Ansichten eines Informatikers

Paradigmenwechsel in der Fotografie

Hadmut
19.12.2018 1:50

Das ist mir schon seit einiger Zeit aufgefallen.

Früher, als die Welt noch so war, wie man sie gewohnt ist, galt noch der alte Fotografengrundsatz, dass die Bildqualität proportional zur Menge an Glas wächst, die davor als Objektiv eingesetzt wird. Und damit auch der Preis, denn die Edelglassorten für Objektive sind recht teuer, manche pro Volumen teurer als Silber.

Lange hat man über die kleinen Handy-Knipser gelacht, und war dann einfach der Platzhirsch mit einer Vollformatkamera. Großer Sensor, viel Licht durch das große Objektiv, und so weiter. Dagegen die kleinen Handy-Knipsen, deren Objektiv und Sensor so winzig sind, dass sie schon die physikalische Beugung am Spalt qualitativ nicht überleben, und jedes Staubkorn die Hälfte des Objektivs abdeckt, schlimmer noch jede Schliere im Billig-Glas. Und eine Lichtempfindlichkeit nur knapp über Kiefernholz.

Die Zeiten sind vorbei.

Manchmal staunt man sehr, was für gute Bilder „Laien” mit Handys machen, ohne auch nur groß darüber nachzudenken. Hinhalten, draufdrücken, gutes Foto. Zumindest solange man es nicht allzusehr vergrößert, aber das macht ja heute keiner mehr, man guckt ja online und nicht mehr Fotoalbum.

Wie kommt’s?

Hat sie die Physik als soziales Konstrukt herausgestellt, das überkommen ist?

Nein, natürlich nicht. Aber man hat sehr viel Forschund und Entwicklung reingesteckt, und kann aus den kleinen Dingern physikalisch schon sehr viel herausholen, was doch schon ziemlich Richtung physikalischer Grenze geht. Und der große Umbruch kam durch den Einbau von Rechenleistung. Normale Kameras sind einfach doof, die machen ein Bild mit einer Blende und einer Belichtungszeit, und das war’s. Der Brüller ist aber schon seit einiger Zeit, mehrere Aufnahmen zu machen, die sich in Belichtung, Richtung, Schärfeeinstellung oder was auch immer unterscheiden, und daraus dann ein Panorama-, HDR-, Focus-Stacking- oder sonstwas-Bild zu machen. Ich hatte mal eine Kompaktkamera mit „Museumsmodus”: Wenn es verwacklungsdunkel ist und man kein Stativ macht. Während man den Auslöser gedrückt hielt, machte sie einfach schnell hintereinander 10 Fotos und rechnete aus, welches das schärfste ist, welches am wenigstens verwackelt ist. Weil bei 10 Bildern dann immer eines dabei ist, bei dem man gerade die Wackelrichtung ändert. Oder Bildkorrekturen: Vignettierung und Verzerrung rausrechnen. Panoramen kombinieren, und so weiter.

Mit normalen Kameras sitzt man immer hinterher am Rechner und bastelt, oder man macht es eben auch nicht. Handys machen das inzwischen sofort und vor Ort, weil die dick Rechenleistung und ausgefeilte Benutzeroberflächen dabei haben. Und von Leuten geschrieben werden, die sich mit Handy-GUIs auskennen. Da gibt es inzwischen ganz erstaunliche Bild- und Videobearbeitungsprogramme, die schnell und einfach zu bedienen sind, schließlich soll das ja alles sofort und direkt aus dem Handy in die Social Media.

Es ist mir schon öfters aufgefallen, dass man sich mit einer Spiegelreflexkamera manchmal ganz schön Mühe geben muss, um ein – zumindest nach dem Mini-Bildschirm – gleichgutes Foto hinzubekommen, weil die Automatiken da inzwischen weitaus mehr können (sowohl von ihren Rechenkünsten, als auch von der Steuerungsfähigkeit der Kamera) als die normalen Spiegelreflexkameras.

Es erinnert mich wieder mal an meinen Vergleich zwischen Nokia und Apple. Nokia hatte unüberschaubar viele Modelle, aber jedes in seinen Fähigkeiten stark begrenzt, unveränderbar, nicht aktualisier- oder erweiterbar. Irgendwann ein neues kaufen und das Spiel geht von vorne los. Apple hatte ein iPhone, ein einziges Modell, das nicht mal Tasten hatte. Aber Software und eine clevere Benutzeroberfläche, und hat gewonnen. So besiegen die Handys gerade die normalen Kameras. Weil heute nicht mehr nur physikalisch, sondern eben auch rechnerisch fotografiert wird und damit die alten physikalischen Grenzen nicht mehr wirken, weil man eben mehrere Aufnahmen verrechnet, als eigentlich nicht mehr fotografiert, sondern kombiniert.

Aktueller Artikel hierzu in der WELT.

Man könnte auch sagen, dass die Kamera gerade wegdigitalisiert wird.

Das muss man schon sagen, dass zumindest bei ausreichend Licht und in einem gewissen Motiv- und Bildtyps-Korridor Handys inzwischen ziemlich gut geworden sind. Und vor allem: Klein, leicht, flach, immer dabei, einfach zu bedienen.

Ob all die errechneten Kunstbilder damit eigentlich noch ein Foto als Abbild der Realität sind, wäre eine andere Frage.