Zeitungswürgen und Presseuntote
Interessante Frage: Gibt es einige Zeitungen nur noch deshalb, weil deren Auflösung wegen der Abfindungen zu teuer wäre?
Das muss man Tichys Einblick lassen: Schreiben können sie.
Demzufolge sind einige Zeitungen schon unterhalb von tot und wären längst stillgelegt worden, wenn nicht die Abfindungen für jahrzehntelange Mitarbeiter so teuer wären und die keiner zahlen will. Bleibt also nur, den Laden so ganz langsam austrocknen zu lassen, Leute rauszuekeln, keine Neuen einzustellen, und wenn, dann Billig-Personal.
Mittlerweile ist es wohl so, dass wenn man eine Zeitung kauft, man nicht zahlen muss, sondern noch Geld dazubekommt. Und damit meine ich nicht Exemplar oder Abo, sondern die ganze Zeitung. Wie bei der Bad Bank, man zahlt dafür, dass sich ein anderer den Klotz ans Bein bindet.
Und wenn man dem Artikel glaubt, ist die Funke Mediengruppe sowas wie eine Bad Bank, Endlager oder eigentlich eher ein Sterbehospiz für ganze Zeitungen. Es geht zu Ende, aber man kommt nochmal in ein Zimmer mit einer hübschen Tapete. Nur nie wieder raus. (Also schon, aber dann ist man eben richtig tot.)
Und dass die Süddeutsche Zeitung politisch rot und nicht schwarz ist, spiegelt sich auch in den Zahlen wieder:
62,5 Prozent der Süddeutsche Zeitung wurden 2007 für eine halbe Milliarde verkauft; heute würde man sie voraussichtlich für 20 Pfennig kriegen, wenn man auch ihre roten Zahlen mitnimmt.
Die roten Journalisten währen wohl das größere Problem als die roten Zahlen.
Und 2011 wurde eben Heribert Prantl Chefredakteur. Konnte ja nicht gutgehen. Der hat zwar gestern seine Ämter abgegeben, aber was hilft es einem (schein?)toten Pferd, wenn der Reiter absteigt? Die SZ hat sich ihren Ruf ruiniert und sich zum Käseblatt gemacht.
Die wirtschaftliche Realität steht in auffälligem Kontrast zur arroganten Selbsteinschätzung der Kaputtschreiber. Glücklich und klug ist, wer eine Tageszeitung rechtzeitig verkauft hat. Dumm dran ist, wer gekauft hat. Sie leben noch, diese Zeitungen, weil wegen des deutschen Arbeitsrechts die Abwicklung zu teuer ist. Jahrzehntelang Beschäftigte können nur mit extrem hohen Abfindungen entlassen werden. Deswegen scheitern derzeit Verkäufe. Niemand hat die Kohle für die Stilllegung von Druckzentren, Bürokratien und Redaktionen. Daher ist es ein Sterben auf Raten.
Warum auch nicht? Sterben auf Raten passt doch, es war ja auch oft ein Schreiben durch Raten. Und was nun wirklich stimmt, ist die Arroganz und Selbstüberschätzung der Branche. Bedeutet aber auch, dass sie Untote sind: Leben nicht mehr, sind aber nicht richtig tot und laufen noch rum.
Denkt man drüber nach, dann bleibt vielen auch nichts anderes als die Insolvenz, dann wird man die Leute ohne Abfindung los.
Die deutschen Tageszeitungen haben in den vergangenen Jahren ihre Leser aus den Augen verloren. „Fakten, Fakten, Fakten, und immer an den Leser denken!“ Erinnern Sie sich? Marktwort? Focus? Ist lange her. Focus und Stern und Spiegel haben ihre Auflagen halbiert, taumeln von historischem Tiefstand zu Tiefstand, der Virus hat längst auch DIE ZEIT erreicht. Egal, ob man Lügenpresse sagt oder Lückenpresse, Mainstream-Medien oder Einheitszeitung, Relotius-Presse oder Systempresse – der Wörter sind viele, oft übertrieben, manchmal bösartig und ungerecht. Aber sie sind Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit mit den Medien. Sie sind ein Warnsignal. Es wurde konsequent überhört und die Überbringer beschimpft, klar, wer meckert, ist mindestens ein Rechter. Der Herde hat im Pferch erlaubter Meinung zu bleiben. Aber Medien sind für die Leser da, nicht für die Redakteure, die genau das vergessen haben. Zeitungsredakteure sind rot-grün und immer ganz vorn. Derzeit allerdings am Abgrund. Denn die Leser fragen: Warum eine Zeitung oder Zeitschrift kaufen, wenn sie mich beschimpft? Nicht über das berichtet, was mich erschreckt, erschüttert, beschäftigt – warum eine Zeitung kaufen, die jeden Mord als „Einzelfall“ abhandelt, wo doch erkennbar ist, dass viele gleichartige Einzelfälle eine Wahrheit jenseits der Einzelfälle ergeben? Warum sich ständig belehren, beschimpfen, beleidigen lassen – und dafür zahlen?
Eben. Die Presse war eine Branche, die ganz bewusst und aus purer Überheblichkeit ihre Kunden in die Flucht geschlagen hat.
Gehört haben sie nicht. Verstanden, was man gesagt hat, haben sie auch nicht.
Für einige Zeit hat wenigstens noch Hate-Speech funktioniert: Derbe Beleidungen auf unterstem Niveau waren das Einzige, was sie kommunikativ wenigstens noch halbwegs verstanden haben. Aber auch da ist inzwischen eine Eigenimmunisierung eingetreten.
Mal sehen, ob sie es merken, wenn die monatliche Gehaltszahlung ausbleibt.