Andauernder Notrufmissbrauch
Wenn einer ständig „Hilfe” schreit und es ist nichts, kommt irgendwann keiner mehr, wenn dann wirklich etwas ist.
Der Tagesspiegel schreibt, dass die Schauspielerin Sibel Kekilli mit Bundespräsident Steinmeier auf USA-Reise war und sich über Rassismus und Populismus beklagt: „Menschen haben keine Angst mehr, rassistische Gedanken auszusprechen“
Auf beiden Seiten des Atlantiks wächst der Rechtspopulismus. Wie erleben Sie zum Beispiel der Aufstieg der AfD in Deutschland, Hetze und Verächtlichmachung im Netz?
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Aber es macht mich schon sprachlos. Ich weiß wirklich nicht, wie ich damit umgehen soll. Das eine Phänomen gab’s eigentlich schon immer. Es ist nichts Neues. Ich meine den Rechtsextremismus, nicht nur in Deutschland, sondern überall. Wenn wir jetzt von Deutschland reden, in den Achtzigern, in den Neunzigern zum Beispiel die Ereignisse in Rostock. Was aber neu ist, glaube ich, dass die Menschen nicht mehr in Springerstiefeln durch die Gegend laufen, sondern in Anzügen und Krawatten. Plötzlich haben Menschen keine Angst, rassistische Gedanken auszusprechen. Und auch unterbewusst gibt es überall Alltagsrassismus.
Haben sich Rassismus und Rechtsextremismus ausgedehnt?
Oder verschieben sich nur die Maßstäbe ständig, so dass man inzwischen immer und überall nur noch Rechtsextremisten und Rassisten sieht?
Mich erinnert das so oft an die psychedelischen KI-erzeugten Bilder, die Google neulich mal veröffentlicht hat und die man als „Computerträume” publizierte. Aber eigentlich sind sie nur übertrainierte, mit zu niedrigem Schwellwert ausgestattete Mustererkenner, die das, worauf sie trainiert sind, einfach überall erkennen, auch wenn es nicht da ist. Es reicht die geringste Unregelmäßigkeit und der Mustererkenner erkennt Muster. Einer sieht überall Bananen, einer überall Fische.
Oder hat man sich da wirklich Rechtsextreme selbst gekocht?
Ich habe es oft beschrieben: Rechte sind das, was übrig bleibt, wenn Linke da waren. Wenn man ständig immer alle als Rechte beschimpft, vertreibt, tötet, verschüchtert man alle Nicht-Rechten, die man eigentlich dringend bräuchte. Übrig bleiben nur die, denen der Vorwurf nichts ausmacht, weil er sie nicht stört oder sie wirklich Rechte sind. Wie der alte Witz, wie man Unkraut erkennt: Alles rausreißen. Was wieder nachwächst, ist Unkraut. Oder die Sache mit der Hygiene. Wenn man ständig immer alles mit Desinfektionsmittel volldonnert, bildet die Natur irgendwann Bakterien oder Pilze, die immun sind, und die sich dann rapide vermehren, weil sie allein sind. Ohne das Desinfektionsmittel hätten sie aufgrund anderer Nachteile keine Konkurrenzfähigkeit erreicht und hätten sich nicht durchgesetzt. Wie multiresistente Keime.
Wenn man immer alle als Rechte und Rassisten beschimpft, baut man sich damit irgendwann eben Leute, die darauf nur antworten: „Ja.”
Und dass die Beschimpfung auch nicht mehr so funktioniert, hat etwas von Notrufmissbrauch. Vor Jahren wäre der Vorwurf noch ein Skandal gewesen, war Beschuldigte erledigt. Inzwischen hört man es von morgens bis abends, und es hat schlicht keine Wirkung mehr.
Als ich noch in der Schule war, sind wir mal von einem uralten Schulgebäude in ein ganz modernes, neues Gebäude gezogen. Was man in den Siebzigern so unter modern verstand. Ständig war Feuerfehlalarm. Oft sind wir raus, bis es den Lehrer zu blöd war. Wir hatten Klassenarbeit und der Alarm ging los, und der Lehrer verkündete seelenruhig, dass wir einfach sitzenbleiben und verbrennen. Gab Ärger. Mit dem Feuerwehrmann, der dann im Dritten Stock von außen ans Fenster klopfte. Drehleiter. Die Feuerwehr sagte, es sei ärgerlich und teuer, wenn sie andauernd umsonst kämen, weil die Feuermeldeanlage nicht richtig funktioniert und Fehlalarme gibt. Aber es sei tödlich, wenn man die Alarme deshalb irgendwann nicht mehr ernst nimmt, und man nicht mehr reagiert, obwohl der Alarm dann mal echt sei. Es gab dann irgendwann auch mal zwei echte kleine Brände. Ein Kurzschluss in einem der Medientische und die Raucher der Oberstufe hatten sich ihren Oberstufenaufenthaltsraum in Brand gesetzt.
Aber genau das ist der Punkt: Wer ständig Fehlalarme hat, vor allem dann, wenn sie durch ständigen Notrufmissbrauch ausgelöst werden, dem kommt irgendwann mehr keiner mehr zu Hilfe, wenn der Notruf dann mal echt ist.
