Ansichten eines Informatikers

Joker

Hadmut
17.10.2019 0:53

Man hatte mir gesagt, ich müsse den Film sehen. [Nachtrag]

Obwohl ich – vor 20 Jahren noch leidenschaftlicher Kinogänger – nicht mehr gerne ins Kino gehe, war ich eben im Film „Joker”, nachdem ich von mehreren Seiten gehört (und gelesen) habe, dass der Film von der Presse völlig zerrissen und zertrampelt werde, dass das Publikum ihn extrem gut fände und dass einer wie ich ihn unbedingt gesehen haben müsse. Also gleich drei Gründe.

Der Film ist beklemmend.

Der Film ist schrecklich.

An diesem Film ist nichts gut und nichts schön.

Der Film ist widerlich. Er ekelt einen an.

Der Film ist nichts für empfindsame Leute, er zeigt Gewalt, wie sie ist. Groß. Brutal. Blutig. Zynisch.

Man sitzt da, sieht diesen Film, man will ihm nicht weiter zusehen, weil man spürt, weil man merkt, weil man sieht, wie das Unheil förmlich auf einen zukommt.

Der Film ist in seiner Optik perfekt, er ist von einem Kameramann höchster Qualität gedreht. Der Horror, die abstoßende Widerlichkeit würden nicht wirken ohne diese Bilder, diese Färbung, diese Eindrücke, diese Kamera.

Der Film ist tatsächlich der beste, den ich in letzter Zeit gesehen habe. Weil er das tut, was Kino früher mal getan hat, bevor es zum Brüllfließband Hollywoods wurde. Weil dieser Film nicht Krawall, Action, tolle Tricks enthält, sich gar auf diese reduziert, sondern weil dieser Film eine Geschichte erzählt, man das Leben einer Person mitbekommt. Man will es nicht, es ist abstoßend, man will da nicht zugucken. Es ist eben das, was es nur noch selten gibt. Es ist eine Geschichte, die etwas zeigt und es erklärt. Ein Drama. Ein Dokumentarfilm.

Man muss diesen Film gesehen haben. Aber nicht jeder.

Ein Stapel Oscars wären für diesen Film mehr als verdient.

Der Film spielt in Gotham City und ist dem Batman-Phantasy-Universum entlehnt, hat damit aber wirklich überhaupt nichts zu tun, außer dass er den Ansatz zuliefert. Die Verbindung besteht lediglich darin, dass eben der Joker entsteht und die Anknüpfung an die Batman-Story passiert, Batman kommt ganz kurz und nur ganz am Rande darin vor, spielt aber keine Rolle. Es würde den Filminhalt nicht verändern, wenn Batman darin nicht vorkäme.

Eigentlich hat auch diese Figur hier außer dem Aussehen nichts mit den Jokers der bisherigen Batmanfilme zu tun. Oder überhaupt Batman-Filmen. Es gibt keinerlei Phantasy, keine Wunderwaffen, nichts Phantatisches, es gibt überhaupt nichts, was auch nur irgendwie an die Optik oder Stil der Batman-Filme oder die verschiedenen Joker-Charaktere daraus erinnert. Letztlich ist die Anbindung an Joker nur der dramaturgische Kunstgriff, aus der bekannten Figur und deren späterem Wirken in Batman-Filmen das vorweg zu nehmen, was später aus dem mal wird, ohne es dem Zuschauer irgendwie, etwa durch Rückblenden, mühsam erklären zu müssen.

Deshalb hat der Film auch keine Überraschung, kein Ende im herkömmlichen Sinn. Man weiß, worauf es hinausläuft, als ob man Titanic oder Jesus schaut, man weiß, wo die Story hinläuft. Man schaut nur zu.

In diesem Film gibt es keine Fantasie. Dieser Film ist aus Realität zusammengesetzt, es gibt nichts, wirklich nichts, was nicht jeden Tag irgendwo auf der Welt Hunderte Male passiert. Gotham sieht einfach aus wie New York, und was ich im Juni dort gesehen habe, wäre austauschbar mit Filmszenen. Würde ich Szenen der New York-Reise mit Szene aus dem Film vertauschen, würde beides normal und stimmig aussehen. Es gibt eine Szene einer langen, etwas schäbigen Treppe, die aussah wie die der Herberge, in der ich war. Es gibt dort so viele solcher Treppen. Und U-Bahn-Stationen.

