Ansichten eines Informatikers

Erdogan, Doğan Akhanlı und unsere Presse

Hadmut
22.8.2017 21:17

Ein zweisprachiger Leser mit türkischem Familienhintergrund hat mir zu meiner Medienkritik geschrieben.

Ich hatte ja schon öfters kritisiert, dass wir von unseren Medien nicht mehr mit Informationen versorgt werden, sondern nur noch gesagt bekommen, was wir zu denken und zu glauben haben.

Besagter Leser beobachtet naturgemäß, was in der Türkei und unter türkischem Einfluss so vor sich geht, und ist aufgrund seiner Sprachkenntnisse auch in der Lage, die Presse beider Länder zu lesen. In diesem Zusammenhang schließt er sich meiner Kritik über die deutsche Presse an. (Über die türkische Presse hat er nichts gesagt, ich weiß also nicht, was er davon hält.)

Nun berichtet unsere Presse ja intensiv darüber, dass der Schriftsteller Doğan Akhanlı, eingebürgerter Deutscher mit deutscher Staatsbürgerschaft, in seinem Urlaub in Spanien aufgrund eines türkischen internationalen Haftbefehls festgenommen und nach Einschreiten unseres Außenministers Sigmar Gabriel unter Auflagen vorläufig auf freien Fuß gesetzt worden ist. (Wenn ich mich jetzt recht erinnere, darf er Barcelona nicht verlassen.)

Es wird überall so dargestellt, als sei er der wackere, aufrechte Kritiker, und Erdogan würde gerade weltweit „Deutschen“ nachstellen, die etwas gegen ihn sagen. Und so schreibt mir der Leser, der da anscheinend aus Interesse die Presse etwas genauer verfolgt hat als ich (mich interessiert der Fall nämlich eigentlich nicht), dass die deutsche Presse in allen Varianten und Variationen erzählt, dass Erdogan weltweit Deutsche wegen der Meinungs- und Redefreiheit jagt. Er sei „auf Geheiß der Türken“ verhaftet worden.

Seltsamerweise würde aber nie gesagt, warum er festgenommen wurde. Denn „der hat mich beleidigt“ reiche halt doch nicht für einen internationalen Haftbefehl.

Würde man jetzt mal genauer suchen, käme man auf Publikationen wie diese. Die sei zwar deutlich protürkisch gefärbt und daher auch nur mit gewisser Distanz zu genießen, aber viele besseres fände man auf deutsch eben auch nicht. (In Wikipedia wird was angedeutet.)

Akhanlı werde – angeblich schon seit 1989 – vorgeworfen, 1989 an einem Raubmord auf eine Wechselstube in Istanbul beteiligt gewesen zu sein. Er war in U-Haft, sei unter Auflagen freigelassen worden und dann nach Deutschland geflüchtet. 2010 habe er Verwandte in der Türkei besucht und sei dabei verhaftet worden. Man habe ihn 2011 in Abwesenheit zwar freigesprochen, aber das Urteil habe aber keinen Bestand und sei wieder aufgehoben worden. Das Gerichtsverfahren sei deshalb immer noch nicht abgeschlossen. Seit 2013 werde er mit einer “Red Notice” gesucht, damit das Gerichtsverfahren weitergehen könne.

Sollte das stimmen, wäre die Festnahme durchaus berechtigt. Deutschland würde ja auch jemanden festnehmen lassen, wenn hier ein Mordprozess gegen ihn geführt würde, egal welcher Nationalität der sei. Wenn es um einen Mord in der Türkei geht, ist es natürlich das Recht der Türkei, Angeklagte heranzuholen, falls das nicht aus der Luft gegriffen und ein Vorwand ist.

Besagter Leser würde sich dazu gerne, so wie auch ich, eine eigene Meinung bilden.

Ist der Haftbefehl wegen des Mordverfahrens berechtigt oder wegen der Kritik unzulässige politische Verfolgung?

Geben wir Regimekritikern politisches Asyl oder gewähren wir Mördern Unterschlupf?

Gute Fragen.

Der Leser meint, dass man dazu mehr über Stand und Inhalt des Strafverfahrens wissen müsste, um das beurteilen zu können. Man erfahre aber nichts.

Da hat er recht.

Ich finde das (von meinem persönlichen Desinteresse am Fall abgesehen) eine enorm wichtige und relevante Frage: Geht es hier um einen Mordvorwurf, gar einen Mörder? Oder wird das nur vorgeschützt, um einen Kritiker dranzukriegen?

Ein wesentlicher Punkt wäre, wann er Kritiker wurde und ob das vor oder nach 1989 war, und ob sie hinter ihm schon her waren, bevor er Kritiker wurde oder erst hinterher. Ist er hier, weil er politisch verfolgt wird, oder hat er sich einer Strafverfolgung entzogen?

Hätten wir sowas wie eine Presse, die den Namen verdient, würden die darüber schreiben und das beleuchten.

Tun sie aber nicht. Stattdessen tischen sie uns auf, dass der böse Erdogan hier Deutsche verfolgt, weil sie ihn kritisiert haben. Kann sein. Kann aber auch nicht sein. Man müsste eben einfach was dazu wissen.

Der zentrale Punkt ist, und das interessiert mich schon, dass unsere Presse nicht mehr informiert, sondern uns nur noch die moralischen Wertungen liefert, die wir fressen und übernehmen sollen.