Sprachverschiebungen
Einflüsse der Migrationspolitik auf unser Sprachvermögen.
Der NDR berichtet von einem Iraker, der beschreibe, wie man die deutsche Sprache „für alle Beteiligten sehr vereinfachen könnte”.
Blicke von außen auf unsere Sitten und Gebräuche sind stets interessant, aber die Sprache zu vereinfachen erscheint mir als der Versuch, das intellektuelle Niveau radikal abzusenken, denn unsere Sprache ist zwar oft nicht orthogonal, komplex, mitunter unlogisch, aber deshalb noch lange nicht sinn- oder grundlos. Hinter jeder Komplikation steckt eine Ursache. Es ist eben keine monolithische Sprache, sondern das Ergebnis vieler Einflüsse, Dialekte und Sprachen, die sich unter dem Einfluss des Buchdrucks und anderer Medien endlich zu einer einheitlichen Hochsprache konsolidiert hatte. Vom letzten Versuch der Vereinfachung, der Rechtschreibreform, haben wir uns nicht mehr erholt.
Außerdem ist es überflüssig. Denn die „einfache Sprache” und die Presse haben wir schon. Immer mehr Journalisten krebsen ja sprachlich schon am unteren Ende herum.
Was soll es also? In einem zweiten Artikel heißt es dazu:
Eine Etappe auf diesem Weg ist “Deutsch für alle”. Dieses “endgültige Lehrbuch” versucht sehr komisch und sehr konstruktiv, Grundzüge einer Sprache zu entwerfen, die auch Einwanderer aus dem arabischen Raum mühelos (oder sagen wir lieber: muhelos) erlernen können.
Das hört sich doch dann sehr nach invasionsoffen und besenreiner Übergabe an.
Wie wäre es nun also, wenn die Umlaute abgeschafft, obendrein die Zahl der Präpositionen radikal verringert und jedes Verb zur Regelmäßigkeit gezwungen würde? Khider beteuert: “Ich habe doch wirklich keine bösen Absichten!”
Ob sie böse sind, weiß ich nicht. Aber dumm sind sie. Denn was er für Erschwernisse beim Lernen der Sprache hält, sind Hilfen zum Verständnis des Textes. Sie erleichtern dem Gehirn das Erfassen des Satzes und seiner Bedeutung, arbeiten dem neuronalen Verständnisprozess zu. Das hat auch mit Informationstheorie zu tun. Freilich kann man eine Sprache reduzieren und durchorthogonalisieren. Dann fehlt aber die nötige Redundanz, die man zu Verständnis braucht, und es fehlen die im Satz frühen Vorankündigungen des noch folgenden Sinngehaltes. Das wäre was für Leute, die nicht viel denken und nicht viel sagen, und auf Verständnis auch nicht so viel Wert legen. Noch haben wir die hier aber.
Deutlich weiter geht da der Landesintegrationsrat in NRW. In einem Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger (hinter Paywall, aber von vielen Medien offen wiederholt, etwa Presseportal):
Der Vorsitzende des Landesintegrationsrats, Tayfun Keltek, spricht sich dafür aus, an Grundschulen mehr Türkisch, Polnisch und Russisch zu unterrichten. “Ich bin dafür, den Englisch-Unterricht an Grundschulen ganz abzuschaffen – nicht nur in den ersten beiden Schuljahren. Am besten würden Fremdsprachen erlernt, wenn sie von Muttersprachlern vermittelt würden”, sagte Keltek dem Kölner Stadt-Anzeiger (Freitagausgabe). “Etwa ein Drittel aller Kinder in NRW hat einen Migrationshintergrund. Sie sprechen zum Beispiel türkisch, russisch, polnisch. Für die deutschen Kinder wäre es einfacher, sie würden diese Sprachen erlernen. Und die Kinder mit Migrationshintergrund hätten mehr Zeit, sich auf das Deutsche zu konzentrieren”, fügte Keltek hinzu. In Köln hätten 50 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund. “Sie wachsen zweisprachig auf. Es wäre besser, die Kenntnisse in der Muttersprache und in Deutsch zu vertiefen, dann fällt ihnen später auch das Englische leichter”, sagte Keltek.
