Es wird Zeit für die Bremsraketen…
..und den Rücksturz zur Erde.
Jetzt habe ich eine Woche New York hinter mir, und bin, naja, etwas erschöpft.
Die Nacht von Samstag auf Sonntag hatte ich praktisch nicht geschlafen, weil ich über die nackte Frau auf der Straße und die Musicals bis morgens um zwei gebloggt hatte, obwohl ich eigentlich wusste, dass ich gegen 6 schon wieder raus muss, weil ich ja pünktlich um viertel vor acht in Harlem zur Harlem Gospel Tour sein musste (d.h. wollte, zwang mich ja niemand). Allerdings war es hier ziemlich laut, diese nach oben offenen cubicles sind ja ziemlich hellhörig, man hört jedes Geräusch der anderen Buden, und am Wochenende ist es hier ziemlich voll, also viele Lärmquellen, und ständig raschelte oder hustete irgendwer, dann kam noch ständig Feuerwehr oder irgendwas mit Sirenengeheul vorbei, und im Ergebnis kam ich dann nicht zum Schlafen. Um kurz vor fünf saß einer drei Buden weiter in seiner Bude und telefonierte entdlos. Zwar mit gedämpfter Stimme, aber es reicht, um mich zu wecken oder wachzuhalten, weil da einer endlos blubberte. Um 5.15 machte ich mich also auf um zu lokalisieren, woher das kam, um ihn dann von direkt außerhalb seiner Tür (man hört das ja drinnen, dass es aus der Nähe kommt) darüber zu informieren, dass ich zu schlafen wünschte, und ihn so unflätig wie erfolgreich zu beleidigen.
Schlagartig war Ruhe. Sofort. Völlige Ruhe.
Nur dachte ich dann, dass es das jetzt auch nicht mehr bringt, noch eine dreiviertel Stunde zu schlafen, davon würde ich nur noch müder und käme nicht mehr hoch, während ich jetzt gerade voll wach bin. Außerdem sei es problematisch, erst durch Druckbeleidigung für Ruhe zu sorgen und sich dann um 6 vom Wecker wecken zu lassen. Also schaltete ich den Wecker aus und machte mich dann vorzeitig auf den Weg um Reservezeit zu haben (die ich nicht brauchte) und vor der Tour eben in Harlem zu frühstücken.
Dort sind wir dann zwei Stunden zwecks Besichtigung und seltsamer Ausführungen (der Tourguide war Puertoricanerin mit brachialem Akzent und sehr gewöhnungsbedürftigem Humor, die zudem meinte, uns Gospel durch Gesangsproben erläutern zu müssen, obwohl sie nun wirklich gar nicht singen konnte und etwa so sang wie Andrea Nahles. Um 10.15 schließlich wurden wir dann im schwarzen Gottesdienst einer großen Kirche abgeladen, am dem wir freundlicherweise teilnehmen durften.
Die ganze Kirche ist gebaut wie ein Muscialtheater. Es gibt auch die Emporen, dazu große Toilettenanlagen (habt Ihr in Deutschland schon mal Kirchen mit Toiletten gesehen?), Orchestergraben, Lautsprecher, hinter dem Pfarrer eine riesige Displaywand, abwechseln mit Bibelversen im Powerpoint-Design und Livekamerabildern des Chors und des Pfarrers aus wechselnden Perspektiven, dazu eine Lichtshow mit wandernden Scheinwerfern. Nix Kanzel und Altar und so, für den Pfarrer reichte ein gewöhnliches Stehpult, dafür hatten sie dann im Wechsel aber auch drei verschiedene Prediger.
Zuerst mal hat eine Gruppe aus 7 Leuten unter Begleitung eines ganzen Orchesters Gospel Vollgas gesungen, schnell, volle Kanne, ekstatisch, gut. Schade nur, dass die Lautsprecheranlage miserabel eingestellt war und die häufig übersteuerten.
Man kann es nicht anders sagen: Gottesdienst wie ein Musical.
