Ansichten eines Informatikers

Politische Gigabit-Netze

Hadmut
10.2.2018 0:23

Regierung im Digitalwahn.

Die Bundesregierung will sich mit Internet-Versorgung hervortun. Im Koalitionsvertrag steht (angeblich) 290 Mal „digital” und es wird oft beklagt, dass wir in Deutschland noch so viele Gegenden ohne Internet-Anschluss haben. Da ist das natürlich ein politisches Thema.

Und wer macht gerade besonders auf digital?

Klar, alle. (Es interessiert sich keiner mehr dafür, dass die Grünen sich mal mit Händen und Füßen gegen ISDN gesperrt haben, weil Digitalisierung und Internet ganz, ganz böse seien und die Menschen in Zombies verwandelten, deshalb Digitalnetze unbedingt verhindern wollten.)

Aber wer es gerade ganz besonders macht? Dorothee Bär von der CSU. Denn die ist von Beruf Politologin. Und wer wäre besser geeignet, sich um Internet zu kümmern, als eine Politologin? Naja, heutzutage reicht es schon, Frau zu sein. Sie haben ja auch eine Kunstprofessorin, die Internet-Botschafterin ist/war.

Die Frage, warum da nicht jemand sitzt, der Ahnung von der Sache hat, darf man nicht stellen.

Nun, immerhin versuchen sie es. Neuerdings. So ein bisschen. Und sie will nun die Menschheit mit Gigabit-Zugängen beglücken und reibt sich verwundert die Augen, dass die Provider schon ihre 100- und 200-Megabit-Zugänge nicht loswerden:

“Als besonders wichtig sehe ich den schnellen Anschluss von Schulen, Krankenhäusern und Gewerbegebieten. Dort werden heute schon Gigabit-Bandbreiten benötigt. Und wenn die Schülerinnen und Schüler erst einmal Erfahrungen mit dem Gigabitnetz gesammelt haben, bin ich guter Hoffnung, dass Privathaushalte sich auch für die schnellen Anschlüsse entscheiden. Im Moment haben wir ja das Problem, dass die Telekommunikationsunternehmen auch ihre 100 oder 200 MBit/s-Anschlüsse nicht loswerden.”

Hört sich irgendwie wie De-Mail an, das haben sie ja auch nie losgekriegt. Was die gute Frau nicht versteht, sind drei kernige Probleme:

  • Ein x-Mbit-Zugang heißt heute, dass man „bis zu x MBit” bekommt.

    Ich habe beispielweise einen 30-MBit-Zugang.

    Würde der voll funktionieren, würde mir der völlig reichen, und ich bin Informatiker und streame einiges. Warum sollte ich derzeit Geld für mehr ausgeben, wenn ich nicht mehr brauche?

    Nur bekommt der Provider schon die 30 MBit nicht hin, die Rate liegt oft deutlich drunter. Wenn der Provider aber schon die 30 MBit nicht hinbekommt, warum soll ich dann mehr zahlen, um einen 100 MBit-Anschluss zu bekommen, den er dann noch weniger hinbekommt? Das sind ja nur unterschiedliche Drosselstufen.

  • Dann gibt es so ein ähnliches Problem wie mit dem Stromnetz für E-Autos.

    Wieviel Haushalte haben wir in Deutschland? So 20, 30 Millionen? Und jeder soll Gigabit bekommen. Wo soll denn da die Gesamtkapazität herkommen?

    Man müsste jedes kleine Dorf schon mit 5 Terabit anbinden, und eine Stadt wie Berlin läge im Petabit-Bereich.

  • Im Privatbereich gibt es eine natürliche Grenze der Übertragungskapazität, nämlich das menschliche Gehirn.

    Wenn man alle Sinnesorgane voll bespielt – Augen, Ohren, Tastsinne, Gleichgewicht – ist der Mensch ausgelastet. Im Moment schreien alle 4K-Video, mit HDR und am besten noch Stereo und VR-fähig. Aber auch da gibt es Grenzen. Gut, die kann man noch mit der Zahl der Menschen in einer Wohnung multiplizieren, wenn jeder was anderes guckt. Aber im privaten Bereich gibt es einfach eine Grenze der Verarbeitungsfähigkeit.

    Damit der Bedarf über die Hirnkapazität steigt, müsste erst eine neue Killerapp her, die aus irgendwelchen Gründen höhere Übertragungsraten hat, als der Mensch selbst aufnehmen kann. Ich will das nicht ausschließen und könnte mir irgendwelche interaktiven Virtual-Reality-Spiele vorstellen, aber das muss halt erst mal da sein, bevor es Bedarf gibt.

  • Davon mal ganz abgesehen: Wollten wir nicht Energie sparen?

    Ich war auf der letzten Funkausstellung am Stand von AVM und habe mir die Kabel-Fritzbox angesehen und war verblüfft, wie groß die ist, und fand das unpraktisch, dass die jetzt senkrecht steht. Da sagten mir die Techniker, wieviel Energie das Ding verbrät, wenn man da mal Gas gibt, und dass sie das Gehäuse so brauchen, um ohne Lüfter noch die Abwärme wegzukriegen. Das Ding wird innen richtig heiß.

    Zugegeben, das sähe anders aus, wenn die Daten per Glasfaser kommen, weil da weniger Rechenleistung erforderlich ist (dafür dann die LEDs was ziehen können). Dazu kommen dann aber noch enorme Backbone-Infrastrukturen.

Versteht mich nicht falsch. Ich halte es schon für richtig, so einen Netzausbau deutlich überzudimensioneren, damit man ihn nicht alle paar Jahre neu bauen muss. Aber die Erfahrung lehrt halt auch, dass eine zu starke Überdimensionierung auch nicht zuverlässig funktioniert, weil auch keine Technik so lange hält. Wir hatten nach der Wende schon mal ein Glasfasernetz verbuddelt, das dann nicht zu gebrauchen war, weil schon überholt.

Um das aber vernünftig machen zu können, muss man einfach wissen, dass man einen Netzausbau auf gute 10 Jahre hinaus überdimensionieren muss, und ihn, weil er überdimensioniert sein muss, nicht sofort losschlagen kann. Das muss einem klar sein.

Und viel wichtiger, als mit Gigabit zu winken, wäre es, mal von dieser „bis zu”-Logik wegzukommen und gewisse Mindestleistungen festzulegen. Warum soll man 100 Mbit oder mehr bezahlen, wenn man überhaupt nicht weiß, was man dafür bekommt? Mit einem 30-MBit-Anschluss, der zuverlässig funktioniert, wäre mir mehr geholfen als mit 100 MBit, durch die es auch nur tröpfelt.

Und was mir auch wichtig wäre, ist der Uplink. Ich bekomme zwar – manchmal – flotten Download, aber die Provider drosseln absichtlich den Upload, und das schmerzt. Auch das sollte man geradeziehen, bevor man Gigabit schreit.

Aber macht das mal einer Politologin klar.

Irgendwie stelle ich im Zusammenhang mit unserer Bundesregierung immer die gleiche Frage: Warum sind für das Internet Juristinnen, Politologinnen, Kunstprofessorinnen zuständig, also immer Frauen und immer solche, die beruflich Laien sind?