Ja, was denn nun?
Zwischen Panik und Political Correctness.
Ein Leser schickte mir – leider ohne jede Quellenangabe, aber passende Pressemeldungen findet man im Internet – einen verzweifelten Rundmailaufruf, den er irgendwoher bekommen hatte.
Eine junge Frau ist verschwunden. (Man müsste mal nachzählen, aber so gefühlt habe ich den Eindruck, dass wir nicht mehr bei einer, sondern bei etwa zwei pro Woche angekommen sind.)
Sie wollte innerhalb von Deutschland trampen, stieg in einen LKW mit ein, dann verliert sich ihre Handy-Ortung. Freunde suchen nun nach der Frau und haben offenbar einen Hilferuf, eine Bitte um Hinweise veröffentlicht.
Zum einen machen sie sich allergrößte Sorgen um die Frau (und das ist wohl nicht unberechtigt, denn laut aktuellen Pressemeldungen geht die Polizei von einem Gewaltverbrechen aus und rechnet nicht mehr damit, sie noch lebend zu finden).
Zum anderen zerreisst es sie schier dabei, und sie bringen es fast nicht über das Herz, den LKW näher zu beschreiben – die Farbe, den Namen der Spedition, und dass er ein marokkanisches Kennzeichen hatte. Den weit größten Teil des Aufrufes nimmt die in Fettschrift und größer dargestellte Mitteilung, sich von rassistischen Spekulationen zu distanzieren, sich „gegen rechte Hetze und Rassismus zu stellen” wie es auch die vermisste Frau ihr Leben lang getan habe.
Ihr Leben lang…
Es sei rassistisch, schreiben sie, jemanden ohne Beweise zum Täter zu machen, weil er marokkanischer Abstammung sei.
Derweil lässt die Polizei wissen, dass man einen dringend Verdächtigen im europäischen Ausland aufgegriffen habe. Der aber behauptet (und damit muss er wohl dieser Fahrer sein, denn wer sonst könnte das behaupten), die Frau wäre wohlbehalten an der Autobahnausfahrt X ausgestiegen.
Nun, man weiß es – zumindest nach dem, was in der Presse steht – noch nicht, ob das stimmt. Vielleicht hat er irgendwas mit ihr angestellt, vielleicht stimmt es aber auch einfach, vielleicht ist sie da ausgestiegen und danach erst einem bösen Menschen begegnet. Genauso, wie man einen LKW-Fahrer, der sie mitgenommen hat, verdächtigen kann, könnte man auch den Verdacht haben, dass der nächste, der sie dort aufgegabelt hat oder zufällig vorbeikommen ist, ein böser Mensch ist. Genaugenommen ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Frauenmörder eine Anhalterin aufsammelt, die an der Autobahnausfahrt als Anhalterin herumsteht, sogar deutlich höher, als dass ein LKW-Fahrer, den sie anspricht, zufällig ein Frauenmörder ist, einfache Wahrscheinlichkeitsrechnung. Nur: Dazu muss man erst einmal eine Aussage – etwa des Fahrers – haben, dass sie am Ort X ausgestiegen sei.
Und bisher weiß man laut Presse auch nur, dass das Kennzeichen und vielleicht der LKW marokkanisch waren, aber nicht, wo der Fahrer herkam.
Ich finde das aber sehr bezeichnend für den psychischen Zustand der Gesellschaft, die sich zwischen Bedrohung und Political Correctness zerreibt. Sowohl auf Seiten der „Besorgten”, als auch der anderen (keine Ahnung, wie ich die gerade nennen soll).
Wer wesentliche Punkt ist, dass man heute eine dringende, wichtige Suchmeldung der Art „wer hat X gesehen, die am Y. am Ort Z in einen LKW der Farbe A mit Kennzeichen aus B gestiegen ist? Wer weiß etwas über ihren Verbleib?” nicht mehr herumschicken kann.
„Kann” meine ich damit im doppelten Sinne.