Selbst die Pfarrer steigerten sich da voll rein und schrien förmlich ins Mikro, ständig durchsetzt von Rufen wie „God is good” oder „In the Name of Jesus!”
Dazu ständig Rufe aus dem Publikum wie „Amen” oder „God is good” oder „Halleluja!”
Das muss man echt mal miterlebt haben. Das hat überhaupt nichts mehr mit dem zu tun, was man in deutschen Kirchen so erlebt. Und man versteht so ein bisschen den Hintergrund von „Sister Act”.
Dafür lassen sie dann zur Kollekte gleich ganze Plastikeimer rumgehen. In der Tourbeschreibung stand, dass man als Gegenleistung für die Teilnahme etwas reinzuwerfen hat.
Da merkte ich aber schon, dass ich mitten in der Supershow zweimal in Sekundenschlaf gefallen bin.
Dann bin ich in Harlem noch Mittagessen gegangen, und habe dabei schlicht vergessen, dass ich eigentlich direkt daran zum jüdischen Straßenfest mit jüdischem Essen und Klezmer-Musik wollte. Dummerweise aber brachte mich da der Google-Kalender durcheinander, der inzwischen sämtliche Termine zwangsweise mit Zeitzone versieht, per default immer die des Browsers, von dem man etwas einträgt. Wenn man also in Deutschland einträgt, dass ein Termin um 10.00 stattfindet, rechnet das Mistding das auch dann, wenn man keine Zeitzone angegeben hat, automatisch um, wenn das Handy, auf dem man das anschaut, in einer anderen Zeitzone steckt, und das nun tut es automatisch, wenn man eine SIM-Karte reinsteckt. Irgendwie hatte ich es nicht geschafft, sämtliche Termine korrekt einzustellen und war deshalb etwas im Unklaren darüber, welcher Termin und wie und wann, irgendwie dachte ich, ich hätte noch Zeit und das Straßenfest wäre erst nachmittags. War nach dem Mittagessen aber schon groggy und bin erst mal zurück ins Hotel gefahren, um mich mich umzuziehen, weil für die Harlem-Tour wegen der Kirche lange Hosen vorgeschrieben waren, die mir aber zu warm wurden. Ich hatte zwar welche mit abnehmbaren Hosenbeinen an, wollte aber auch nochmal duschen und aufs Klo. Hinterher merkte ich dann, dass ich das jüdische Straßenfest halb verpennt hatte und die Hälfte schon rum war, ich also sofort wieder in die U-Bahn und dorthin. War aber enttäuschend und etwas ganz anderes. Denn eigentlich hatten sie die 6. Avenue über ganz viele Straßen hinweg komplett gesperrt und mit Fress- und Tünnefverkaufsbuden vollgepackt, irgendso ein Straßenfest halt, und lediglich auf einem kurzen Abschnitt davon, zwischen der 48. und der 49. Straße, waren die Buden halt jüdisch.
Kaum kam ich da jedoch hin, wurde ich von zwei jungen Frauen in blau-weißer Kleidung und Aufdruck von irgendeiner jüdischen Organisation quasi „überfallen”, die mich bequasselten, dass ich doch bitte meine Unterschrift auf ihre Unterschriftenlisten setzen möge, sie setzten sich dafür ein, dass auch illegale Immigranten in Amerika (oder New York, wurde mir nicht so ganz klar) den Führerschein machen könnten.
Eigentlich war meine Lust auf das jüdische Straßenfest da schon wieder verflogen.
Ich sagte ihnen recht deutlich, dass ich in diesem Lande hier nur zu Gast bin, und mich auch wie ein Gast zu benehmen gedächte, mich also nicht in die lokale Politik einzumischen gedenke. Wären sie zu Besuch in meinem Land, würde ich von ihnen erwarten und verlangen, dass sie sich wie Gäste benehmen und sich aus unseren Angelegenheiten heraushielten, und nichts anders könnte ich nun von mir selbst erwarten. Deshalb würde ich hier keinerlei politischen Unterschriftslisten unterschreiben. Da waren sie etwas baff, meinten dann aber, das klinge plausibel, das wäre so betrachtet richtig.
