Wenn die Realität die Satire überholt

Eigentlich wollte ich einen Witz machen. Aber die Realität kam mir zuvor.

Über eine Sternstunde der Demokratie

Ich sollte künftig davon absehen, über Witze nachzudenken und daran herumzuformulieren, bis sie witzig sind, und sie gleich raushauen, solange sie frisch sind.

Eigentlich war ich auf den Gedanken gekommen – und nicht nur ich, einige Leser hatten das auch geschrieben – dass wenn die AfD Eier und/oder Humor hätte, sie bei der nächsten Wahl in Thüringen Ramelow wählen würden.

Denn die CDU kann/will Ramelow nicht wählen, hat aber gesagt, sie würde sich enthalten, damit Ramelow im dritten Wahlgang die relative Mehrheit bekommt, weil rot-rot-grün nicht auf eine absolute kommt.

Das heißt, dass die AfD Ramelow in den ersten zwei Wahlgängen durchaus zu einer absoluten Mehrheit verhelfen könnte, womit Ramelow dann „mit den Stimmen der AfD gewählt wäre” – also dem Untergang unterliegen müsste, wenn gleiche Maßstäbe anzulegen wären (Ihr keinen meinen Spruch dazu).

Die AfD kann in Thüringen nicht regieren und auch nicht mitreden, aber in der Position, einen Menge Spaß zu haben, sind die schon. Man könnte die Linken so richtig schön vorführen, wenn sie jetzt mit Ramelow einfach das gleiche machten wie mit Kemmerich und dann dessen Rücktritt forderten.

Den Gag hatte ich eigentlich für morgen vorgesehen, wollte noch ein bisschen dran herumüberlegen.

Zu spät.

FOCUS schreibt gerade darüber, wie kompliziert und verschlungen die Wahlüberlegungen in Thüringen jetzt sind.

Die Linke will eine Wahl im ersten Wahlgang und fordert dafür tatsächlich Stimmen von CDU und FDP. Muss man sich vorstellen: Die Honecker-SED will von CDU und FDP gewählt werden. Das wollen die nun wieder nicht, bieten aber die Enthaltung an (was letztlich aufs gleiche rausläuft, nur eben im dritten Wahlgang mit relativer Mehrheit statt im ersten mit absoluter).

Der Haken: Nach einem Krisentreffen mit der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer hatten der Thüringer CDU-Parteivorstand und die Landtagsfraktion eine aktive Unterstützung einer Ramelow-Wahl jedoch ausgeschlossen. Man wolle einen von der Linken aufgestellten Ministerpräsidenten nicht aktiv ins Amt wählen.

Heißt: Wenn keine CDU-Abgeordneten von dieser Linie abweichen, (was angesichts des Unmutes gegenüber Fraktionschef Mike Mohring nicht auszuschließen ist), müsste sich die FDP-Fraktion bereiterklären, für Ramelow im ersten Durchgang zu stimmen, wenn die Linke stur an ihrer Bedingung festhält, bereits im ersten Durchgang eine absolute Mehrheit für Ramelow zu bekommen.

Und damit ist zu rechnen, wenn die Linke nicht selbst in die Falle tappen will. Denn die AfD hat bereits das nächste Manöver angekündigt. „Die kopflose Reaktion von CDU und FDP bringt mich zu der Empfehlung an die thüringischen Freunde, das nächste Mal Herrn Ramelow zu wählen, um ihn sicher zu verhindern – denn er dürfte das Amt dann auch nicht annehmen“, sagte AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland am Samstag.

Ramelow würde das Amt in diesem Fall in der Tat nicht annehmen, wie die Thüringer Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow am Abend unterstrich. “Wir müssen dokumentieren, dass er von Demokraten gewählt wurde”, sagte sie in Reaktion auf die Aussage Gaulands.

Was ich mich jetzt frage: Wenn einer im ersten Wahlgang absolut gewählt wird und die Wahl nicht annimmt, kann er dann im zweiten und dritten Wahlgang nochmal antreten, oder ist er dann aus der Wahl als Kandidat raus? Könnte er im ersten Wahlgang sagen „ich will nicht”, um dann im dritten mit der relativen Mehrheit gewählt zu werden, damit es nicht auf die Stimmen der AfD ankommt?

