Ansichten eines Informatikers

Bilder und Töne die lügen

Hadmut
28.1.2018 13:24

Man soll nicht alles glauben, was man hört und sieht.

Fotografie ist ja auch ein Thema in diesem Blog, das aus Zeitgründen vieeel zu kurz kommt. Und wie ich leider zugeben muss: Nicht Ausrüstung und Fachwissen, sondern Zeit und Übung trennen mich von einem wirklich guten Fotografen, aber zur Fotografie gehört auch, ganz banal, wenigstens so die bekanntesten und einflussreichsten Fotos der kurzen Geschichte der Fotografie zu kennen. Und ab und zu auch zu wissen, was dahinter steckt und wie es entstand. Und was es bewirkte. Wie Marilyn Monroe auf dem Lüftungsschacht. Einstein mit der Zunge. Die Arbeiter beim Vesper auf dem Wolkenkratzergerippe. Aber eben auch schlimme Bilder wie das verbrannte nackte Mädchen im Vietnam-Krieg. Oder das Bild des Polizeichefs von Saigon, der einem gefesselten Vietcong die Pistole an den Kopf hält, um ihn zu erschießen. Auf youtube gibt es ein – nichts für empfindsame Gemüter – 10-Sekunden-Video der Erschießung, auf dem man nicht nur sieht, dass er tatsächlich geschossen hat (es ist nicht ganz einfach, das Video und das berühmte Foto zur Deckung zu bringen, weil gerade jemand vorbeigeht), sondern dass der Vorgang in der Dynamik viel unspektakulärer und schneller vor sich ging als durch das Foto suggeriert. Das mindert freilich nicht das Grauen, das gerade durch diese Belanglosigkeit der Erschießung hervorgerufen wird. Es zeigt aber schon, dass Foto und Film völlig unterschiedliche Wirkungen haben. Bild und vermutlich auch Filmaufnahme waren damals ein starkes politisches Mittel gegen die USA und den Vietnamkrieg.

Denn die Botschaft schien so klar: Fieser General richtet wehrlosen, gefesselten, schmächtigen Vietcong hin, ohne Gerichtsverhandlung, offener Mord auf der Straße. Sowas kommt an.

Dabei hatte man nicht gefragt, wer auf dem Foto eigentlich der Böse ist. Es war doch so offensichtlich. Oder?

Die Realität aber war eine etwas andere. Der kommunistische Vietcong und wohl speziell dieser da erschossene Nguyen Van Lem waren Massenmörder, und sie töteten ganz bewusst und als Terror Zivilisten und auch Polizisten und deren Familien. Und eben dieser Nguyen Van Lem habe viele Freunde samt Familie und Patenkinder des Polizeichefs Nguyen Ngoc Loan getötet.

Damit sieht die moralische Bewertung plötzlich so ganz anders aus. Obwohl das Bild echt, nicht gefälscht ist, lügt es, wie Medien heute eben lügen, nämlich durch unterschiedliche Gewichtung und das Ausstanzen des Kontexts. Man liefert nur ein Bild, eine ausgeschnittene, scharf begrenzte Wahrnehmung, um Leute emotional und politisch zu manipulieren. Dabei hatte der Fotograf das damals nicht mal im Sinn, er hatte nicht mit einer Exekution, sondern nur mit einer damals üblichen „Befragung mit Waffe am Kopf” gerechnet.

Warum mir das gerade wieder auffällt? Ich habe vor ungefähr 10 Jahren schon mal darüber gelesen (war wohl zum 40. des Bildes), denn FOCUS schreibt dazu gerade zum 50. Jahrestag des Bildes darüber.

Das Bild wurde Pressefoto des Jahres. Adams bekam dafür den Pulitzer-Preis, Amerikas wichtigste Auszeichnung für Journalisten.

Das Magazin „Time“ nahm es auf die Liste der wichtigsten 100 Fotos aller Zeiten. Trotzdem erzählte Adams später immer wieder, dass er die Aufnahme bereue. Das Bild sei aus dem Kontext gerissen worden, nur eine „Halbwahrheit“. „Der General hat den Vietkong getötet. Und ich habe mit meiner Kamera den General umgebracht.“

Und manchmal stellte er auch die Frage: „Was hätten Sie getan, wenn Sie der General gewesen wären? Zu dieser Zeit und an diesem Ort? An diesem heißen Tag? Und Sie hätten diesen angeblichen Schurken gefangen, nachdem er ein, zwei oder drei amerikanische Soldaten abgeknallt hätte?“ Die Frage beschäftigte ihn bis zu seinem Tod 2004.

Das wäre eine angemessene Frage gewesen, aber sie zu stellen war nicht möglich, weil moralische Fragen

  • Stets aus der Sicht des Fernsehzuschauers vom warmen, trockenen, sicheren Sofa aus getroffen werden,
  • der Kontext grundsätzlich ignoriert wird,
  • Moral stets von links betrachtet wird und deshalb ein kommunistischer Vietcong gar nicht schlecht oder Auslöser sein kann,
  • Moral in Medien nicht wertungs-, sondern zweckorientert gebraucht wird und sich deshalb grundsätzlich danach richtet, was man gerade braucht.

