterher mit ihr darüber unterhalten.
Ich habe kaum bzw. nicht mitgeschrieben. Was mir so in Erinnerung blieb (viel ist es nicht):
Ja, also, mmh, Giese war schwul, und hatte in der Schule (Nazizeit) deswegen Probleme. Dann wurde er irgendwie Professor und wollte durch eine strategische Tätigkeit und Sexualforschung die Gesellschaft voranbringen. Beispielsweise hat er Beate Uhse mit ihrem Versandhandel geholfen, indem er gutachtete, dass ihr Zeug den Zusammenhalt in der Ehe stärken könne. Über Homosexualität hatte er verschiedene Meinungen geäußert. Leute, die enthaltsam oder in festen Beziehungen lebten, seien harm- und problemlos, da müsse man nichts machen, man solle die einfach in Ruhe lassen. Andere, die sich herumtreiben und so weiter, seien aber pathologisch und bräuchten Therapie und mehr. Ich habe mir das nicht notiert und bin mir jetzt nicht ganz sicher, aber er hatte da irgendeine deftige Wortwahl, nannte das pervers oder sowas.
Dazu gab es an der Universität wohl Streitereien, weil Giese Politik, Eigennutz und Aktivismus heraushalten und sich auf Wissenschaft beschränken wollte, was natürlich an den linken Universitäten gar nicht gut ankam, wo man massiven Aktivismus und Lobbyismus betrieb. Anscheinend war er deshalb, obwohl selbst schwul, in der Homolobby nicht gut gelitten, zumindest ist bei mir der Eindruck hängen geblieben, aber mir fiel es auch nicht leicht, wach zu bleiben, ich will Lücken nicht ausschließen. Außerdem habe er wohl um die Finanzierung seines Lehrstuhles gekämpft und dabei auch Medikamente für die Pharmaindustrie getestet.
Dann ging es ihm nicht gut und 1970 ist er im Urlaub von einer Klippe gestürzt.
Ich hatte dann mal gefragt, was er denn jetzt eigentlich wie erforscht habe, und was dabei herausgekommen war, weil es immer wieder darum ging, dass er geforscht habe, aber nie gesagt wurde, was eigentlich. Ja, da kam nichts. Er habe ein paar „Theorien“ aufgestellt. Mein Einwand, dass man Theorien nicht „aufstellen“ kann, weil sie dann nur Hypothesen seien, denn Theorien würden erst durch Nachprüfung zu solchen, ging zunächst ins Leere. Der Moderator griff das aber später auf (und meinte auch hinterher, die Frage sei gut und richtig, und stimmte mir darin zu, dass Gender Studies eigentlich gar nichts forschen und substanzlos sind, wobei er sich da auf 90% festlegen wollte, während ich eher bei 99,9% liege.) und ergänzte, dass da von Giese keine Empirie, keine greifbaren Ergebnisse übrig geblieben wären, nur irgendwer habe mal behauptet, dass man im Zusammenhang mit Forensik auf seine Ergebnisse zurückgreife (na toll: Wenn es darum geht, Leute zu bestrafen oder freizusprechen, greifen sie auf unbewiesene Luftbehauptungen zurück).
Interessanterweise kam es am Schluss bei einer Zuschauerfrage noch zu einer interessanteren Diskussion, weil einer meinte, das belege doch das Patriarchat, dass der sich unter dem Stichwort „Sexualität“ immer um Schwulsein gekümmert habe. Da gab es aber Gegenrede, denn Schwule seien ja – vor allem im Dritten Reich – massiv verfolgt, bedroht, bestraft worden, während man sich um Lesben nie gekümmert habe, die seien einfach auf Distanz und unterhalb des Radars geblieben, denen sei nie etwas pssiert, das habe man einfach nicht zur Kenntnis genommen. (Jaja, Frauen ging’s gut, Männer werden verfolgt und bestraft, und das nennt die Gender-Ecke dann „Patriarchat“.)
Heißt für mich im Ergebnis, dass Giese eigentlich keiner weiteren Erwähnung wert war und wissenschaftlich nichts von Wert zustandegebracht hat. Immerhin zeigte es, dass in diesem Universitäts-Homo-Umfeld Lobbyismus und politischer Aktivismus herrschen, aber an Forschung haben sie auch damals nichts hervorgebracht.
Und es zeigt mal wieder, wie niveaulos das Promotionswesen in Geisteswissenschaften ist.