Australien
Mir brennt das Herz.
In keinem Land der Welt habe ich mich bisher so wohl gefühlt wie in Australien.
Was nicht stimmt. Weil ich dort immer nur Urlaub gemacht habe, und man ein Australien, in dem man bequem Abenteuerurlaub macht, nicht mit einem Deutschland vergleichen kann, in dem man arbeitet. In einem Kaff an der Westküste sprach mich mal einer zu meiner Überraschung auf Deutsch an. Ein – nunmehr arbeits- und obdachloser – Ex-Deutscher, der vor 30 Jahren oder so dorthin ausgewandert war und dem es nicht gut ergangen ist. Er wollte mal wieder deutsch sprechen und so saßen wir da halt vor dem Einkaufszentrum auf einer Parkbank, unterhielten uns, und schauten dabei den Flugzeugen zu, die direkt vor unserer Nase vorbeiflogen. Ich müsste die alten GPS-Logs raussuchen, das ist mir jetzt zu aufwendig, aber soweit ich mich erinnern kann, war es in Broome, in dem der Flughafen mitten in der Stadt hinter dem Einkaufszentrum liegt. Oder was man dort so nennt.
Er war gescheitert.
Er sagte, dass viele dort scheitern.
Er sagte, dass man durch Australien, so in der Mitte, eine gerade Linie von West nach Ost ziehen könnte und alles oberhalb der Linie arbeitslos und auf Droge sei. Die Jugendlichen hätten sogar eine Methode gefunden, das Gift der hochgiftigen und tödlichen cane toad – ich weiß nicht genau, wie sie auf deutsch heißt, ist das die Aga-Kröte? – die als einziges Tier dort Krokodile tötet, als Droge zu verwenden. Sonst sei da nichts mehr. Die Darstellung unseres Tour Guides (ein Typ wie Crocodile Dundee) hörte sich positiver an, lief aber auf das Gleiche hinaus, es habe einen Grund, warum er sich als Tour Guide verdinge. Er sagte mal, sonst hätte er als besoffenes Wrack hinter dem Sofa geendet.
Und soviel habe ich mitbekommen: Für viele Menschen ist das Leben in Australien sehr, sehr hart. Im Outback arbeiten die Menschen körperlich oft, bis sie dann im Alter irgendwann tot umfallen. Hautkrebs ist häufig, der Tour Guide hatte sich schon drei oder viermal Hautkrebs rausschneiden lassen. Viele Australier verschulden sich in jungen Jahren hoch, um dann lange, lange hohe Hypotheken für ihr Haus zu zahlen. Häuser sind fast immer nur hübsche, aber eigentlich primitive Holzhäuser amerikanischer Bauart, mit simplen Fenstern und ohne Zentralheizung oder Keller. Australier in Deutschland staunen gerne, was wir für robuste Häuser und Fenster haben. Es gibt ein sehr modernes Leben in den Großstädten und entlang dem Küstenstreifen, aber weiter man ins Hinterland (es heißt wirklich so, es gab da früher eine Menge Deutsche) kommt, desto einfacher und rustikaler (rural) wird es. Viele Australier sind auch nicht gerade eine intellektuelle Elite. Das wichtigste im Leben des australischen Durchschnittsmannes ist, das Bier kühl zu halten. Eine meiner wichtigsten Lektionen für das Outback war, niemals Flaschenbier, sondern immer nur in Dosen zu kaufen. Flaschenbier hält die ruckeligen Straßen nicht aus, da reißt’s während der Fahrt die Kronkorken runter. Dazu riesige Kühltruhen (also nicht elektrische, sondern Isolierboxen), in die säckeweise Eis gefüllt wird, Bier mit rein, Deckel zu. Selbst im derbsten Outback ist so das kühle Bier gesichert, und eines der wichtigsten australischen Männeraccesoirs sind diese lustigen kleinen Neoprenhüllen für Bierflaschen und -dosen, die das Bier auch dann kühl halten, wenn man es in der Hand hält. Das und an zweiter Stelle ein gutes Barbecue, das ist das Wichtigste. Dann ist schon vieles gut. Der Rest ist nicht so wichtig. Ich trinke kein Bier.
