Weiterungen ungehöriger Tweets
Wie man mit einem einzigen Tweet eine Lawine auslöst und Journalisten provoziert.
Die Presse zerreißt sich das Maul über den Tweet der Beatrix von Storch.
Ein Brüller: Titanic parodiert den Tweet und wird auch gesperrt (scheint, als ob es die KI da nicht so mit Humor hat).
Darüber beschwerte sich dann der Journalistenverband:
Nachdem „Titanic“ vermeintlich im Namen der Politikerin erneut über „Barbarenhorden“ getwittert hatte, wurde am Dienstag auch dieser satirische Tweet gelöscht. Der Account des „endgültigen Satiremagazins“ („Derzeit twittert als Gast: Beatrix von Storch (Kürzel: bvs)“) wurde ebenfalls geblockt. Das irritiert neben vielen Twitternutzern auch den Deutschen Journalisten-Verband: Er forderte am Mittwoch von den Verantwortlichen, „jegliche Form von Zensur gegenüber dem Satiremagazin „Titanic“ sofort zu beenden.“ Die Social Media-Verantwortlichen hätten mit ihrem Vorgehen massiv in die Pressefreiheit eingegriffen.
Da haut’s einen doch aus den Socken.
Erstens ist es fachlich falsch. Denn die Pressefreiheit ist ein Auskunftsrecht. Das Recht, sich zu äußern, ist die Meinungsfreiheit, und die steht jedem, nicht nur der Presse zu. Die schreien groß von der Pressefreiheit, wissen aber nicht mal, wovon sie reden. Journalisten eben.
Aber was sagen sie da eigentlich? Dass sie als Presse das Recht haben zu äußern, was selbst ein Abgeordneter des Bundestags nicht äußern darf?
Wofür halten die sich denn jetzt?
Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek kam um die Ecke und wetterte, dass sexueller Missbrauch von Kindern mit der Religion nichts zu tun habe.
Was ich erstaunlich finde. Denn meines Wissens beruht die Affinität des Islams zur Pädophilie auf einem Hadith über den Propheten und seine kindliche Ehefrau Aischa, in dem angeblich steht, dass sie bei der Hochzeit/Verlobung 6 und beim Vollzug der Ehe 9 gewesen sei. Und weil Handlungen des Propheten und die Berichte darüber unkritisierbar und verbindlich sind, wird das von vielen als verbindliche Vorgabe angesehen. Dazu gibt es sogar eine Fatwa. Insofern ist das für mich nicht nachvollziehbar, wenn der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime sagt, das hätte mit Religion nichts zu tun. Wobei es an einer Stelle auch heißt, er habe gesagt, dass es an der Qualität des Verbrechens nichts ändert. Ich finde aber schon, dass es ein Unterschied ist, ob jemand aus Sexualtrieb handelt oder aus der Überzeugung, das sei richtig so, religiöses Gebot. Es gibt aber auch schon weitere Kritik daran.
Die Schweizer NZZ spottet, dass hier Nichtjuristen in 8 Sekunden entscheiden müssten, ob etwas gesetzeswidrig ist.
Das ist beachtlich. Denn Juristen brauchen dafür in der Regel Monate oder Jahre, viele Richter, mehrere Anwälte und mehrere Instanzen. Zudem ist die „Täterin” von Storch hier selbst Juristin mit Staatsexamen.
Der Bundesjustizminister Heiko Maas unterstellt also, dass Laien etwas in 8 Sekunden entscheiden können, was selbst Richter nach Verhandlung oft nicht können (und was in der Berufung oder Revision aufgehoben wird). Neulich wurde doch einer wegen Volksverhetzung verurteilt und das dann in der Berufung aufgehoben. Man geht also davon aus, dass Laien besser und schneller als Juristen sind. Das ist nicht neu. Nach dem dritten Reich haben Richter eine Bauersfrau wegen Denuntiation verurteilt, weil sie habe erkennen müssen, dass es ein Unrechtsregime ist, ihre Richterkollegen aber freigesprochen, weil die das nun wirklich nicht hätten erkennen können. Ich weiß von einem Fall, in dem der BGH entschieden hat, dass ein 18-Jähriger etwas juristisch hätte durchschauen müssen, gleichzeitig aber ein OLG-Urteil aufhoben, in dem die Richter nach einem Jahr Verhandlung zugunsten des 18-Jährigen entschieden hatten, weil sie meinen, dass die Richter des OLG das nicht verstanden hätten.
Das hat in Deutschland Tradition, dass Juristen meinen, dass Laien a) gar nichts wissen und können und das Verständnis Juristen vorbehalten ist und b) es besser und schneller wissen müssen als Juristen.
Der SPIEGEL regt sich auf, dass man das NetzDG noch instrumentalisieren könne, faktisch geht es aber nur um die Dummheit der Journalisten, die sich dadurch provozieren lassen – und der Politiker, die so ein dämliches Gesetz machen.
Ein Leser weist darauf hin, dass von Storch als Bundestagsabgeordnete Immunität hat. Die wird zwar leicht und in der Regel sofort aufgehoben, aber zunächst mal hat sie sie. Sie kann beispielsweise auch nicht für eine Straftat festgenommen werden. Wäre also die Aufhebung der Immunität dann nicht Voraussetzung für solche Anbindungen an Strafbarkeit?
Die Überlegung finde ich deshalb wichtig, weil es hier ja – wie schon oft bebloggt – um eine Flucht ins Privatrecht geht. Nehmen wir mal als Gedankenexperiment an, die Sperren würden von der Polizei selbst auf Anordnung eines Richters vorgenommen. Das dürften die – ähnlich wie eine Hausdurchsuchung – nicht vor Aufhebung der Immunität. Warum also können sie es dann, indem sie es auf Privatfirmen auslagern?
Letztlich muss man zu dem Schluss kommen, dass der Bundestag durch ein dummes Gesetz die eigene Immunität untergraben hat. Denkt mal drüber nach, was für Typen im Bundestag sitzen.
Ich halte den Ansatz, das NetzDG exemplarisch lächerlich zu machen, für interessant.
Und ich bin mir jetzt schon sicher, dass das Verfahren gegen von Storch wegen „offensichtlicher Rechtswidrigkeit” entweder gar nicht erst zur Anklage kommt und eingestellt wird, oder man sich vor Gericht lange streiten wird.
Die Staatsanwaltschaft prüft schon mal. Sie prüft das, was der Laie in 8 Sekunden entscheiden soll.