Eine asiatische Sichtweise
Manchmal muss ich meine durch Reisen erworbenen Kenntnisse der Welt auspacken, um das Dasein im Hier und Jetzt zu verstehen.
Versteht mich nicht falsch.
Ich will vorausschicken, dass ich sehr zufrieden bin. Also, zumindest was das Thema dieses Blogartikels angeht. Mein Blog im Ganzen handelt ja davon, dass ich tendenziell unzufrieden bin, sonst würde ich ja nicht bloggen.
Was bis hierhin eine völlig wertlose Aussage ist, weil selbst der geneigte Leser bis zu dieser Stelle doch erhebliche Schwierigkeiten haben dürfte zu erkenne, worum es in diesem Artikel hier überhaupt geht. Oder?
Ich habe etwas bestellt.
Eigentlich tut es für das Thema dieses Artikels überhaupt nichts zur Sache, was es war, es kommt darauf nämlich überhaupt nicht an und hilft auch beim Erkennen des Themas nicht weiter.
Ich erzähl’s Euch trotzdem.
Ihr könnt Euch vielleicht erinnern, dass ich vor einem Monat über umweltfreundliche Strohhalme und tödliche Stahlhalme geschrieben hatte. Eine Frau hatte sich aus Umweltschutzgründen und wegen der soziokulturellen Ablehnung von Plastiktrinkhalmen welche aus Edelstahl zugelegt, die man wiederverwenden kann, war mit einem Krug in der Hand mit solcherlei Halm gestürzt, hatte sich den durch das Auge ins Hirn gejagt und war daran gestorben.
Viele Leser hatten mir dazu geschrieben. Manch einer verwies darauf, dass die einzig wahren und umweltfreundlichen Strohhalme eben jene seien, die den Namen verdienten, nämlich selbwelche aus Stroh. Da las ich aber neulich, dass es irgendwelche gesundheitlichen Probleme gibt, irgendwas mit Schimmelpilzen. Ein anderer beklagte, die Mail finde ich gerade nicht, dass sich herausgestellt habe, dass die Papierhalme, welche ich rückblickend in meine Jugend als damals üblich und selbstverständlich erwähnt habe, und die nun irgendein McDonalds eingeführt habe, sich als umweltschädlicher als die Plastikhalme herausgestellt hatten.
Wider mein überzeugtes Erwarten hatte sich allerdings kein Hannibal Lecter bei mir gemeldet der gesagt hätte, dass der Stahlhalm bei der besagten Dame doch genau da gelandet wäre, wo er aus kulinarischen Erwägungen auch hingehörte, vielleicht noch etwas Zitronensaft dran.
Nein, das alles ist überflüssig, denn es hilft Euch bisher kein Stück dabei weiter, zu verstehen, wovon dieser Blogartikel eigentlich handelt.
Die Sache ist nämlich die:
Der Grund, warum ich damals überhaupt über Stahlhalme geschrieben hatte, war, dass ich nach einem Mittagessengespräch mit einem Kollegen (wir haben jeden Tag ein anderes Thema) auf Umweltschutz, Plastikgabeln und so weiter gekommen waren und wir anlässlich des Umstandes, dass der Sushi-Asiate unserer Wahl auch dann, wenn man vor Ort isst, alles in Wegwerfplastikschüsseln, wie sie eignetlich zum Mitnehmen gedacht sind, serviert, und der Kollege penetrant dadurch auffällt, dass er darauf besteht, sein Sushi auf einem normalen Teller gereicht zu bekommen.
Wer jetzt denkt, dass wir uns auf dem Wege Sushi der titelzeiligen asiatischen Sichtweise annähern, der liegt falsch.
Im Verlaufe unseres Gespräches nämlich kamen wir auf die Überlegung, ob es hygienisch zu beanstanden sei, wenn man sein eigenes Besteck mitbringt, falls ein Gastwirt partout nur Plastik reichen will, oder man nach Eintreten der EU-Verbote nur noch Ersatzprodukte fern jeder Praxistauglichkeit bekommt.
Ich verfüge tatsächlich über eine Auswahl verschiedener Reisebestecke, vom klassisch-schweren Bundeswehrbesteck bis hin zum modernen Ultraleichtgerät aus Titan, hatte mir auch mal für etwa 3 Euro so kleine Taschenbestecke aus Asien bestellt, für deren Einsatz man aber auch über asiatisches Gemüt und asiatisch kleine Hände verfügen muss, die sind so klein, dass ich das Messer als Zahnstocher verwenden könnte, und die Gabel motiviert mich zu dem Gedanken, mir damit die Nasenhaare wie Spaghetti aufzuwickeln. Und der Löffel … ach lassen wir das. Es ist halt so Puppenstubenbesteckchen. Auf dem Produktfoto war die Größe nicht zu erahnen.
Im unvermeidlichen Onlineversand war ich beim Stöbern auf eine etwas vertrauenswürdigeres Set gestoßen, das auch umfangreicher war als die sonst üblichen, weil es über Messer, Gabel, Löffel in gebrauchsfähig wirkender Erscheinung hatten, dazu aber auch Essstäbchen aus Edelstahl (sowas hatten die Puppensets schon), aber auch – Brüller – zwei unterschiedliche Trinkhalme aus Edelstahl samt Reinigungsbürste. Was die Phantasie anregte. Denn ein anderes Restaurant unserer meisttäglichen Mittagsrunde reicht Trinkhalme aus Glas, bei denen ich mir schon so meine Gedanken über Reinigungsprozesse und Hygiene sowie die grundsätzliche Gefährlichkeit des Glasbruchs gemacht hatte. Auf der Suche nach derart grundsätzlichen Fragen war ich auf die per Stahlhalm perforierte Unglückliche gestoßen.
Um mich damit endlich mal dem Thema dieses Blogartikels zu nähern: Solcherlei Zusammenstellung versprach Material für weitere Blogartikel, weshalb ich mich durchgerungen habe, eine Summe von nicht weniger als 9,99 Euro zu investieren, um in den Besitz eines solchen Sets zu gelangen und über den Gebrauch von Stahlhalmen beim täglichen Mahl zu schreiben, nicht ohne ihn dem Härtetest eines bei einem anderen Asiaten unserer Runde gereichten Mago Lassi zu unterziehen. Ich grübelte bereits, wie oft es mir gelänge, nach den besagten Mittagessen unter Einsatz besagter Flaschenbürste selbigen Stahlhalm zu reinigen, bis der kollegiale Spott einsetzen würde oder ich keine Lust mehr hätte. Und wieviel Substanz der Sorte Mango Lassi auf dem Rückweg bis zum Erreichen der Küchenspüle wohl in meiner Tasche landen würde.
Den Leser muss ich derweil enttäuschen, auch das hat alles nichts mit dem Thema des Blogartikels zu tun.
Gestern abend aber hatte ich mich gewundert, dass das Set noch nicht eingetroffen ist.
Mehr noch hatte ich mich gewundert, dass auf der Liste der Bestellungen verzeichnet war, dass es bereits Ende Juli zugestellt worden sei.
Versteht mich nicht falsch, um den Eingangssatz von oben aufzugreifen. Ich bestelle ziemlich viel Kleinkram, Foto- und Elektronikkrimskrams in China. Und war bisher immer zufrieden. Kein Grund zur Beschwerde. Einmal war etwas zerdrückt worden, da reichte ein Handy-Foto und sie schickten es neu. Selbst für meine tollkühnen Paketversandstunts, die ich gerne vollführe, wenn ich bei Reisen wieder mal verpennt habe, irgendein ungemein wichtiges und unverzichtbares kleines Sonderteil rechtzeitig vor Abreise zu bestellen, sind die gerne zu haben, schon mehrfach bin ich andere Erdquadranten gereist um dann dort bei Ankunft an der Hotelrezeption die Sendung punktgenau in Empfang zu nehmen. Einmal dachte ich, ein paar eher sockenartiger Wasserschuhe hätten mich verfehlt, aber das hatten sie nur zeitlich. Sie waren zwei Stunden nach Abflug zuhause angekommen und lagen dann 5 Wochen bei der Nachbarin.
Hat bisher immer alles geklappt, aber es gehört eben auch dazu, dass der Versand oft 3 Wochen oder länger dauert. Keinerlei Anlass zur Klage, sofern man rechtzeitig bestellt. Ich betone ausdrücklich, dass ich zufrieden bin.
Besagtes Besteck war nicht eingetroffen und ich nun schier untröstlich darüber, dass es mir deshalb nicht gelänge, praxisorientierte realistische Blogartikel über den Einsatz von Stahltrinkhalmen unter realistischen Bedingungen zu fertigen. Ich will ja schließlich meinen Beitrag zur Klimadebatte leisten und da nichts schuldig bleiben. Zudem trage ich mich in der Hoffnung, die ein oder andere politische Klimaschützerin zur Anschaffung von Stahlhalmen animieren zu können. Der Genesung ihrer Umwelt wegen.
Zutiefst frappierend fand ich jedoch, dass auf der Webseite nun behauptet würde, ich hätte die Lieferung erhalten, obwohl ich mich beim besten Willen nicht erinnern könnte, das Ding bekommen zu haben. Gabeln – OK, die kann man schon mal übersehen. Stäbchen sind auch nicht mehr so der Brüller. Aber den Stahlhalm hätte ich ganz sicher nicht übersehen, sowas sticht ins Auge.
Also meldete ich auf der Webseite, dass ich das Paket nicht erhalten hätte.
Und bekam heute die Antwort:
Ich möge eine obskure chinesische Webseite beklicken, die mir überzeugend bestätigen würde, dass ich das Paket doch erhalten hätte. Solcherart überzeugt möge ich dann da bitte anklicken, dass ich es erhalten hätte, und die Sache sei gut und erledigt.
Mir drängte sich zunächst die Frage auf, ob die mich verarschen wollen, doch dann meldeten sich meine Reiseerfahrungen und erinnerten daran, dass die Harmonie der Übereinkunft dort im Wert höher steht als schnöde Realität und garstig Widerrede.
Der Verlust von 9,99 wäre zu verschmerzen, aber mich grämt das Bedauern darüber, dass solcherlei unglückliches Zusammentreffen mich nun um die Möglichkeit gebracht hat, einen Blogartikel über Gebrauch und Pflege eines Stahltrinkhalmes unter besonderer Berücksichtigung der Eigenschaften von Mango Lassi zu fertigen.
Das Leben ist bisweilen grausam und nur die auf vielen Reisen erworbene Langmut und Weltkunde hilft mir, es zu ertragen.