Arthur Fleck ist ein Versager. Eine arme Sau. Bodensatz. Psychisch krank, mit dem neurologischen Leiden, dass er unkontrollierte Lachanfälle bekommt. Das ist der einzige Punkt, der mir überzogen, unrealistisch vorkommt, aber man hat es wohl aus dramaturgischen Gründen und zur Anknüpfung verwendet, es trägt die Story.

Man sieht keinen Kriminellen. Man sieht keinen Clown, nicht mal, wenn er als solcher kostümiert ist, weil er versucht, damit seine Kröten zu verdienen. Man sieht einfach nur einen Mann, hässlich, dürr, ungewaschen, rauchend, aus dem unteren Gesellschaftsspektrum, krank, chancenlos, verachtet, ausgespuckt. Er wohnt bei seiner Mutter. Man sieht ihm an, wie er riecht. Ungelenk, ungeschickt, er kann eigentlich gar nichts.

Alle sind gemein zu ihm. Er wird verspottet, reingelegt, belogen, zusammengetreten. Er wird ausgegrenzt. Er hat eine gestörte Mutter, eine nette hübsche Nachbarin, die er manchmal im Fahrstuhl trifft, zwei Kollegen. Sonst nichts.

Er wäre gerne Stand Up Comedian und versucht sich daran, aber er ist einfach grottenschlecht. Er ist nicht lustig. Er erzählt Witze, aber es ist nichts lustig. Diesem Mann zuzusehen, tut einfach weh. Er verliert schuldlos den Job. Er verliert schuldlos Einkommen. Er verliert schuldlos die Sozialunterstützung. Kein Ausweg.

Er gerät schuldlos in eine Situation, in der er zufällig auf dem Heimweg von der Arbeit noch als Clown geschminkt ist, und tötet drei Männer. Zweieinhalb davon aus glasklarer Notwehr, mit der Sympathie des Zuschauers. Im blieb nichts anderes übrig. Es ist sogar vorhersehbar, nicht überaschend. Am Anfang der Situation weiß man schon genau, worauf es hinauslaufen wird.

Der Film ist sehr spannend. Überaus spannend. Weil er völlig unüberraschend ist. Man weiß bei jeder der Szenen, bei jeder Situation eigentlich schon vorab und ohne den Film zu kennen, worauf es hinauslaufen wird, weil der Film so geradelinig ist. Der Horror, die Spannung liegen nicht darin, dass irgendetwas plötzlich oder überraschend passiert, keine versteckte Wendung oder Handlungssprünge. Man weiß, was passieren wird, man sieht es kommen. Und dann kommt es. Aber es dauert. Der Horror liegt darin, dass genau das passiert, von dem man ungefähr vorher weiß, dass es passiert.

Er tötet also in Notwehr zweieinhalb Leute. Arschlöcher. Zu Recht. Der Dritte lebt noch. Und den bringt er dann aus Wut und Rache um. Mit Sympathie des Zuschauers. Was dazu führt, dass es trotz der Notwehrsituation wie ein Verbrechen aussieht. Die Medien ventilieren einen Verbrecher mit der Clownsmaske, der drei vornehme Banker umgebracht habe. Es ist gelogen, aber es gefällt ihm besser als das, was wirklich passiert ist. Zum ersten Mal ist er jemand. Zum ersten Mal wird er anerkannt. Zum ersten Mal wichtig.

Und so nehmen die Dinge ihren Lauf. Er findet etwas über seine Vergangenheit heraus, aber es gefällt ihm nicht. Es kommt noch ein Mord hinzu. Und noch einer. Und man weiß genau, es wird eskalieren. Bis er als der Joker geschminkt und auf eigenen Wunsch als „Joker” angekündigt live auf Sendung jemanden ermordet und alle Welt nun weiß, dass der Joker ein irrer Mörder ist.

Und es ist kein Spoiler, jeder weiß, dass der Joker der irre Clown ist, der grinst, lacht, tötet.

