Kommt am Montag die Merkel-Zensur?
Bitterböse.
Seit gestern geht da sowas rum, etwa bei finanzmarktwelt, Twitter, Youtube, aber ich weiß nicht, ob da nicht einfach einer vom anderen abschreibt, dass nämlich Merkel persönlich da „Uploadfilter” durchsetzen will. Medien wie PCWELT berichteten auch darüber, aber ohne Merkel zu erwähnen.
PCWELT:
Mit Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform drohen viel schärfere Regeln für Upload-Filter als viele zunächst gedacht hatten.
Deutschland und Frankreich haben sich auf eine gemeinsame Position zu Artikel 13 der geplanten EU-Urheberrechtslinie geeinigt. Und damit drohen noch schärfere Upload-Filter als zunächst gedacht, wie Julia Reda, Piraten-Politikerin und Mitglied im Europaparlament, in ihrem Blog warnt. […]
Nun haben sich Deutschland und Frankreich aber auf eine gemeinsame Position geeinigt, die vorab auch im Web geleakt ist. Die Einigung sieht vor, dass die Upload-Filter gemäß Artikel 13 für alle Plattformen gelten soll, die profitorientiert sind. Lediglich Plattformen, die alle drei folgenden Kriterien erfüllen, müssen keinen Upload-Filter installieren.
- Die Plattform ist jünger als 3 Jahre
- Der Jahresumsatz beträgt weniger als 10 Millionen Euro
- Die Plattform hat weniger als 5 Millionen Nutzer pro Monat
Ich muss es mir erst mal genau durchlesen, aber womöglich müsste damit sogar ich als Blogger Uploadfilter installieren, wenn ich Kommentare wieder freischalten würde. Denn meine „Plattform” ist älter als 3 Jahre. Mit der Umsatzgrenze habe ich zwar nichts zu tun, aber wie man bei mir die Zahl der Nutzer misst, wäre mir unklar. Ich komme inzwischen ganz grob auf ungefähr 5 Millionen Zugriffe pro Monat. Wie aber errechnet man daraus die Zahl der Nutzer? Ich habe ja keine Accounts im Angebot.
Die Medienaktivität geht anscheinend auf eben die Blogartikel von Julia Reda zurück, die etwa hier davor warnt:
Die Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD begibt sich damit wie bereits befürchtet in direkten Konflikt mit ihrem Koalitionsvertrag, der kein Jahr alt ist und Uploadfilter explizit als unverhältnismäßig ablehnt. Dieser Bruch des Koalitionsvertrags sorgt kurz vor der Europawahl sicher nicht für Sympathien für Union und SPD, gerade unter Jung- und Erstwähler*innen. Derweil haben sich bereits zahlreiche netzpolitische Expert*innen von Union und SPD dem Protest gegen Uploadfilter angeschlossen.
Ich halte das – wie auch schon Kinderpornosperre und Netzdurchsetzungsgesetz – für Wahnsinn, von technischen Laien gebaut, die nicht verstehen, was sie da machen, warum es nicht funktionieren kann, welchen Schaden sie da anrichten.
Wie soll das funktionieren?
Mir ist technisch nicht ersichtlich, wie das effektiv laufen soll. Bilder, Videos, Ton sind ja in der Regel bei Uploads verlustbehaftet kodiert. Und es ist auch kein Problem, irgendwelche nicht wahrnehmbaren Veränderungen auf Bitebene vorzunehmen. Eine exakte 1:1-Erkennung etwa auf Bild-Ebene ist damit nicht brauchbar, solange der Urheberrechtsverletzer nicht exakt dieselbe Datai hochlädt.
Man müsste also irgendeine Art von Kategorisierung oder Fingerprinting betreiben. Sowas geht grundsätzlich, die Google-Bildersuche ist ein Beispiel dafür. Nur liefert die eben auch viele Treffer, die nur ähnlich aussehen, aber etwas anderes darstellen. Sowas kann man für eine Suche verwenden, aber nicht für sperren, viel zu fehleranfällig. Zumal dann ja immer noch der Suchende selbst am Rechner sitzt und das menschlich nochmal überprüft.
