Bin ich denn hier der Einzige, der zum Scheißen die Tür zu macht?
Mein cultural clash. [Nachtrag]
Also die Sache ist die: Ich bin ja hier nun – dazu ob der vielen Anfragen in Kürze noch mehr – in einer vergleichsweise günstigen Unterkunft, die – wie übrigens bei ziemlich vielen Hotels der bezahlbaren Kategorien in Manhattan, das ist hier durchaus üblich – kein eigenes Bad im Gästezimmer, sondern ein Sammelbad pro Etage haben. Das ist hier halt oft so. Auch nicht allzu schlimm, weil sie es mehrmals täglich reinigen.
Mich stört – wider eigenes Erwarten – auch nicht oder nur halbkaum, dass das Zimmer so winzig ist.
Was mich aber stört, ist die Geräuschkulisse. Obwohl selbst die in den meisten Tagen ging, aber bei der höheren Belegung am Wochenende war es dann schon lästig. Diese cubicles sind nämlich zur Belüftung oben komplett offen, nur mit einer Art Gitter (wie Jägerzaun) abgedeckt, über dem nochmal ein Mückennetz liegt, und belüftet wird das ganze über eine große Klimaanlage, die an der Decke entlang über alle diese Cubicles geht. Entgegen den Vermutungen mancher Leser ist das mit der Belüftung unkritisch, es ist gar nicht stickig. Im Gegenteil, es gibt so einen ganz leichten, kaum merklichen Luftzug, Klimaanlage eben.
Was mir aber eben auf den Wecker geht, ist die Geräuschkulisse. Die meisten halten sich an die Nachtruhe von 9pm bis 9am, aber manche kapieren’s einfach erst dann, wenn man ihnen sagt, dass sie stören.
Und dann gibt’s noch das Klo.
In einer Ecke der Etage ist das Etagenbadezimmer. Nur eins, sie trennen die Etagen nach Männlein und Weiblein.
In diesem Badezimmer hat es drei Klokabinen, zwei Waschbecken und eine Dusche. Reicht, nur am Wochenende musste ich mal ein paar Minuten warten.
Nun ist die Sache aber die: Amerikaner sind extrovertiert. Auch beim Scheißen. Sie sind quasi zwanghaft damit beschäftigt, das durch ergänzende Geräusche wie Grunzen, Stöhnen, Singen, erleichtertes lautes Ausatmen zu kommentieren und der Welt die kraftvoll-erfolgreiche, problemlose und durchsetzungsstarke, enorme und erstaunliche Verrichtung mitzuteilen und wertend zu versichern. So ein einfaches er kam, sah und kackte geht da nicht.
Dazu muss man wissen, dass der Stuhlgang in Amerika einen anderen kulturellen Stellenwert besitzt und gänzlich anders gesehen, im Schamgefühl ganz anders verortet wird. Legendär sind die Toiletten amerikanischer Armeeeinheiten, die sowas wie Kabinen oder Wände erst gar nicht kennen, sondern einfach in einem großen Raum 20 Kloschüsseln in zwei Reihen gegenüber an den Wänden stehen, so wie bei uns die Sammelduschen in Sporthallen.
Auch außerhalb der Armee ist es schwierig, sein Geschäft ohne Zuseher zu verrichten, wenn nicht zuhause. Die klassische amerikanische Klokabine in öffentlichen Toiletten ob nun in den besten Hotels, Musicals, eigentlich überall, ist ein einfacher Verschlag, dessen Tür kaum mehr als die Saloontür des wilden Westens ist. Unten fängt sie erst auf Kniehöhe an, weshalb man schon damit den gesamten Bestand heruntergelassener Hosen bei „Verrichtenden” samt Unterhosen sehen kann, ob man will oder nicht. Links und rechts schließen die Türen aber nicht mit der Kabine ab, sondern haben stets eine Spaltmaß zwischen der Breite eines Daumens oder Zeige- und Mittelfinger. Geht man dran vorbei, sieht man alles. Nicht stereoskopisch, weil normalerweise dann doch nur mit einem Auge, aber ansonsten in voller Pracht.
Die Amerikaner finden das normal.