Was ja im Prinzip heißt, Englisch gleich ganz fallen zu lassen und von Deutsch auf Türkisch umzusteigen. Ein migrantischer Arbeitskollege erzählte mir mal, dass man in als Kind in Berlin umschulte, weil er auf eine Schule geraten war, in der die Kinder nur türkisch gesprochen haben. Er hatte da keine Chance, Deutsch zu lernen. Und türkisch zu lernen hätte ihm gar nichts gebracht. Deshalb haben seine Eltern für ihn eine Schule gesucht, auf der deutsch gesprochen wird. Erst da hat er deutsch gelernt.
Wieso es für deutsche Kinder leichter sein soll, türkisch zu lernen, erschließt sich mir nicht. Jedenfalls nicht in harmlosem Kontext. Es sei denn freilich, man hat die türkische Besetzung ganzer Stadtteile im Sinn, dann ergäbe die Forderung einen Sinn. Einen darüber hinausgehenden Nutzen vermag ich nicht zu erkennen, denn als Urlaubsland taugt die Türkei auch nicht mehr.
Für mich stellt sich eher die Frage, wozu man überhaupt türkisch lernen sollte. Denn wissenschaftlich, kulturell, literarisch hat die Türkei nur sehr wenig, seit Erdogan eigentlich gar nichts mehr zu bieten. Stand neulich, dem laufen gerade die Intellektuellen weg. Englisch dagegen ist eine Sprache (eher Sprachfamilie), die nicht nur weltweit gesprochen wird, sondern in der heute auch Wissenschaft, Kooperation und so weiter erfolgen.
Vielleicht sollte man lieber mal die Gegenfrage stellen: Welchen Sinn hat eigentlich Türkisch als Muttersprache für Leute, die nicht in der Türkei leben wollen? Wozu eine Sprache einschleppen, die keinen erkennbaren Nutzen mit sich bringt? Neulich hatte man uns ja in Deutschland schon vorgehalten:
Deutschland ist vielfältig und das ist manchen zu kompliziert. Im Wechsel der Jahreszeiten wird deshalb eine Leitkultur eingefordert, die für Ordnung und Orientierung sorgen soll. Sobald diese Leitkultur aber inhaltlich gefüllt wird, gleitet die Debatte ins Lächerliche und Absurde, die Vorschläge verkommen zum Klischee des Deutschsein. Kein Wunder, denn eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifizierbar.
Wenn man aber schon in Deutschland aus türkischer Sicht keine spezifische Kultur jenseits der Sprache erkennen will, dann muss man umsomehr auch die Frage nach der Substanz stellen, die die türkische Sprache in Deutschland einbringt. Die kann ich nämlich nicht „identifizieren”. Vielleicht liegt das Problem eher in einer Eltern-Generation, die mitunter 40 Jahre hier lebt und noch immer keinen deutschen Satz zustandebringt. Vielleicht geht es allgemein darum, dass wir hier alle türkisch lernen und sprechen sollen, weil man meint, dass deutsche Kinder leichter türkisch lernen als umgekehrt? Wie kann das überhaupt passieren, dass Kinder, die in Deutschland geboren werden und zur Schule gehen, Türkisch für ihre „Muttersprache” halten?
Vielleicht ist das Problem nämlich ein ganz anderes. Der Präsident des Städte- und Gemeindebundes stellt nämlich fest, dass ein Großteil der Migranten an den Integrationsangeboten erst gar kein Interesse hat und Sprachkurse von vornherein schwänzt.
Deshalb lesen sich solche Sprachforderungen für mich so, dass sich Deutschland so anpassen möge, dass sich arabische und türkische Migranten möglichst wenig anpassen und möglichst wenig lernen müssen, und stattdessen die Deutschen türkisch lernen oder ihre Sprache an das Arabische anpassen sollen.
Letztlich also sollen wir nur noch so eine Art Hoteliers eines Hotels sein, in der nicht der Gast zahlt, sondern für seine Anwesenheit noch bezahlt wird. Denn wie neulich schon erwähnt, schafft es nur ein Drittel der Migranten überhaupt in den Arbeitsmarkt, und das meist auch nur mit Hilfsarbeiten. Zwei Drittel bleiben im Sozialnetz hängen. Arbeiten nicht. Und Sprachen wollen sie offenbar auch nicht lernen. Irgendwann muss man dann mal die Frage stellen, wie sie sich die Existenz hier überhaupt vorstellen. Irgendwann reduziert sich das dann völlig auf Hartz IV und Shisha.
Wenn man solche Forderungen hört, fragt man sich, frage ich mich, was für Absichten eigentlich dahinter stecken, in ein fremdes Land zu gehen.