Ansichten eines Informatikers

Die Feuerzangenbowle und die 39 Semmelknödel

Hadmut
26.12.2019 19:57

Anmerkungen zum Film.

Vorgestern liefen mal auf ARD und ZDF gleichzeitig Märchenfilme, ich glaube sogar beides Aschenputtel-Versionen. Obendrauf noch Drei Semmelknödel für Aschenbrödel, das gleich dreizehn Mal läuft.

Haben die noch alle Latten am Zaun?

Im Moment läuft [Nein, vorhin, ich hatte vergessen auf „publish” zu drücken und danach die letzten 3 Stunden mit Telefonieren, Kochen, Essen und anderem verbracht und nicht gemerkt, dass der Artikel nicht vorhin während des Films schon rausgegangen ist wie gedacht, sollte also eigentlich vor 3 Stunden während der „Feuerzangenbowle” schon erscheinen] schon wieder einmal „Die Feuerzangenbowle”. Auch x-mal wiederholt. Nicht, dass ich was gegen den Film hätte, der ist schon nett. Aber nicht so nett, dass man ihn in Endlos-Schleifen zeigen müsste.

Ich habe den Film als Kind besonders geliebt, weil ich an einem altsprachlichen Gymnasium war, das die ersten eineinhalb Jahre (5. und Teil der 6. Klasse) noch in einem 450 Jahre alten Schulgebäude (nein, falsch, die Schule war 450 Jahre alt, das Gebäude zwar altmodisch, aber doch nicht ganz so alt, heute ist eine andere Schule in dem Gebäude) mit den alten, verschraubten Schulbänken war, im Tisch noch die Vertiefung für das Tintenfass, wir mussten noch aufstehen, wenn der Lehrer reinkam. Ich hatte – etwas mehr als ein Jahr – noch genau diesen Schulunterricht wie aus der Feuerzangenbowle. Hatte mir meinen bisher einzigen Fernsehauftritt eingebracht, denn das Regionalfernsehen war mal da und berichtete über den herrlich altmodischen Lateinunterricht. Und weil ich damals der Kleinste (und Jüngste) in der Klasse war und in der ersten Reihe saß, Kamera voll drauf, ich als Sextaner beim Vokabelpauken und Übersetzen im Fernsehen, Klassenzimmer wie anno dunnemals. Von außen sah die Schule auch aus wie in der Feuerzangenbowle.

Den „kleinen Lord” zeigen sie auch immer wieder, immerhin wenigstens das Original und nicht die idiotische Gender-Kopie. Wobei ich den Film schon im Original nicht so den Brüller finde, platte Story, hölzern geschauspielert.

Als ich jünger war, kam wenigstens noch jedes Jahr in der Weihnachtszeit „Wir sind keine Engel” mit Humphrey Bogart und Peter Ustinov. Immerhin zwei Leichen und die Teller werden gespült. Arsen und Spitzenhäubchen war auch besser als das aktuelle Fernsehprogramm.

Worauf ich aber hinauswill:

Ständig schreien sie alle „Nazis raus” und stellen wirklich ausnahmlos alles unter die Antifa-Flagge des Kriegs gegen die Nazis. Lauter Nazis. Überall Nazis.

Aber dann zeigen sie wiederholt den Nazi-Propaganda-Film „Die Feuerzangenbowle”.

Merkt man nicht so, weiß auch nicht jeder, aber das war ein gute-Laune-Film in übelsten Kriegszeiten, und Heinz Rühmann wurde ja nach dem Krieg auch als Nazi-Schauspieler beschimpft. Gedreht unter Kriegsbedingungen, die Dreharbeiten in Potsdam mussten wegen Luftangriffen immer wieder unterbrochen werden. Wenn ich mich jetzt richtig erinnere, hat er sich Lebzeiten (wann auch sonst…) mal dahingehend geäußert, dass er das halt gemacht hat, um Schauspieler bleiben zu können und nicht als Soldat im Krieg verheizt zu werden – Überleben statt Gesinnung. Eigentlich war der beruflich schon erledigt, weil mit einer Jüdin verheiratet, bekam aber als besonders beliebter Schauspieler Hilfe von Göbbels und Göring. Nach der Scheidung kam er wieder in die Reichsfilmkammer.

Zum Film selbst heißt es auf Wikipedia:

Im Januar 1944 versuchte der Reichserziehungsminister Bernhard Rust die Freigabe des Films zu verhindern mit der Begründung, dass er die Autorität der Schule und der Lehrer gefährde, was die schwierige Situation durch den kriegsbedingten Lehrermangel noch erschwere. Rühmann fuhr daraufhin persönlich mit einer Filmkopie für zwei Tage in die Wolfsschanze, wo über Hermann Göring die Meinung Adolf Hitlers zum Film eingeholt wurde. Nach dessen Zustimmung erhielt der für Propaganda zuständige Minister Joseph Goebbels die Anweisung, den Film freizugeben. Die Premiere fand drei Tage später am 28. Januar 1944 in den Berliner Ufa-Palästen Königstadt und Tauentzien statt. Da abends mit Fliegeralarm zu rechnen war, wurde die Premiere in die Vormittagsstunden gelegt.