Also wollen sie jetzt das machen:

Hennig-Wellsow betonte, es dürfe bei der Wahl Ramelows zum neuen Regierungschef in Thüringen nicht auf die Stimmen der AfD ankommen. “Wir werden Ramelow nur in die Wahl schicken, wenn wir eine demokratische Mehrheit für ihn haben”, machte Hennig-Wellsow klar, die in Thüringen auch Linke-Fraktionschefin ist. Die Abstimmung zur Ministerpräsidentenwahl findet geheim statt. Hennig-Wellsow sagte, die CDU könne zum Beispiel öffentlich ankündigen, dass vier oder fünf ihrer Abgeordneten Ramelow mitwählen würden – ohne deren Namen zu nennen. “46 Stimmen müssen drin sein”, sagte sie.

Die Linke will Ramelow nur ins Rennen schicken, wenn die CDU ihr zusichert, dass ein paar ihrer Abgeordneten Ramelow wählen, ohne deren Namen zu nennen. Obwohl es AKK verboten haben will.

Nur: Wie beweist man das?

Wenn die AfD mal nachdenkt, wählen sie Ramelow dann mit n-5 oder besser n-10 (FDP kompensieren) ihrer eigenen Stimmen und behaupten hinterher, sie hätten alle für Ramelow gestimmt, damit es keinen Stimmüberschuss geben kann, Ramelow also nicht mehr Stimmen als Linke+Grüne+SPD+AfD bekommt und keiner sagen kann, das hätte auch ohne die AfD funktioniert. Weil dann nämlich keiner widerlegen kann, dass Ramelow nur mit Hilfe der AfD gewählt wurde. Bekäme Ramelow aber etwa Linke+Grüne+SPD+AfD+10 Stimmen, könnte jeder sagen, es hätte auch ohne die AfD geklappt.

Ich finde das herrlich. Es hat was von Schach, es hat was von Spieltheorie, von Strategie. Auf einmal macht das Spaß.

Oder eigentlich auch nur von Idioten austricksen.

Denn eigentlich geht es nur darum, Leute, die dieses „Gute Stimmen, Schlechte Stimmen”-Spiel spielen ad absurdum zu führen. Das mag hier noch wie Witzbude wirken, aber von diesen Spinnern soll Thüringen 5 Jahre regiert werden. Das mag ja im Moment noch mächtig Unterhaltungswert haben und die Nachrichten endlich mal wieder etwas weniger monoton machen, aber derselbe Scheiß geht ja dann bei dieser rot-rot-grünen Minderheitenregierung bei jeder einzelnen Abstimmung neu los.

Sorry, wenn ich das mal so sage, aber: Mein Eindruck ist, dass von den sechs Parteien im Thüringer Landtag die AfD derzeit am meisten für die Demokratie tut, denn auf einmal ist das in der Öffentlichkeit, ist das Thema, werden die Ränkespiele der Parteien „sichtbar”.

Wer hätte sich je vorstellen können, dass CDU und FDP mit ihren Bundesparteien Ärger bekommen, weil sie in eine Regierung wollen? Dass Merkel/AKK/Lindner ihre Leute dort zwingen, auf Regierung zu verzichten?

Oder wann hätte man je so deutlich gesehen, dass Rot-Rot-Grün auch aus der Minderheit heraus regieren will, mit welchen Mitteln sie das durchzusetzen versuchen und sich dann noch als Demokraten hinstellen?

Ich halte das, was da läuft, für eine scheinwerferbeleuchtete Schmierenkomödie – und gerade deshalb für eine Sternstunde der Demokratie, weil Parteien und Medien es gerade mal nicht vertuschen und verheimlichen können.

Deshalb halte ich in Bezug auf die Vorgänge in Thüringen die AfD von allen sechs Parteien derzeit für die mit Abstand demokratiedienlichste, weil sie aufzeigt, was für eine Nummer da abläuft. Es wäre sonst niemals in den Nachrichten gekommen, was da abgeht.