Korrelation, Kausalität und Kameras
Kennt Ihr den? Treffen sich zwei Themen im Blog. Sagt das eine zum anderen…
What Smartphones Have Done to the Camera Industry Wie die Smartphones die Kamera-Industrie verheert hätten. Apple kommt, Kameramarkt futsch.
Geschrieben von wem? Einem deutschen „Datenjournalisten”. Ihr wisst, was ich von denen halte.
Ist das mal wieder so? Kann man eine Korrelation finden und dann irgendeine Kausalität behaupten, gerade so, als wäre man Soziologe? Oder Philosoph oder sowas?
To the camera and photo equipment industry, the rise of smartphone photography has had devastating effects. According to CIPA, a Japan-based industry group with members such as Olympus, Canon and Nikon, worldwide camera shipments dropped by 84 percent between 2010 and 2018. The steep decline was mainly driven by a drop-off in shipments of digital cameras with built-in lenses, the type that casual photographers used to rely on prior to the rise of smartphone photography.
Waren das wirklich die Smartphones an sich? Die zwar an sich inzwischen sehr gute Aufnahmen machen, aber lange Zeit das digitale Äquivalent einer Pocket-Ritsch-Ratsch-Klick-Kamera waren, mit Weitwinkel, Fixfokus und kaum mehr als einem roten Knopf zum draufdrücken?
Oder war es nicht umgekehrt ein Zeitgeistwechsel, der sowohl im Kameramarkt, als auch bei den Smartphones für Veränderungen sorgte, ohne dass diese untereinander im kausalen Zusammenhang stünden?
Denn gerade so in der in dieser Graphik gezeigten Hochzeit des Kameramarktes habe ich damals von einer billigen alten Minolta/Sony/Sigma-Ausrüstung auf eine damals ganz neue und teure/professionelle Nikon-Ausrüstung umgestellt und kann mich gut daran erinnern, die damals die Lage und was die Auswahlkriterien waren. Damals ging alles um Bildqualität. Man hat Fotos auf etwa A4 oder A3 oder größer ausgedruckt und Fotobücher produziert. Ich habe auch welche gemacht. Richtig schöne sogar, wie ich für mich in Anspruch nehmen kann. Weil so eine Nikon einfach auch geile Qualität liefern kann, wenn die richtige Optik davor ist. Weil der Spruch, dass der Fotograf und nicht die Kamera das Bild macht, so richtig strunzdumm ist. Es kommt sicherlich nicht so sehr auf die Kamera an, aber auf das Objektiv schon. Und wenn man sich damals eine richtig gute Ausrüstung gekauft hat, dann waren da hat schon mal so um die 7000 Euro unterer Startpunkt drin, Tasche und Stativ noch nicht eingerechnet.
Nur: Das war es dann auch erst mal. Danach brauchte man lange nichts. Die Objektive, die ich damals gekauft habe, sind 10 Jahre später immer noch prima, nur die Kamera hintendran tauscht man so alle 3-5 Jahre mal aus, insofern keine schlechte Investition. Einen ausgeleierten Gummiring habe ich mal als Ersatzteil nachgekauft. Und bei den Kameras herrscht ein gewisser Wettbewerb, da ist die Marge jetzt auch nicht so der Brüller.
Insofern war – wie bei mir – der ganze Kamera-Hype zwischen 2000 und 2010 eben nur ein Schub aus der in dieser Zeit aufgekommen und damals im Prinzip schon weitgehend ausentwickelten Digitalkameratechnik. Man guckt eigentlich nicht auf den Absturz danach, sondern auf den Anstieg davor, und der hat mit Smartphones nun gar nichts zu tun. Es ist eher umgekehrt so, dass Smartphones ein Nutznießer dieser Kameratechnik sind. Schaue ich mir die D300s an, die ich damals gekauft habe, dann ist die zwar inzwischen veraltet, ausgemustert und nur noch für Tests und Sonderfälle in Gebrauch, aber sie ist eigentlich nur in zweierlei Hinsicht veraltet: Die Fotoauflösung von 10 Megapixel ist nicht mehr so aktuell und die Videofähigkeiten sind steinzeitlich. Abgesehen davon wäre das auch heute noch eine richtig gute Super-Kamera, mit der ich meine besten Fotos gemacht habe.