Da gibt es auch ein paar echt primitive und manche üble Typen. Ein Filmklassiker, der als verschollen galt, bis sie neulich in einem Müllcontainer irgendwo eine Kopie fanden, ist Wake in Fright von 1971, ein Horrorfilm von einem Lehrer, der in einem Kaff im Outback strandet und unter den Typen dort den Horror seines Lebens erlebt. Eine der Rollen hat der Schauspieler, der später in Crocodile Dundee den Wally spielt, und die Szene mit Dundee, der als Känguru verkleidet zurückschießt, ist im Prinzip eine Anspielung auf diese Sorte Mensch, denn fast die gleiche Szene kam in Wake in Fright auch vor. Nur dass bei Dundee die Kängurus nicht nur abgeknallt werden, sondern eben mal eins zurückschießt und es den Idioten zeigt. Die Szene hat man in Deutschland mangels Kontext nicht verstanden. Der Horrorfilm gilt als völlig authentisch und wahrheitsgemäß.
Australien ist ein Land, in dem man leicht sterben kann. Die Natur ist gefährlich und es gibt viele Möglichkeiten zu ertrinken, abzustürzen, vergiftet oder sonst wie getötet zu werden. Alles ist giftig. Es sterben tausende von Touristen, die meisten wegen des Linksverkehrs. Herz-Kreislauf wegen Hitze oder Unterschätzung des Meers und Überschätzung der eigenen Schwimmfähigkeiten. Dummentod im Outback ohne Wasser.
Trotzdem gefällt mir die Natur, gefällt mir das Land, gefällt mir die Lebensart. Die Leute sind entspannt, umgänglich. Die meisten zumindest. Eigentlich sind sie nicht ganz so einfach, manches ist schwierig. Sich als Kunde über eine Leistung zu beschweren, weil man mit irgendwas nicht zufrieden ist, liegt außerhalb des Erlebnishorizontes vieler Australier. Sie sind eine schwer verständliche Mischung aus rustikal und derb und gleichzeitig prüde und pikiert. Sie laufen rum wie Penner und steigen in Flip-Flops auf Berge, sie machen überhaupt praktisch alles in Flip-Flops, aber ziehen sich Smoking und Abendkleid an, um abends auszugehen. Sie finden es normal, am Strand oben ohne zu baden, aber bekommen eine Krise, wenn in einem Hotelzimmer nur mit Männern einer die Unterhosen wechselt, ohne ins Bad zu gehen. Andererseits haben sie angeblich ein Großbordell als AG eröffnet und die Aktien an der Börse gehandelt. Ich habe gehört, es lief nicht und sei pleite gegangen.
Ich hätte gerne in Australien gelebt, aber da kam mir ein Karriereschaden dazwischen. Heute geht es nicht mehr, weil sie ein Punktesystem eingeführt haben, nach dem man bewertet wird, wenn man temporär oder dauerhaft einwandern will, und sie haben Altersgrenzen eingeführt. Geht nicht mehr. Sie lassen nämlich im Gegensatz zu uns nicht jeden rein, sondern eben nach einem Punktesystem. Informatiker sind zwar gesucht, aber unsere Abschlüsse auch inkompatibel zu deren Wertungssystem. Ein guter Weg wäre eine Professur dort gewesen.
Die Politische Entwicklung
ist das, was mir da Sorge bereitet. Das ist alles schwer nach links abgekippt, die Unis spinnen, Gender, Feminismus, Identitätswahn allenthalben. Neulich hatten sie so eine Vorgabe für Krankenschwestern, die sich bei der Behandlung von Aborigines erst mal für alle Weißen entschuldigen sollten oder so ähnlich.
Die Universitäten spinnen.
Es gibt diese, ich weiß nicht mehr, wie das heißt, juristische Ehe oder so ähnlich. Wenn ein Mann und eine Frau für ein paar Monate zusammenleben ist der Mann schon unterhaltspflichtig. Ich habe das mal als feministischen Unsinn bezeichnet, aber man sagte mir, es habe einen anderen Hintergrund. Viele Paare nämlich hätten das Sozialsystem missbraucht, indem nur er arbeiten ging, sie nicht geheiratet haben und sie sich als Sozialfall meldete. Es sei darum gegangen, diesen Missbrauch zu bekämpfen.