Ich kann mich an eine Szene aus meiner Rundreise von 1999 erinnern, als wir nach längerer Fahrt endlich an eine Raststätte kamen, ein Australier nun wirklich ganz fürchterlich und nicht mehr länger zu halten musste, und es dort nur eine Klokabine gab, an der die Tür ganz fehlte (defekt, abgerissen). Ihm war das sehr peinlich, alle Nichtamerikaner bewegten sich rücksichtsvoll-schamhaft aus dem Sichtbereich, um ihn da alleine werkeln zu lassen, nur die Amerikaner fanden das normal, einfach dabeizustehen und sich mit ihm über irgendetwas zu unterhalten.
Dazu kommen dann die amerikanischen Toiletten, die es auf eine Art und Weise, die ich technisch noch nicht verstanden habe, schaffen, beim Spülen einen großen Strudel zu erzeugen und alles vollständig abzusaugen, ohne den Gebrauch einer Klobürste vorzusehen. In der Wirkung beeindruckend, in der Geräuschkulisse rabiat.
Und so kommen denn auf amerikanischen Toiletten zwei Dinge zusammen, die nicht in jedermanns Ohren zusammenpassen: Extrovertiertheit und die Geräuschkulisse XXL.
Problematisch wird das, wenn man in einem Etablissement wie dem hiesigen nächtigt, in dem der Schall in alle cubicles getragen wird.
Ich halte es (nicht nur) deshalb eigentlich so, wie ich es immer halte: Beim Betreten und Verlassen des Badezimmers schließe ich die Tür. Ergänzend aus olfaktorischen Beweggründen heraus, die ich hier nicht weiter vertiefen möchte.
Hier aber fiel mir auf, dass die Badezimmertür nicht nur ständig offenstand, egal, wann man kam, sondern dass wirklich und ausnahmslos jeder beim Reinkommen die Tür sperrangelweit offen stehen lässt und sie nie wieder schließt. Und wenn ich sie schließe, sie dann beim Rausgehen aufmacht und offen stehen lässt. Zwar machen sie dann zumindest für die größeren Transaktionen die Kabinentür zu, aber selbst das für die kleineren Deals im Stehen auch nicht immer. Tag der offenen Tür.
Ich fand das so erstaunlich, dass ich es eingehend beobachtet habe, um mir zu versichern, dass ich nicht auf besondere Einzelfälle hereingefallen bin, und tatsächlich, es ist so. Sie lassen alle die Badezimmertür offen, auf dass jeder akustisch am frohen Geschäft und dem Erfolg der Verrichtung teilhabe.
Ich habe mir dann mal einen jungen Mann gekrallt, den ich beobachtet hatte, wie er die Tür, die ich gerade vorher geschlossen hatte, offen ließ, um zu pinkeln, und ihn beim rausgehen gefragt, warum er eigentlich die Tür offen lässt.
Er glotzte mich fassungslos an, ungläubig, ob ich das gesagt haben könne was er gehört hatte.
Ich nochmal: Als Du reinkamst war die Tür geschlossen. Du hast sie aufgemacht, aber nicht wieder geschlossen. Warum nicht?
Er so völlig verdutzt, wendet sich der Kabinentür zu und sagt „Aber ich habe sie doch zugemacht…”
Ich: Jene da, aber ich rede von dieser hier. (Die Badezimmertür, vor der wir gerade standen.)
Er guckt, als hätte ich die Tür gerade hingezaubert, als wäre sie eben noch nicht dagewesen.
Verdattert meint er, sie wäre doch offen gewesen, aber er hätte sie nicht offen gelassen, und wollte schon so tun, als wäre er nie durch die Tür, sondern durch die Wand gelaufen.
Ich so: Doch, die war zu, die hatte ich nämlich selbst vorher zugemacht. Warum hast Du sie offengelassen?
Er: … äh … das wollte ich nicht („I didn’t mean to…”)
Der hatte die Tür überhaupt nicht wahrgenommen. Bis ich ihn mit der Nase drauf stieß hatte der überhaupt nicht bemerkt, dass da eine Tür ist.
Weltmodell, erste Version
Mein Weltbild schien nun geschlossen und konsistent. Sie nehmen die Tür nicht wahr. An manchen, nicht an allen, aber doch an vielen öffentlichen Plätzen gibt es nämlich auch keine Türen zum Toilettenbereich, sondern sie haben gelegentlich nur solche Wege, bei denen man um die Ecke hinter irgendwelchen Mauern um die Ecke geht. Vielleicht sind sie mit sowas aufgewachsen. (Obwohl es auch genauso viele Orte mit Tür zum Toilettenbereich gibt, aber die haben normalerweise Türschließer.