Es gibt sogar ein altes Sprichwort, dass das noch strenger sieht: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.
Man hat jahrelang mit den Nazi-, Rechte-, Rassismusvorwürfen gelogen bis zum geht-nicht-mehr. Die falsche Beschuldigung, die Diffamierung, die völlige Ausweitung der Maßstäbe weit über das Lächerliche hinaus, als Werkzeug eingesetzt, um Unschuldige aber Unerwünschte zu erledigen.
Nun ist es stumpf.
Nun wirkt es nicht mehr.
Nun stört es keinen mehr.
Und nun jammern sie wieder.
Seit Jahren herrscht der Meinungskrieg. Hochintensives Dauerfeuer. Extreme Political Correctness-Zwangsmittel. Keine Minute Ruhe, ständig bombardiert man die Leute mit Dauervorwürfen, und es gibt keine Abstufung, man beschuldigt immer gleich jeden in höchster Eskalationsform. Schon mal gehört, dass jemand als leicht rechts, moderat rechts, oder manchmal rechts bezeichnet wurde? Nee. Unter „rechtsextrem” fangen sie erst gar nicht an. Alles ist sofort und immer gleich „extrem”.
Ich glaube, alles, was mit Extremismus zu tun hat, ist einfach gefährlich, auch von links. Das gibt’s ja auch, wenn auch da Menschen niedergebrüllt werden, ihre Meinung nicht sagen dürfen oder können oder sollen.
Das ist schon „extrem”?
Was war denn dann die RAF? Oder Stalin?
So, wie ich schon oft geschrieben habe, dass wenn man Leute, die ihre Meinung sagen, als Nazis einstuft, ich das für eine wüste Verharmlosung und Leugnung des Holocausts halte. Die Nazis haben gemordet, und nicht etwa abweichende Meinungen geäußert. Aber wer das heute tut, der gilt gleich als „rechtsextrem” und Nazi.
Ein Leser frage neulich, wie es käme, dass es mal so war, dass Nazis die waren, die anderen die Häuser beschmierten, die Scheiben einwarfen, sie am Reden und an Veranstaltungen hinderten und sie aus der Gesellschaft vertrieben, und es heute genau umgekehrt ist, dass heute die als Nazis bezeichnet werden, deren Häuser man beschmiert, deren Scheiben man einwirft, die man am Reden und Treffen hindert und sie aus der Gesellschaft vertreibt.
Es kommt, weil die Linken die Methoden der Nazis übernehmen die und die Nazis damals die Linken imitiert haben. Einer guckt vom anderen ab.
Und das hat dazu geführt, dass die Maßstäbe entgleist sind, dass man alles und jeden als rechtsextrem bezeichnete, und sich nun wundert, dass die Klinge stumpf geworden ist.
Der Bundespräsident wirkt auch etwas ratlos.
Der wirkt nicht ratlos. Der ist ratlos. So optisch und vom Auftreten macht er was her, aber intellektuell ist er eine Fehlbesetzung.
Er fordert mehr zivilisierten Streit, aber es dominieren Schwarz-Weiß und Aggression. Lässt sich die Welle noch brechen?
Zivilisierten Streit?
Wo man doch seit Jahren jedes noch so feine Widerwort sofort als rechtsextrem verfolgte und jede Gegenmeinung verbot, unterdrückte?
Warum lädt er dann eigentlich die verlässlich meinungskonforme Sibel Kekilli und nicht ganz andere Leute auf seine Reisen ein, wenn er doch „zivilisierten Streit” fordert?
Nochmal Kekilli:
Und wenn man dann auch noch von einem Richter nicht mehr geschützt wird, macht mich das hilflos und sprachlos. Ich weiß nicht, wo man sich dann noch Hilfe holen kann. Ich habe das Gefühl, dass wir die andere Seite, die falsche Seite, mehr schützen als die richtige Seite.
Genau so geht mir das seit Jahren auch. Mich (und meine Grundrechte) haben Richter auch nicht geschützt. Ich habe da auch hilflos dagestanden. Aber nicht sprachlos. Und genau dafür werde ich dann oft beschimpft.
Solange man so naiv und selbstgerecht an die Sache geht und nur das eigene Selbstmitleid bemitleidet, weil irgendwer anderer Meinung war, wird es nichts werden.
Und solange man die eigene Meinung als die einzig Gute ansieht und die Meinung anderer als „Populismus” abstuft und damit als nicht meinungsfähige PR-Nummer, solange ist man zu dem Gespräch, das sie da fordert, gar nicht in der Lage. DEr ist von vornherein nicht in der Lage einzusehen, dass es überhaupt eine andere als seine Meinung geben kann. Leute, die jeder anderen als ihrer eigenen Ansicht das Prädikat Meinung absprechen. Nach dem Motto: Ja, wir haben schon Meinungsfreiheit, aber Du bist nicht meinungsfähig.
Wie ich diese Leute als selbstgerecht und überheblich verachte.