Sie spinnen, was die gendertypische Beschuldigung von Männern angeht, und sie spinnen, was das Klima angeht. Sie orientieren sich an den USA und drehen gerne mit denen durch.
Die Politik ist wohl Chaos. Grundrechte gibt es eigentlich nicht und jeder Gesetzgeber macht, was er will.
Man erzählte mir, es sei dort unter Strafe verboten, Pornographie per Post zu bestellen, und trotzdem gebe es das Recht, es straflos zu tun. Weil eines der beiden Grundrechte ist, dass man wirtschaftlich überall darf, was man in einem der Teile von Australien darf. Weil die beiden Territorien (Northern und Canberra) aber keine Zeit haben, sich mit so einem Mist zu befassen, ist es dort nicht verboten, und deshalb darf man es überall. Was die anderen nicht davon abhält, an ihrer Meinung festzuhalten und es wirkungslos zu verbieten.
Sie haben sehr schöne Leuchttürme.
Manche nur noch als Denkmal. Das moderne Leuchtfeuer steht dann etwas davor und sieht aus wie ein Dixie-Plastikklo. Aldi haben sie inzwischen auch.
Viele Australier sind begeisterte, aber lausige Hobbypiloten. Ich bin in einem wirklich altersschwachen Hubschrauber ohne Tür mitgeflogen, einen Fuß draußen auf der Kufe. Das Gurtschloss klapprig und locker.
Es brennt
Es brennt dort oft. Es gehört zum Leben und zur Kultur der Aborigines, dass es dort brennt. Wir sind damals mit der Reisegruppe an einem Waldbrand vorbeigekommen und haben ihn besichtigt, in dem wir durch den gerade noch brennenden Wald spaziert sind. Die Aborigines legen dort oft Feuer. Weil man gemerkt hat, dass deren uraltes Wissen, wie man zur richtigen Zeit etwas abbrennt, damit es kontrolliert das Altholz wegbrennt und es dann nicht zu großen unkontrollierten Feuern kommt, nützlich ist und man es wieder einsetzen kann, nachdem man sie lange ignoriert hatte. Man hat ihnen deshalb Hubschrauber gegeben, damit sie ihre traditionelle Tätigkeit effektiver ausüben können.
Der Wald dort ist extrem trocken, und wenn es mal brennt, ist es schwer, das dann noch aufzuhalten (wenn nicht die Aborigines Vorsorgebrände vorgenommen haben, was auch nicht überall geht). Es gibt praktisch kein Wasser zum Löschen und es kann 40 bis 50 Grad heiß werden.
Wir waren im Nordwesten in den Bungle Bungles bei etwa 50 Grad Hitze, aber trockern Hitze. Wir kamen an einem kleinen, klaren Bach/Tümpel vorbei und der Tour Guide sagte, wir sollten einfach reinspringen, wie wir sind. Irgendetwas aus- und anzuziehen sie reine Zeitverschwendung. Ich kam in langer Kleidung (braucht man dort) klatschnass aus dem Wasser und war nach 10, 15 Metern bis auf die Nähte schon wieder „schranktrocken”. Jeder Tropfen Wasser ist sofort verschwunden. Ich habe dort acht bis zehn Liter Wasser am Tag getrunken, einmal sogar mehr. Wer nicht genug dabei hat, stirbt.
Es sei denn, man weiß sich zu helfen. Ein Aborigine erklärte mir, was sie dann machen. Folge dem Känguru. Das Känguru weiß, wo es Wasser findet. Es kann danach graben. Vor ein paar Tagen kam im Australischen Fernsehen, dass die Kängurus kein Wasser mehr finden.
Fast überall in Australien gibt es Warntafeln, die per verstellbarem Zeiger anzeigen, wie hoch die Waldbrandgefahr gerade ist. So wie jetzt war es wohl noch nie.
Sie berichten über regelrechte Feuerstürme, riesige Feuerwände, denen sie nichts entgegenzusetzen haben. Die Holzhäuser brennen ab. Einfach so.