Der Horror des Realen

Der Horror dieses Filmes liegt in seiner Realitätsnähe. Realität. In diesem Film ist nichts, was nicht ohne weiteres passieren könnte, kaum etwas, was nicht oft und überall passiert.

Der Horror liegt in seiner Relevanz. Und darin vermutlich auch der Grund, warum die Presse ihn nicht sehen will.

Er ist der Prototyp des weißen, heterosexuellen, gescheiterten, von der Gesellschaft ausgespuckten Mannes.

Er ist nur vordergründig der Joker.

In Wirklichkeit ist er der Jedermann. Die Story erzählt uns, dass jeder zum Superverbrecher werden kann, wenn man nur genug auf ihm herumtrampelt.

Dieser Film beschreibt Werdegänge von Leuten wie den Attentätern von Christchurch oder Halle. Von der Gesellschaft ausgespuckte, zu Lebzeiten verschrottete ausgemusterte chancenlose weiße Männer.

Dieser Film ist eine Kritik an dem, was wir da machen, nämlich einen Teil der Gesellschaft als „toxisch”, als Versager, als obsolet, nutzlos, überflüssig auszusondern, weil sie nicht einer Erwartungshaltung entsprechen.

Arthur Fleck ist kein Schwarzer, kein Schwuler, kein Hispanic. Er ist ein Weißer, so einer, die man in Amerika gerade überall als „privilegiert” beschimpft und ausgrenzt, aber er ist ganz unten.

Dieser Film ist harte Gesellschaftskritik, die nur vordergründig als Batman-Film und Fiktion getarnt, motiviert ist.

Es ist kein Batman-Film. Es ist knallharte Gesellschaftskritik, die sich als Fiktion ausgibt.

Medienkritik

Es ist auch Medienkritik, die die Schmierigkeit der Medien zeigt.

Im Prinzip zeigt diese Medienkritik nicht nur, wie Mörder entstehen, sondern auch, wie Greta entstanden ist. Die Entstehungsgeschichte von Greta und die des Jokers ähneln sich verblüffend. Der verprügelte, ausgegrenzte, psychisch-neurologisch defekte Freak, mit dem keiner etwas zu tun haben will, findet aufeinmal eine Rolle, die eigentlich nicht seine ist, aber auf die die Pressemeute anspringt und mit der er zum ersten Mal Anerkennung, Achtung, eine Fan-Gemeinde, die sich hinter ihm schart und ihn nachahmt, statt ihn auszugrenzen und zu schlagen. Und er nimmt diese Rolle an.

Dieser Film erzählt nicht nur die Entstehungsgeschichte des Jokers (neu).

Er erzählt, wie Mörder und wie Gretas entstehen, und er zeigt, was in der Gesellschaft gerade ganz falsch, ganz schief läuft.

Nach diesem Kochrezept der Ausgrenzung und dem Verstoß von Leuten aus der Gesellschaft bauen wir die Sorte Mörder, die für die Aufmerksamkeit von und Anerkennung durch die Medien mordet.

Nachtrag: Mir war im Film noch etwas aufgefallen, aber dann beim Schreiben wieder entfallen, zumal ich mir den Namen nicht hatte merken können. Dass es sich um Zeitgeistkritik handelt, merkt man auch an einem kleinen Detail. Als Arthur Fleck in einer vergammelten Straße an einem kleinen Schundkino verbeikommt, läuft da der Film „Zorro, The Gay Blade”.

Eine zentrale Aussage des Filmes ist, dass eben das Methodenschema, das die Politisch Korrekten und die Soziologen so empfehlen, nämlich die auszugrenzen und auszusondern, die nicht in das Schema passen, in dem Glauben, dass sie sich irgendwie in Luft auflösen oder still in die Ecke setzen, nicht funktioniert.

Ich hatte das genau das vor 3 Tagen zum Vorfall von Halle beschrieben.

Noch wissen wir nicht allzuviel über den Täter von Halle, ich habe fast den Eindruck, dass das Thema auch schon wieder medial erledigt ist, aber ich nehme an, dass es deutliche Übereinstimmungen mit dem Film-Joker gibt. Waren es nicht beide gescheiterte Existenzen, weiße Männer, die noch bei ihrer Mutter wohnen und keine Perspektive haben?