110.000 Volt
Man lernt immer noch was dazu.
Zum Stromausfall in Köpenick schreibt der Tagesspiegel:
Es war ein Treffer an der denkbar kritischsten Stelle: Um 14.07 Uhr am Dienstag hat eine Baufirma an der Salvador-Allende-Brücke bei einer waagerechten Bohrung im Erdreich zunächst ein 110.000-Volt-Kabel durchbohrt – und zwar alle drei Einzeldrähte, jeder 15 Zentimeter dick. Das fiel zunächst nicht auf, sodass die Firma weiterbohrte und um 14.10 Uhr auch die drei Drähte eines daneben liegenden Kabels zerstörte. Danach wurde es dunkel in weiten Teilen von Köpenick.
Kabel und Reservekabel direkt nebeneinander zu verlegen, damit wenn das eine kaputt geht auch das andere drauf geht, ist jetzt nicht unbedingt so das, was man unter Redundanz versteht. Übrigens in der Informatik ein häufiges Phänomen, das einem viel Ärger bereitet, wenn sich Redundanzen als Scheinredundanzen herausstellen. Ein typisches Beispiel sind hochverfügbare Server aus zwei Geräten. Eine gängige Technik ist, denen jeweils ein eigenes Netzwerkinterface zu verpassen, über das sie sich gegen seitig synchronisieren und auch den Ausfall das anderen erkennen und dann selbst voll übernehmen. Ein gängiger Fehler ist, diese Interfaces mit einem gekreuzten Kabel statt einem Switch (früher Hub) zu verbinden, weil man denkt, dass ein Kabel im Gegensatz zu einem Switch ja nicht ausfallen kann. Der Haken ist aber: Geht bei einem gekreuzten Verbindungskabel eine Maschine ganz runter und hat keinen Strom mehr, dann sieht die andere Maschine keinen Strom mehr auf dem Interface, muss daher annehmen, ihre Netzwerkkarte ist kaputt und schaltet sich auch aus. Die eine fällt aus und die andere führt kurz danach runter. Der beliebte Gegenfehler ist, dann doch einen Switch zu verwenden, damit das dann nicht passieren kann. Damit hat man einen Single Point of Failure, denn wenn der Switch kaputt ist, gehen sie auch beide runter. Man braucht mindestens zwei Verbindungen, über die sie sich austauschen können. Und so weiter und so fort. Hochverfügbarkeit ist ein zentrales Thema. Umso mehr erstaunt es mich, dass man so zwei Kabel direkt nebeneinander verlegt. Dass die also nur 3 Minuten Bohrung voneinander entfernt liegen.
Bei früheren Presseterminen hat er mehrfach das Berliner Stromnetz für seine Sicherheit gerühmt: Es ist vereinfacht gesagt aus vielen Ringen aufgebaut, sodass Techniker im Fall eines Kabelschadens schnell eine Umleitung schalten können. Aber der Bohrer an der Allende-Brücke traf keinen solchen lokalen Ring, sondern eine Hauptschlagader: Von den mehr als 35.000 Kabelkilometern im Berliner Boden seien nur rund 700 Kilometer von dieser Dimension.
Und dann liegen die direkt nebeneinander ohne räumliche Redundanz.
Was mir so aber auch nicht hätte vorstellen können, ist, eine 110.000-Volt-Leitung anzubohren und es nicht zu merken. Das war zwar im Erdreich, und damit war es sofort „geerdet”, aber bei so einer Leitung, die einen ganzen Stadtteil versorgt, hätte ich mir da irgendwie Feuerwerk vorgestellt. Lichtbogen. Gebratene Bauarbeiter.
Der Schaden ist enorm, allein was durch ausgefallene Kühlschränke an Lebensmitteln verdorben ist. Und da belehren sie einen ständig, man möge doch keine Lebensmittel wegwerfen und sie auch nach dem Ablaufdatum noch essen, nichts vergeuden. Dazu natürlich die gewerblichen Ausfälle, Kosten für Notstrom und so weiter.
Einen Brüller hat LIDL dabei geliefert, wie die BZ schreibt:
Bei Lidl am Ende der Allende Brücke hat der Technikchef sein Auto vor der automatischen Tür geparkt, damit keine Diebe reinkommen. „Ohne Strom lässt sich die Tür nicht schließen.“
Schon sehr plünderungsfreundlich. Und kurios. Denn gleichzeitig schrieb mich ein Feuerwehrmann aus einem anderen Teil Deutschlands an, der meinte, er könnte sich nicht vorstellen, was ich gestern abend geschrieben hatte, dass nämlich bei einem früheren Stromausfall – auch in Köpenick – die Feuerwehr nicht mehr loskonnte, weil sie die Türen der Feuerwache nicht mehr aufbekam. Er konnte sich das nicht vorstellen und hat mir erklärt, wie bei ihnen die Rolltore gebaut sind, damit man sie ohne Strom sofort aufbekommt, außerdem hätten sie Notstromaggregate.
Was vielleicht daran liegen könnte, dass die Feuerwachen in Köpenick und anderen Stadtteilen um Berlin über 100 Jahre alt und noch für Pferdekutschen gebaut sind. Anscheinend ist es da mehr oder weniger egal, ob sie das Tor aufkriegen oder nicht, moderne Feuerwehrautos passen wohl eh nicht durch.