Genau das aber war deren Problem: Jeder der wollte, hatt sich so um 2010-2012 eingedeckt und damals eine Nikon D300s, D700 oder Canon EOS 5irgendwas gekauft und war danach zwar ärmer, aber erst mal für Jahre ausgestattet. Da kam nicht mehr viel hinterher. Ich habe zwar danach noch viel Kram von Nikon gekauft (und vor allem bei kleineren Kameras manches bereut), aber teuer waren davon nur noch eine D800 und ein 14-24, und auch bei denen hatten sie nicht so eine große Marge. Mit ein Grund, warum die jetzt ein neues Kamerasystem mit anderem Bajonett und anderer Technik rausbringen (müssen): Die Leute sollen irgendwas neu kaufen.
Gleichzeitig haben sich aber die Kauf- und Sehgewohnheiten geändert. Geiz wurde geil, dafür ständig was Neues, kleiner Elektronik-Tand, nicht mehr die große schwere Kamera. Zumal das feministische Zeitalter kam, und man sieht zwar auf den Straßen – wie schon oft erwähnt – zwar mehr Frauen als Männer mit Spiegelreflexkameras, aber wenn, dann praktisch nur mit den kleinen, leichten (billigen) Plastikkameras. Eine große, schwere, teure Nikon D5 sieht man äußerst selten in Frauenhänden. Allein schon durch die Frauenquote in Redaktionen und die Frauenförderung sind den Herstellern die Kunden für die großen Brocken abhanden gekommen.
Wie oft habe ich das schon gesehen: Journalistinnen, die tatsächlich Stativ und Stativhalterung und externes Mikro und manchmal sogar Licht aufbauen und dann – man fasst es nicht – ein Handy innen reinklemmen.
Gleichzeitig sind die Qualitätsansprüche, naja nicht in jeder Hinsicht gesunken, sondern sie haben sich verschoben. Gestochen scharfe Aufnahmen mit perfekter Schärfentiefe und geilem Kontrastumfang interessieren keine Sau mehr. Video in FullHD und mit gutem Ton muss ran. Und natürlich Selfie-fähig, weil der Kameramann eingespart wurde. Das aber haben die Kamerahersteller erst in den neuesten Kameras eingebaut. Erst seit neulich hat etwa Sony die A6400 und A6600 im Programm, bei denen sich der Bildschirm so hochklappen lässt, dass er von vorne sichtbar ist. Smartphones dagegen haben – eigentlich für Videokonferenzen – schon lange Frontkameras. Neulich gab es das erste Smartphone, bei dem die Frontkamera besser als die Hauptkamera auf der Rückseite ist.
Dazu kam der Selfiestick.
Und Geiz ist geil.
Und die neue Verkaufsmasche, den Leuten alle 2 Jahre etwas neues anzudrehen, nicht mehr wie früher alle 5-10 Jahre. Wer 10 Jahre lang das neueste iPhone haben muss, hat auch Tausende ausgegeben.
Außerdem der Drang, alles sofort mobil ins Internet zu pumpen, weil niemand mehr die Zeit hat, sich noch abends an den Rechner zu setzen und Bilder zu bearbeiten. Alles schnell, schnell, schnell, einfach, einfach, einfach. Und jetzt beschweren sich dieselben über den Stromverbrauch.
Aber Datenjournalisten schreiben, das Smartphone hätte die Kameraindustrie zerbröselt.
Ihr wisst ja, was ich von „Datenjournalisten” halte. Leute, die die Unfähigkeit, Korrelation und Kausalität zu unterscheiden, zum Beruf gemacht haben.