Wie dem auch sei, ob nun konsistent oder nicht, meine Neugier war zunächst befriedigt, ich konnte das Problem zumindest als bearbeitet und verstanden abheften und mich anderen Problemen zuwenden.
Weltmodell, Revision
Dann passierte etwas, womit ich nicht gerechnet hätte, und was mein Weltklotürmodell einfach so zertrümmerte.
Ich stand morgens um 20 vor 6 alleine im Badezimmer, Morgenwäsche am Waschbecken, Rasieren und Zähneputzen vor dem Gang in die Dusche. Tür geschlossen. Hatte ich gerade schon mehrmals zugemacht.
Ein älterer Amerikaner kommt rein und geht auf’s Klo. Ich mache die Badezimmertür hinter ihm zu. (Badezimmer, nicht Klokabine.)
Er kommt nach getaner Verrichtung wieder raus, und tut etwas, womit ich wirklich überhaupt nicht gerechnet hätte: Er geht vom Klo zum zweiten Waschbecken, um sich die Hände zu waschen (schon das für Amerikaner nach meinen Beobachtungen hier eher ungewöhnlich), und macht im Vorbeigehen an der Badezimmertür so ganz beiläufig die Tür auf und lässt sie offen ohne durchzugehen.
Er hat sie also nicht aufgemacht, um durchzugehen, und sie dann offen gelassen, er hat sie gezielt aufgemacht, damit sie offen steht.
Da war ich überaus verblüfft und fragte ihn, warum er denn jetzt die Tür aufgemacht habe.
Er reagierte hörbar pampig und in verärgertem Ton mit „We usually do it”.
Nicht mit Angabe eines Grundes, sondern so wie „Das machen wir hier so!”. Als hätte ich ihn durch Verletzung einer Sitte beleidigt. Und fügte in herablassend belehrendem Ton hinzu, das könne ja jeder halten, wie er wolle. Wenn ich sie lieber zu hätte, könnte ich sie ja zu machen. (Was nicht stimmt, denn an dem Morgen hatte ich sie ja schon fünfmal zugemacht.)
Ich antwortete ihm, dass es ja eigentlich nicht um mich ginge, ich wäre ja gerade im Badezimmer, sondern um die da draußen, die schlafen wollen.
Die lassen die nicht aus Unachtsamkeit oder weil sie verwöhnt sind offen, aus irgendwelchen Gründen meinen sie, dass die Badezimmertür einfach auch während der Verrichtung offen zu stehen habe.
Das Denkschema ist: Ich habe keine Geheimnisse, mir kann jeder gerne zusehen. Ich habe nichts zu verbergen.
Auf die Idee, dass die anderen vielleicht lieber schlafen als zuzuhören, kommen die erst gar nicht. Genausowenig, wie sie ohne Hinweis anderer drauf kommen, dass Unterhaltungen oder Telefonate andere beim Schlafen stören könnten.
Der Brüller
Kommen sie aber herein, während man gerade unter der Dusche steht und sich noch bei offenem Vorhang aus- oder wieder anzieht, dann ist ihnen das sehr peinlich, sie entschuldigen sich sofort und gehen auch sofort raus.
Fazit
Ich kann ja zumindest grundsätzlich ganz gut mit (den meisten) Amerikanern, aber mit manchen ihrer Marotten hab ich so meine Gewöhnungsprobleme. Ich merke das immer wieder, dass die irgendwie anders strukturiert, von vornherein anders gestrickt sind.
Es blitzen aber immer wieder Verhaltensmuster auf, die von den meinigen doch grundsätzlich abweichen.
Weiter geht’s mit dem Fortsetzungs-Blogartikel Über das Wesen der Klotür an und für sich unter besonderer Berücksichtigung nordamerikanischer kultureller Aspekte, man beachte aber auch Das kulturelle Konzept der Klotür von der letzten Reise.
Nachtrag: Ein Leser hat mir gerade die passende Szene aus „Sex and the City” (spielt in New York) getwittert: