Sich einfach auf ein Handtuch zu legen und bei schönem Wetter vor sich hinzudösen
An einem völlig ereignislosen, stressfreien, durchentspannten Tag des Faulenzens, über den es sonst wirklich gar nichts zu berichten gibt, ist mir etwas aufgefallen, was ich so noch nie gesehen habe und was mich sehr beschäftigt hat.
Ich kann es nicht zeigen und nicht vorführen. Ich kann es nur erklären.
Ich ersuche den geneigten Leser daher, mir gedanklich zu folgen.
Stellt Euch vor, Ihr wollt Euch – etwa an einem wunderbaren Sandstrand am Meer oder auch einfach nur im grünen Gras des Gartens – nur in der Badehose oder ganz ohne einfach bequem hinlegen um eine Runde dösen. Nun wollt Ihr aber nicht direkt mit der nackten Haut im Sand oder im Gras liegen. Deshalb habt Ihr so ein riesengroßes Badetuch dabei, das Ihr ausbreitet und hinlegt, um Euch darauf zu legen. Ihr legt es also hin, legt Euch drauf, entspannt Euch, fühlt Euch pudelwohl, und fallt in einen süßen Schlummer.
Bis hierhin verstanden?
War jetzt noch nicht so superkomplex, oder?
Gut, dann wird es jetzt anspruchsvoller. Den Gedanken festhalten, aber etwas zurückspulen und in Zeitlupe nochmal vorstellen. Ich möchte, dass Ihr gedanklich an die Stelle zurückspult, an der Ihr das Badetuch aus der Tasche nehmt, und dann die Pause-Taste drückt, bis ich „Zeitlupe los” sage.
Wie bringt Ihr dieses Badetuch an den Strand? Ich habt es ja nicht in einer Badetuchspezialtasche im Format 180x80x0,5cm, in der es flach liegend transportiert werden kann, sondern natürlich zusammengelegt.
Nun schmeißt Ihr es aber auch nicht einfach so im Klumpen hin, legt Euch drauf und ärgert Euch, dass es am Rücken so drückt und der Rest des Körpers im Sand liegt.
Ihr breitet das zusammengefaltete Tuch aus, so dass es flach, ausgebreitet, faltenfrei in voller Länge und Breite am Boden liegt.
Denkt drüber nach, wie Ihr es macht, welche Bewegung Ihr ausführt. Es ist so profan, so alltäglich, so unbedeutend, und doch in seinem Ablauf, in seiner Planung, in seiner kinetisch-dynamischen Physik ein ziemlich komplexer Vorgang, der erhebliche Hirn- und Koordinationsleistung benötigt. Stellt Euch vor, wie Ihr das macht.
Zeitlupe los.
Man nimmt im Stehen das Tuch, mit den beiden Händen an zwei Stellen einer langen Seite, die fast auf Armspannweite auseinder liegen und zieht das Tuch durch Ausbreiten der Arme auseinander, spannt es etwas, damit es in der Längsrichtung schon möglichst weit auseinandergezogen und glatt ist. Noch aber hängt es senkrecht in der Luft, es hängt entlang der kurzen Seite. Man beugt sich dann etwas nach vorne und macht dabei so eine Schlenkerbewegung von sich weg, damit der freihängende Teil des Tuches eine Pendelbewegung vom Körper weg macht, dabei auf einen Winkel so zwischen 45 und 80 Grad zur Senkrechten von einem weg pendelt. Das nutzt man aus, um das Tuch in genau diesem Augenblick auf den Boden abzusenken, damit also die der gegriffenen gegenüberliegende lange Seite möglichst weit weg von einem auf den Boden kommt und man dann das Tuch während des kompletten Niederlegens wieder etwas zu sich herziehen und dadurch straffen zu können. Durch diese finale Heranziehen und Straffen liegt das Tuch dann schön glatt auf dem Boden, ohne Falten, in Breite und Länge (so die Arme lang genug waren für die Länge), worauf hin man sich in schönster Selbstzufriedenheit bequem auf selbiges Tuch legt und süße Träume entgegennimmt.
Ich hoffe, Ihr konntet mir folgen.
Es geht mir um diese Bewegung, ein Tuch zu spannen, es mit Schwung von sich weg zu wedeln, um es dann niederzulegen und dabei wieder etwas an sich heranzuziehen, um auf diese Weise in einer Bewegung das Tuch schön hinzulegen. Physikalisch betrachtet beschleunigt man das Tuch erst in die eine Richtung, lässt es sich kinetisch bewegen, beschleunigt es aber währenddessen an einer Kante wieder in die anderer Richtung, um auf diese Weise Kräfte zu erzeugen, die es schön auseinanderziehen, obwohl man nur zwei Hände hat und es deshalb nur auf einer Seite anfassen und nicht wie zwei Leute zwischen den Händen auseinanderziehen kann.
Konntet Ihr mir folgen?
Eine selbstverständliche Allerweltsbewegung, ohne jeden Belang, und trotzdem motorisch und koordinativ anspruchsvoll, so klein und nebensächlich sie sein mag.
Ich war heute überaus ergriffen, regelrecht frappiert, weil ich jemanden gesehen habe, der genau diese Bewegung genau so in aller Selbstverständlichkeit ausgeführt und sich dann genau so auf das Tuch gelegt hat. Ohne jede Besonderheit, ganz normal, geübt, selbstverständlich, tägliche Badetuchroutine. Und doch ist es mir einen Blogartikel wert.
Warum?
Nachdem gestern die Wettervorhersage kündete, dass heute einer der letzte schönen Tage werde, und ich überlegte, was man mit dem schönen Tag anfangen kann, statt wieder mal am Rechner zu sitzen und zu bloggen, fiel mir ein, dass ich bisher etwas versäumt hatte. Ich wohne seit 2012 in Berlin, war aber noch nie im berühmten Berliner Zoo. Ich war in jeder Menge Zoos auf allen Kontinenten der Welt, nur in dem vor der eigenen Haustür noch nicht.
Also war ich heute im Berliner Zoo.
Es gibt eigentlich nichts zu berichten. Keine Besonderheit. Schöne große Anlage, und eben (haben Zoos meist so an sich) viele Tiere. Im Prinzip waren sämtliche Tiere nur damit beschäftigt, die bequemste Schlaf- und Dös-Position zu finden. Die haben nichts zu tun, auch nicht viel Platz, also pennen sie, gelegentlich unterbrochen von gemächlichen Fütterungen. Es ist den ganzen Tag über überhaupt nichts erwähnenswertes passiert. Einfach ein Erholungs-Null-Tag.
Irgendwann kam ich bei den Affen vorbei, und manche der großen Affen hatten große Jute-Säcke zum spielen, kennt man aus anderen Zoos. Ziehen die sich gerne über den Kopf oder nehmen sie als Umhang.
Bei den Bonobos im Außengehege fiel mir zuerst ein Weibchen mit einem Jungen auf, weil die nicht auf dem blanken Boden saß, wie andere Affen, sondern die sich so einen Sack, einmal gefaltet, druntergelegt hatte, als Sitzkissen.
Und dann fiel mir ein anderer Bonobo auf. Sie haben da in ihrem Kletterzeugs so etwas erhöht aus irgendeinem groben Material so eine Art Riesenhängematte in der Luft hängen, auf die auch 5 Affen gepasst hätten. Der Bonobo war da rauf geklettert, hatte sich so einen Jute-Sack mitgenommen, und dann dachte ich, ich seh’ nicht recht: Der Bonobo machte mit diesem Jute-Sack wie selbstverständlich und alltäglich geübt, ohne Umschweife, ohne Probieren, und direkt, eben genau diese Bewegung, um den Sack mit zwei Händen schon glatt auszubreiten, legte sich direkt bequem darauf und schlief ein, exakt wie ein Mensch, der sich an den Strand auf ein Badetuch legt.
Ich hätte einen solchen – für den Menschen profanen und keiner Erwähnung werten – koordinierten, komplexen, zeitkritischen und feinmechanischen Bewegungsablauf keinem Affen zugetraut.