Ich bin nicht der Meinung, dass man das dem Film direkt anlasten sollte. Man verdammt ja auch keine Nudeln, weil die Nazis Nudeln gegessen haben. Ich finde auch diesbezügliche inhaltliche Kritik an dem Film etwas an den Haaren herbeigezogen. Etwas zeitgeistig, aber meines Erachtens weitgehend ideologiefrei. (Man streitet, weil der Lehrer Dr. Brett angeblich von der Vorlage abwich und das damalige Ideal darstellen soll.) Aber er wurde nun mal in der heißesten Propagandaphase vom Propagandaminister zugelassen.

Wenn man das etwas tiefer verstehen will, was es bedeutet, dass ein so harmloser heiterer Film, der für die ganze Familie gemacht und universalkompatibel zu sein scheint, a) einer Freigabe bedurfte und sie b) auch bekam und das von c) Hitler selbst, muss sich die Vorgeschichte anschauen. Denn was die meisten nicht wissen: Der Film ist ein Remake. Rühmann hat den Film 10 Jahre vorher, 1934, schon mal gedreht, da hieß er noch „So ein Flegel” und es geht dabei um Zwillingsbrüder, die tauschen, ein komplett misslungenes, unlustiges, hölzern und schlecht gespieltes Werk basierend auf demselben Buch, ebenfalls mit Rühmann in der Hauptrolle. (Es gibt eine verunglückte Version auf Youtube, die statt der echten 1:17 2:22 lang ist und sich anscheinend wiederholt oder sowas.) Offenbar hat Rühman in den 10 Jahren dazwischen sehr viel gelernt. 1934 hatten ihm die Nazis allerdings noch verboten, sich über die Schule „lustig” zu machen, wie in Wikipedia steht:

Den Film traf am 25. Januar 1934 ein Jugendverbot, was unweigerlich Gewinneinbußen nach sich zog. Im Verbot aufgeführte Gründe waren „Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“, „Verletzung des religiösen oder sittlichen Empfindens“ und „Beschädigung des deutschen Ansehens“. Im Dritten Reich unterstand die Zensurbehörde dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels, dessen Untergebene verweigerten dem Film seinerzeit die unbeschränkte Freigabe. Die Filmhandlung stand in krassem Widerspruch zum nationalsozialistischen Anspruch an eine Lehranstalt. Nach Ansicht der Zensoren wurde die staatliche Institution Schule der Lächerlichkeit preisgegeben, die deutsche Jugend durfte mit so etwas nicht konfrontiert werden.

Obwohl die zweite Version wesentlich lustiger ist, hatte man sie gestattet. Weil man es 1934 nicht wollte, dass irgendetwas in Zusammenhang mit dem Regime lustig erscheinen könnte, während man 1944 dringendst etwas Heiterkeit brauchte.

Was will ich damit sagen?

Es sind nicht die Maßstäbe, die mich so besonders ankotzen. Es sind die doppelten Maßstäbe.

Es spricht meines Erachtens nichts dagegen, den Film zu zeigen. Ich finde den in Ordnung. Aber ich finde es absurd, wenn das ganze Jahr die große Hetzjagd auf alles betrieben wird, was auch nur im Promillebereich irgendwie als naziaromatisch hingestellt werden könnte, aber wenn das Fernsehgesindel faul Weihnachten feiert und den Sender auf Autopilot und Endloswiederholungen desselben Käses stellt, sie dann plötzlich so gar keine Probleme mehr mit einem Film aus der NS-Zeit haben.

Nicht der Film stört mich. Sondern der Umstand, dass die Maßstäbe, die uns sonst als zwingend, unerbittlich und unausweichlich dargestellt werden, nicht mehr gelten, wenn das aktuelle Propagandagesindel Feiertag hat.

Und genau das ist der Punkt, weshalb ich das alles für opportunistische Lüge und nicht für Überzeugung halte. Überzeugungen gelten auch an Weihnachten.

Wie gesagt. Der Film an sich stört mich nicht. Aber es fällt mir halt so auf. Und ein bisschen Abwechslung täte uns auch beim Fernsehprogramm nicht schlecht. Oder wie man auf neudeutsch so gerne sagt: „Diversität”. Die gilt auch für alles, nur nicht für das Fernsehprogramm.

Insgesamt 39 Semmelknödel für Aschenbrödel.

Warum eigentlich sehen wir nicht mal so, was in Syrien, Iran, Irak und so weiter zu der Zeit im Fernsehen kommt? Fände ich viel interessanter. Das hätte mich jetzt überaus interessiert.

Aber vielleicht ist es wie damals: Falsche gute Laune, dringender Bedarf an etwas aufgesetzter Heiterkeit in den letzten Kriegstagen senden.