Bedienungsanleitungen für sekundäre Analphabeten
Noch so eine Beobachtung.
Scheint, als stünde ich mit meiner Einschätzung der neuen Nikon-Kameras Z6/Z7 nicht allein. Ich habe ja früher schon geschrieben, dass Nikon zwar exzellente Techniker hat, die wunderbare Kameras bauen können, aber deren Produktmanagement einfach unter aller Sau ist.
Die Webseiten sind sich einig, dass die neuen Kameras zwar im Prinzip gut sind und es zwar einige Unschönheiten gibt, die aber durch Softwareupdates zu beheben wären, aber auch, dass die Entscheidung, nur einen Kartenslot einzubauen und den noch in XQD, für allgemeinen Verdruss sorgt. Es kursieren Umfragen, wonach zwischen 30 und 40% der Nikon-Kundschaft erklärt, dass das ein Deal-Stopper für sie wäre, sie also vom Kauf der Kamera abhält. Wie eigentlich bei mir. So schön die Kamera wohl wäre, das ist für mich praktisch nicht einsetzbar.
Es gibt Kommentatoren, die dafür völliges Unverständnis äußern. Denn ohne jeden Zweifel muss sich Nikon die Marktsituation von Sony angesehen haben, denn genau gegen die positionieren sie sich ja. Dann hätte ihnen auch bekannt sein müssen, dass einer der größten Jammerpunkte von Sony-Nutzern ist, dass die nur einen Karten-Slot hat. Wie man sehenden Auges so eine Fehlentscheidung treffen könne, ist die Frage.
Womöglich brennt bei Nikon da auch gerade die Hütte, denn es gibt einen absonderlichen Vorgang: Normalerweise sind neue Nikon-Kameras, vor allem, wenn sie nicht nur Modellpflege sind, sehr teuer (und sie sagten ja auch, dass sie sich in den teuren Markbereich verschieben wollen, nachdem es „unten” nicht mehr so läuft), insbesondere bis die zwanghaften und die reichen Käufer befriedigt sind und die Produktion die Nachfrage übersteigt. Die Preise sinken normalerweise erst dann, wenn in jedem Laden die Dinger vorrätig sind, was normalerweise Monate dauert, die D850 ist heute noch nicht überall sofort zu haben, und der Preis sinkt auch nur bei den Grauimporten. Solange die Nachfrage den Lagerbestand übersteigt und die Dinger zum hohen Preis weggehen, bleibt der Preis hoch (wäre ja auch dumm, wenn sie es anders machen würden).
Außerdem war angekündigt, dass sie zunächst die teurere Z7 produzieren und auf den Markt bringen, und die bis auf die niedrigere Auflösung durch anderen Chip ansonsten baugleiche Z6 erst später nachschieben (irgendwas gegen Ende des Jahres).
Auf einmal aber kommt da jetzt Amazon um die Ecke und bietet die – noch nicht lieferbare und offiziell nicht mal in Produktion befindliche – Z6 schon zur Vorbestellung mit mit ca. 500 Euro Rabatt an.
Hä!?
Kann das sein, dass sie schon in einen Lagerabverkauf gehen, bevor die Kamera auf dem Markt angekommen ist? Wird da krisenmäßig schon am nächsten Modell gearbeitet? Oder geht’s nur darum, Sony zu attackieren? Oder Canon? Oder Panasonic, die am Dienstag eine vorstellen?
Es kamen neulich wieder Meldungen rum, dass der Kameramarkt schrumpft. Und sich jetzt mindestens vier Große um den Full-Frame-Spiegellos-Markt kloppen, obwohl jeder, der fotografiert, längst mindestens eine gute Kamera hat. Kommt Panasonic am Dienstag mit einer Vollformat-Kamera ohne Mängel, die einen Doppel-SD-Slot hat (und davon ist auszugehen, denn es gerüchtet, dass sie der GH5 praktisch gleichen würde, außerdem sind die bei Panasonic ja nicht doof und bekommen das Geschrei mit), dann geht’s rund, denn dann fragt man sich, warum können die das und Nikon nicht?
Zudem wird auch Sony nicht lange auf eine Antwort warten lassen, sie müssen ja reagieren. Und wäre ich Sony, wäre das nun spätestens jetzt der Zwang schlechthin, einen zweiten Slot einzubauen. Kostet in der Herstellung vielleicht einen Dollar und muss nicht entwickelt werden.
Da fällt mir etwas kurioses auf:
Seit es komplizierte elektronische Kameras gibt, also seit gut 40 Jahren, werden die mit einem Anleitungsheft geliefert. Und da steht eigentlich alles drin.
Nikon hat jetzt eine Reihe von Anleitungsvideos herausgebracht, besser zusammengestellt hier, in dem sie auf Einsteigerniveau jeden einzelnen Knopf erst mal erklären.
Die versuchen jetzt, mit doch recht komplexen Kameras eine Käuferschicht zu erreichen, die zu doof ist, eine Bedienungsanleitung zu lesen.
Nebenbeobachtung: Früher hat man in den Bedienungsanleitungen im branchenüblichen Zeichenstil, der die Konturen der Kamera und Bedienteile zeigt, nie den Fotografen oder höchstens dessen neutrale Hände gesehen. Musste ein Objekt herhalten, waren es Blümchen, Segelboote oder eben Frauen, fast immer asiatische. Um Portraits, Aufhellblitzen, Langzeitblitzen und sowas zu erklären.
Macht man Erklärvideos, ist nun auch der Fotograf zu sehen. Mann fotografiert Frau geht ja nun politisch gar nicht mehr, also muss jetzt auch eine Fotografin ins Bild. Frau fotografiert Mann wäre irgendwie lächerlich, also muss es eben Frau fotografiert Frau sein, um die nicht-anleitungslesende neue Käuferschicht zu erreichen.