Ich meine einmal deren Freunde als Urheber der Suchmeldung, für die die Political Correctness-Bekenntnisse wichtiger, fetter, größer als die Suche nach der Freundin ist.
Und die Öffentlichkeit, die nach der Sachverhaltsbeschreibung gleich wieder vom nächsten Frauenkulturmord ausgeht. Dabei will ich das nicht allzusehr verurteilen. Einerseits gibt die Sachlage eine Beschuldigung noch nicht her, andererseits haben wir ja nun so häufig und regelmäßig Frauenmorde aus Kulturunfällen, dass die Wahrscheinlichkeit inzwischen einfach dafür spricht. Man hat Männer schon aus weit geringerem Anlass oder auch ganz ohne zum Sexisten oder Patriarchen oder Vergewaltiger abgestempelt. Erstaunlicherweise vertritt man ja bei Vergewaltigungen auch immer die Ansicht, dass man die Beschuldigung blind glauben müsse und nicht überprüfen dürfe, und nun schlägt das plötzlich ins Gegenteil. Weiße Männer pauschal zu Tätern zu erklären und ihnen die Last des Unschuldsbeweises aufzubürden, sie gleichzeitig aber auch nicht zu Wort kommen zu lassen, damit sie ihn nicht antreten können. Eben noch hat man es feministisch verlangt, Leute schon beim geringsten Anschein eines entfernten Verdachtes zu ächten und in den Knast zu werfen, und jetzt das Gegenteil.
Für mich heißt das, dass die Gesellschaft am Rande des Nervenzusammenbruchs steht, zwischen zwei hysterischen Fronten zerrieben wird (ob man sie jetzt rechts-links oder wie auch immer nennt, ist mir egal, soll sich der Leser selbst überlegen), die so sehr aufeinander zugerückt sind, dass dazwischen so gut wie kein nicht-hysterischer Freiraum mehr bleibt.
So makaber und pietätlos möchte ich dann aber doch sein: Wer schon selbst solche Rundschreiben oder Aushangtexte herausgibt, sich allergrößte Sorgen um seine Freundin macht, und dann die Sachbeschreibung klein, das political correctness-Bekenntnis aber groß und fett und viel wichtiger, als die tragende Botschaft darstellen, und die vermisste Freundin zur Nebensache verkommen lässt, der sollte sich mal überlegen, was er da tut.
Der muss sich die Fragen gefallen lassen, ob man nicht mit seinem Eintritt für Migration (den ich aus der harschen antirassistischen Formulierung mal schlussfolgere) nicht letztlich selbst den Tod von Frauen – vielleicht auch von dieser – irgendwo zwischen grob fahrlässig und billigend in Kauf genommen hat. Ob das nicht zumindest moralisch mal irgendwann in die Nähe oder den Bereich einer Mitschuld kommt, wenn das wichtigste nicht der mögliche Tod der Freundin, sondern das Treten gegen jede Kritik ist. Zumal zumindest in dem als Graphik dargereichten Text nicht mal eine Kontaktadresse angegeben ist. (Naja, die Polizei findet man leicht.)
Und man wird sich die Frage gefallen lassen müssen, ob solche Publikationen nicht vielleicht sogar sehr kontraproduktiv sind. Denn angenommen, irgendwer hat eine Beobachtung gemacht, die den Fahrer oder irgendeinen anderen Ausländer belasten würde, dann wird er sich nach einer solchen Publikation sicherlich gut überlegen, ob er den Mund aufmacht und sich der Gefahr aussetzt, als Rassist beschuldigt zu werden.
Wenn ich sowas lese, dann kommt mir inzwischen schon der Verdacht, dass das von manchen gar nicht mehr gewollt ist, solche Fälle noch aufzuklären. Es ist sicherlich sehr bitter und böse das zu sagen, aber manchmal habe ich den Eindruck, dass die Leute mehr Angst davor haben, dass der Täter ein Migrant sein könnte, als dass die Freundin tot ist.
Diese Gesellschaft hat sich inzwischen sehr, sehr weit von einem gesunden Zustand entfernt.