Die Welt ist sich einig, dass das an der Klimaerwärmung liege. Warum eine Klimaerwärmung zu Trockenheit führe, obwohl es im Norden, wo es wärmer und näher am Äquator ist, eher tropisch und feucht zugeht, erklären sie nicht. Und warum sie in Neuseeland auf ähnlichem Breitengrad gerade unglaubliche Regenfälle haben, auch nicht. Normalerweise sind meernahe heiße Gegenden feuchte Gegenden.
Ich höre gerade aus Australien, dass es inzwischen Feuerwarnungen für Wollongong und Sydney gibt.
Dann geht’s ans Eingemachte.
Wenn die Feuer bis Sydney und Wollongong oder gar in die Stadt, also in die holzgebauten Wohnbezirke vordringt, dann haben sie ein richtiges Problem. Dann trifft das Australien im Kern, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Dann könnten sie schnell als Gesellschaft das sein, was man bei Firmen insolvent nennt, wenn da große Flächen von Wohngebieten in Brand geraten. Wenn es oben bis Brisbane geht und unten bis über Sydney nach Wollongong, wird es eng. In Wollongong ist sonst das Wasser schon rationiert. Wenn es dann noch bis Melbourne geht, dann sind sie wirtschaftlich sehr hart getroffen.
Und der Sommer hat noch nicht angefangen. Das heiße Wetter kommt erst noch.
Mir blutet, nein mir brennt das Herz, wenn ich die Nachrichten aus Australien sehe.
Abgesehen davon, dass es ohnehin nicht mehr funktioniert hätte und nicht mehr möglich gewesen wäre, wird es wohl nichts mehr damit, in Australien zu leben.
Die werden dort andere Probleme haben als noch Fremde unterzubringen.
Kurz, nachdem ich das zweite Mal in Neuseeland und dabei in Christchurch war, gab es dort das große Erdbeben, das große Teile der Stadt zerstörte. Im Fernsehen brachten sie den Supermarkt, in dem ich eingekauft hatte. Das Hotel gibt es nicht mehr. Ich habe damals überlegt, ob man in ein Gebiet nach einer Katastrophe nicht mehr reist, um sie nicht zu belasten und nicht das Gefühl des Gaffens zu vermitteln, oder ob man hinreist, damit ihr Tourismus nicht auch noch zusammenbricht. Es ist schlechter Stil, in die Katastrophengegend zu fahren, und es ist schlechter Stil, nicht mehr hinzufahren, weil es gerade nicht schön ist.
Ich weiß nicht, wie man mit Australien jetzt umgehen soll.
Aber ich fürchte, das ist erst der Anfang, das wird noch sehr, sehr schlimm. Und jedes Jahr schlimmer. Aber ich verstehe es nicht richtig. Denn ich hatte gehofft, dass der Klimawandel mehr Luftfeuchtigkeit und damit mehr Regen bringt. Teile des Nordens sind je nach Jahreszeit (Regenzeit) überschwemmt. Angeblich teils auch mit Salzwasser, ich habe aber nicht verstanden, wie das gehen soll. Es gibt wohl Salzwasser nicht nur am Meer, es fließt irgendwie nach innen. Weil die „Autobahnen” dort nur Sandpisten sind, findet man sie danach nicht mehr so leicht wieder oder macht sie halt woanders. Wenn das Wasser wieder geht, bleiben die Tümpel und Seen übrig, die Billabongs, in denen oft die Krokodile hausen. Wie das Anbangbang Billabong. Ich könnte Euch von den Krokodilen erzählen, die es da gibt, belasse es aber dabei, dass es (behaupteten sie) die Stelle ist, an der Crocodile Dundee den Rasierer gegen das Messer getauscht hat. Ich hätte gedacht, dass das Ansteigen des Meeresspiegels sich positiv auswirkt und mehr Feuchtgebiete erzeugt, etwa die salzwassertauglichen Mangrovenwälder, und der Abfluss des Süßwassers reduziert wird. Australien ist nicht sehr hoch. Da macht ein höherer Meeresspiegel echt was aus.
Möglicherweise ist das der Anfang vom Ende von Australien als Siedlungsstaat.