Und es sind auch nur Bilder.
Und vor allem: Es wird nicht mit allen Bildern der Welt verglichen, sondern nur mit denen, die Google schon kennt und im Zugriff hat. Die Gesamtheit liegt vor.
Wie aber soll das bei Urheberrechtsverletzungen vor sich gehen? Sollen dann alle Urheber von irgendwelchem Material dann erst einmal alles hochladen, damit man es vergleichen kann? Eine Datenbank aller Fernseh- und Kinofilme und ihrer Urheber?
Wie will man die befüllen? Woher weiß man, dass da wirklich jemand der Urheber ist? Kann man dann einfach eine Publikation verhindern, indem man vorher den Film selbst hochlädt und einfach behauptet, der Urheber zu sein? Angenommen, es gäbe irgendeine kompromittierende Videoaufnahme irgendeines Politikers, die vor der Wahl auftaucht. Also behauptet man einfach, man wäre der Urheber, und schon kann sie keiner mehr veröffentlichen. Wenn überhaupt, wird das weitere nach der Wahl geklärt.
Nehmen wir aber mal an, man hätte so eine Datenbank. Man wird also im Prinzip jede zu publizierende Datei mit jeder urheberrechtlich geschützten Datei vergleichen müssen. Schon das hört sich nach O(n2) an. Das ist eine Notation aus der Informatik, die die Aufwandsklasse beschreibt. Sollte man es schaffen, vernünftige Such- und Hashalgorithmen zu bauen, könnte man das vielleicht in Größenordnungen von O(n·log(n)) kommen, aber das halte ich schon für optimistisch. Und dabei noch unterstellt, dass der Vergleich zweier Videos mit O(1), also konstantem Aufwand läuft.
Das dürfte ein wirklich irrer Rechenaufwand werden.
Nur mal zum Vergleich: Bitcoin-Mining hat absurd viel Strom verbraucht. Und das, wo sie doch jetzt alle von Umwelt und Klima reden. Da wird einfach mal so hopplahopp heftig Rechenzeit und damit Strom verbraten. Mich würde dann mal der Stromverbrauch interessieren.
Dazu die Frage, woher der Filter dann noch wissen und wie er beurteilen soll, ob das hochgeladene Werk berechtigt ist, etwa weil der Nutzer zulässig zitiert oder schlicht und einfach die Rechte erworben hat, oder es aus anderen Gründen (Kunsturhebergesetz, Berichterstattung, Pressefreiheit usw.) nutzen darf, ist offen. Häufig ist das erst langwierig in Gerichtsprozessen zu entscheiden, ob jemand gegen Urheberrecht verstößt oder nicht. Und dann? Darf er solange oder darf er nicht?
Nach deutschem Recht darf man – auch wenn das den öffentlich-rechtlichen gar nicht passt – ein Kurzzitat verwenden und unter gewissen, nicht so ganz klaren Umständen, auch ein Langzitat. Kommt darauf an, ob man es mit einem selbständigen Sprachwerk außenherum versieht. Wie will die Software das dann noch prüfen?
Das Ding wird auf jeden Fall fehlerhafte Ergebnisse liefern, false positives und false negatives. Wer soll die überprüfen? Schon bei den jetzigen Filtern stellte sich (siehe Film The Cleaners) heraus, dass das alles nach Manila verlagert und dort beurteilt wird.
Das ist völliger Wahnsinn, was da abläuft. Wieder mal grotesker Politwahn.
Ein wesentlicher Punkt dabei ist, dass Finanzmarktwelt behauptet, das Ding würde von Angela „Neuland” Merkel persönlich durchgedrückt. Da hat denen ähnlich wie bei Pornosperre und Netzdurchsetzungsgesetz wieder irgendein Armleuchter etwas eingeflüstert, und die glauben das blind. Kam ja gerade ans Licht, wie beratergläubig und -abhängig die sind.
Und dann erzählt die uns, man wolle Deutschland digital nach vorne bringen.