Ob ich in der Situation geschossen hätte? Klare Antwort: Das weiß ich nicht. Das kann ich von hier aus nicht beurteilen. Dazu müsste ich wissen, was dieser General wusste und miterlebt hatte. Wenn kurz zuvor Freunde, Mitarbeiter, meine Patenkinder ermordet worden wären, und ich da schon länger im Krieg mit vielen Toten gesteckt hätte, dann kann ich zumindest nicht vom warmen, sicheren Sessel, in dem ich gerade sitze und von niemandem bedroht werde, und während draußen vor dem Fenster die Kinder spielen, kann ich zumindest nicht völlig ausschließen, dass ich mich da in einer Situation befunden hätte, in der ich auch geschossen hätte.

Oder anders gesagt: Wenn man ohnehin in einer Situation steckt, in der die Leute direkt aufeinander schießen und es so etwas wie Gerichtsbarkeit nicht mehr gibt, warum soll dann ein einzelner herausstechen, nur weil es von ihm gerade ein Bild gibt? Hätte es beispielsweise nur einen Text eines Zeugen gegeben, hätte das niemanden interessiert. Ist Erschießen schlimmer, wenn man das Bild dazu sieht?

Oder ist es nur instrumentalisierbarer, weil es dann den Weg zum Empörungszentrum im Hirn leichter öffnet?

Was wäre anders gewesen, wenn man ihn vor eine Mauer gestellt und zehn Soldaten auf ihn hätte anlegen lassen? Oder in einem Hinterhof einen Strick um den Hals gelegt? Es wäre eine „gewöhnliche” Kriegshinrichtung gewesen, für die sich keiner interessiert hätte.

Letztlich ging es hier darum, dass das Bild der Hirnöffner, der Moralkatalysator war, um die eigentliche Botschaft der Medien zu transportieren: Der Vietnam-Krieg der USA ist schlecht. Mag sein, dass er das war, aber der Zusammenhang ist nicht gegeben. Man hätte den Vorgang, Vietcong ermordet Kinder, genausogut auch andersherum einsetzen können, nämlich als Argumentation, Vietnam gegen den Vietcong zu helfen.

Man sollte lernen, den Medien nicht alles zu glauben.

Denn selbst wenn die Nachricht an sich formal nicht unwahr ist, das Foto ist ja zutreffend, liegt die Lüge in der isolierten, selektiven, gewichteten Darstellung.

Gegen wir 50 Jahre später.

Gerade tobt ein Streit, weil die ARD bei einem Bericht über Trump die Buhrufe aus dem Publikum „lauter gedreht” habe, damit man sagen konnte, Trump sei ausgebuht worden.

Die WELT schreibt gerade darüber,

Da kann man sich nun sehr drüber streiten. Denn tatsächlich werden Ton und Mikrofone normalerweise so ausgerichtet, dass man den Redner hört und das Publikum mit seinen Rülpsern und Hustern nicht, deshalb ist es eigentlich unumgänglich, das anzuheben, wenn man es hören will.

Nur: Es darf nicht der Eindruck entstehen, als sei das schon die normale Lautstärke, weil der Zuschauer das als Maßstab nimmt. Man muss es schon kenntlich machen.

Was ich aber schlimmer finde als das Hochdrehen der Lautstärke:

Man buht also schon selbst. Und berichtet dann nicht „wir haben Trump ausgebuht”, sondern „Trump wurde ausgebuht”.

Der Gniffke gibt noch einen Kommentar dazu ab. Und schreibt:

Ich finde es gut, dass wir solche Dinge offen diskutieren. Und die Tagesschau muss ihre Arbeitsweise immer wieder offenlegen und sich bei Fragen oder Kritik dem Diskurs stellen. Darauf haben unsere User Anspruch.

Ganz was Neues.

Ich persönlich hätte es bevorzugt, eine Berichterstattung mit Kontext zu bekommen, und nicht wieder so ein Moralbild, bei dem von vornherein vorgegeben ist, wer der Böse ist. Ich hätte gerne gesehen, wer da wie buht um zu sehen, dass sich etwa Journalisten nicht benehmen können (für wen halten die sich eigentlich, dass sie glauben, ihr Gebuhe von ein paar Schreihälsen sei auf einer Ebene mit einem demokratischen gewählten US-Präsidenten?).

Ich persönlich möchte niemanden als Berichterstatter haben, der dort Buh ruft um seine Interessen durchzusetzen. Und wenn man Trump mal zuhört, dann könnte man vor dieser Berichterstattung den Eindruck haben, dass Trump da völlig recht hat.

Können Journalisten eigene Meinungen und Interessen darlegen?

Ja.

Aber erstens als Kommentar und nicht getarnt als Berichterstattung. Dann muss es heißen „Wir sind damit nicht einverstanden” und nicht „Er wurde ausgebuht”.

Und zweitens ist „Buh!” kein qualifizierter Kommentar. Sicher, das ist das Niveau des heutigen Journalismus. Aber nicht meines als Leser und Zuschauer.

Und um es mal ganz direkt zu sagen: Trump wurde nicht ausgebuht. Ausbuhen geht anders. Hätte ich das nicht gelesen und mir fünfmal angehört, hätte ich das gar nicht gemerkt, dass das jemand gebuht hat, ich hätte es für positives Gelächter gehalten.

Die Frage ist als eher: Warum will die Tagesschau unbedingt berichten, Trump sei ausgebuht worden?