Mache ich immer so. Ich will hier partout nicht in irgendeiner Richtung als politisch aktiv auftauchen, wenn ich nur Tourist bin. Ich beobachte, ich nehme zur Kenntnis, aber ich verhalte mich neutral. Als Gast.
Beobachtet und zur Kenntnis genommen habe ich, dass sie einen stand mit Scherenschnitten (aus farbigem Papier) von jüdischen Superstars hatten. Am größten und prominentesten ausgestellt: Karl Marx.
Da ging mir so durch den Kopf, dass es mit der Bildung nicht allzuweit her sein kann, denn gerade erst ein oder zwei Tage vorher war ich hier ja im jüdischen Museum, dessen eigentlich fast einziger Bestandteil die Holocaust-Ausstellung ist, und in dem man zur Erläuterung, wie das alles angefangen hat, ein altes Nazi-Propagandaposter ausgestellt hatte, in dem ein riesiges krummnasiges rotes Monster godzilla-mäßig die Städte vernichtet und übersät ist mit drei Symbolen: Judenstern, Hammer, Sichel. Ich hab’s fotografiert, muss das Foto aber noch raussuchen. Als ich in diesem Museum stand, ging mir so durch den Kopf, was ich vor längerer Zeit mal über das (dort ebenfalls ausgestellte) „Mein Kampf” schrieb: Nämlich dass aus Hitlers Sicht (oder besser gesagt: Seiner Darstellung. Ob die mit seiner Sicht identisch war, wäre zu diskutieren) die Motivation in der Abwehr des Kommunismus lag, den er irgendwie als mit den Juden deckungsgleich betrachtete und der Meinung war, dass man den abstrakten, ideellen Kommunismus abwehren können, indem man ersatzweise Juden körperlich vernichtet, weil eben körperlich greifbar.
Ob es schlau ist, einerseits dieses Propagandaposter im jüdischen Museum zu zeigen, andererseits Scherenschnitte zu präsentieren mit Marx als jüdischem Superstar, wage ich zu bezweifeln.
Und ob es schlau ist, sich für illegale Immigranten einzusetzen, während bei uns durch Immigranten der Antisemitismus neu entsteht und die Holocaust-Gedenkstätten zunehmen von Fans besucht werden, wage ich ebenfalls zu bezweifeln.
Irgendwie kam ich da zu dem Eindruck, dass auch dieser jüdische Kulturkreis, der hier in New York sehr stark vertreten ist, man sieht ja überall Leute mit Kippa, den Schläfenlocken, den Zipfeln der Gebetsschals, das große Fotofachgeschäft B & H, das am Sabbat geschlossen hat, inzwischen auch von linken Aktivisten komplett durch- und unterwandert ist.
Das Essen fand ich nicht übermäßig attraktiv, zumal ich ohnehin satt war.
Dafür war die Klezmer-Musik gut, wurde aber nur hin und wieder gespielt. Ich wollte es aufnehmen, wurde aber ständig von Leuten angerempelt, die da auf jüdische Weise tanzen wollten, also in einer Reihe, an den Händen fassen, und dann seitlich im Kreis und so.
Da war ich dann stehend KO und so müde, dass ich kaum noch auf einer Parkbank sitzen konnte, ohne sekundenschläfrig vornüber zu kippen, und bin zurück ins Hotel gefahren. Da dachte ich mir dann, es muss so gegen 17.00 Uhr gewesen sein, ach, jetzt ein Stündchen schlafen, und habe bis heute morgen um 8 durchgeschlafen. Deshalb gab’s gestern auch keinen Blog-Eintrag.
Jetzt gibt’s noch zwei Tage Reste besuchen, Museen und was noch so offen ist, und dann war’s das mit dem Kurzurlaub.