Ansichten eines Informatikers

Noch ein paar Sammeleien zur Crypto-Affäre

Hadmut
23.2.2020 15:17

Bisschen Hintergrundbeleuchtung.

Die Webseite „German Foreign Policy” über deutsche Außenpolitik schreibt dazu einen Artikel, wonach nicht nur die Schweiz ein Tummelplatz für deutsche und amerikanische Geheimdienste war/ist, sondern das Ziel der Geheimdienstoperationen in Europa eben ein vereintes Europa sei.

Deshalb werde die Aufklärung hier in Deutschland auch so verschleppt:

Die Aufklärung der kriminellen Aktivitäten des deutschen Spionagedienstes BND gegen dutzende UN-Mitgliedsstaaten und internationale Organisationen mittels der Schweizer Crypto AG wird in der Bundesrepublik verschleppt. Parlamentarische Wortmeldungen gehen in Berlin in zeitzehrenden Anfrageverfahren unter. Während die Schweizer Regierung einen Sonderermittler eingesetzt hat, hüllen sich die deutschen Anstifter in Schweigen. Gemeinsam mit der CIA sind sie für die Ausforschung angeblich befreundeter Staaten mit betrügerischen Dechiffriermaschinen verantwortlich. An den illegalen Operationen ist offenbar der Münchener Siemens-Konzern beteiligt, dessen Beziehungen zum BND legendär sind. Die Verschleppung der Aufklärung nimmt auf strategische Interessen Rücksicht, um die Berlin und Washington konkurrieren.

Manchmal frage ich mich, ob BND und CIA kooperierten um mit- oder gegeneinander zu arbeiten. Ist ja auch eine Methode, den anderen auszuforschen und zu dirigieren. Vielleicht gibt es bei Geheimdiensten aber gar keinen Unterschied zwischen mit- und gegeneinander.

Reiseroute “Rubikon”

Die nationalen Geheimdienste in Paris, London, Rom oder Brüssel kamen dafür nur bedingt in Frage, da sie in Widerspruch zu Teilen ihrer eigenen Regierungen geraten wären – zu den konservativen Herrschaftszirkeln ohne “Europa”-Begeisterung. Dulles, die CIA und ihre politischen Regisseure [8] griffen deswegen auf Helfer zurück, die zuverlässig und in jeder Hinsicht kontrollierbar erschienen – auf die die “Organisation Gehlen”, den späteren BND. Die wegen unzähliger Verbrechen belasteten Agenten aus den Führungskreisen der ehemaligen NS-Abwehr waren erpressbar und auf die vollständige Deckung der US-Schutzmacht angewiesen. Ihre bayerische Operationsbasis in München-Pullach mit technischer Anbindung an den ebenfalls in München tätigen Siemens-Konzern eignete sich hervorragend für den logistischen Austausch mit der Crypto AG im Schweizerischen Zug. Crypto AG und BND etablierten, teils wöchentlich, teils täglich, die Reiseroute “Rubikon”.

Traumziel Großeuropa

Unter den wachsamen Augen des Schweizer Staatsschutzes war das Schweizer Staatsgebiet zum Tummelplatz systematischer Agententätigkeit deutsch-amerikanischer Operationen geworden.[9] Bis etwa 1956 als CIA-Subunternehmer, dann auf eigene Kosten, sorgte die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem Geheimdienst BND und der Crypto AG für die kriminelle Ausforschung, Durchdringung und Neutralisierung des politischen Widerstands in den westeuropäischen Nachbarstaaten: für Großeuropa – das Traumziel deutscher Geopolitik seit Kaiser Wilhelm II. bis Adolf Hitler.

Eine gewagte, aber vielleicht nicht so abwegige These: Die CIA bedient sich eines erpressbaren Geheimdienstes aus Ex-Nazis um europäische Politik zu formen und der Geheimdienst macht mit, weil die noch von einem großdeutschen Reich träumen und das als Möglichkeit ansehen. Das ist so schräg und absurd, dass es fast stimmen könnte.

Eine andere Webseite, die sich LawFareBlog nennt, schreibt darüber, dass es neue Belege für geheime Abkommen zwischen den Staaten gebe.

Operating on this logic, I used FOIA to request any available information about agreements withheld from publication under Section 112a(b)(2)(D), including reports or other materials showing the annual number of agreements withheld since the date of the statute’s enactment in April 1994, the foreign parties to those agreements, and the general subject matter. The State Department largely granted this request and delivered a table with information about classified agreements entered from 1994 through February 2018. This table still leaves many questions unanswered, but it also sheds new light on the practice of secret agreement-making across recent decades.

What does it show?

First, the table discloses the existence of 61 classified agreements. This number almost certainly represents only a portion of the total number executed during the reporting period. One reason is that the State Department (understandably) declined to provide information about agreements whose very existence is classified. A second reason is that, as Curtis Bradley and Jack Goldsmith have explained, “the executive branch has not organized itself internally to ensure that all agreements are deposited in a central location in the State Department.” The Case Act requires any administrative agency that enters into an international agreement to transmit the text to the State Department within 20 days, but Bradley and Goldsmith have suggested that agencies “often” violate this requirement. The combined effect of these conditions is that the FOIA results are likely to represent, at most, the number of international agreements whose contents are classified but whose existence is both unclassified and currently known to the State Department. Depending on the commonality of existence-classified agreements and the extent of agency noncompliance with the Case Act, the results could represent only a tiny sliver of all classified agreements concluded from 1994 to 2018. But even so, the fact that the State Department managed to disclose 61 agreements despite significant legal and practical limits on transparency signals that the United States continues to enter into classified agreements with considerable frequency.

Die USA haben also seit 1994 eine Vielzahl von geheimen Abkommen abgeschlossen – 1994 war das Jahr, in dem ich wissenschaftlicher Mitarbeiter geworden bin. Es war die Phase, als die Kryptoexportverbote der USA in eine Hochphase gingen, und der Escrowed Encryption Standard für den Clipper Chip stammt von 1993. Unsere Bundesregierung wollte 1996/1997 unbedingt Kryptographie verbieten, wusste aber selbst nicht so genau, wie und warum eigentlich.

Es zeichnet sich ab, dass die Crypto-Nummer mit dem Ausstieg des BND aus der Crypto AG 1993 nicht beendet war, sondern das auf andere Weise weiterlief. Es sieht aus, als hätte man sich damals umorientiert: Die Computer kamen langsam in den allgemein brauchbaren Bereich. 1991 entstand PGP, und Computer wie Atari ST und Commodore Amiga hatten sich verbreitet, die ersten Home-Computer, die von der Rechenleistung dazu in der Lage waren. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich PGP damals auf einer Fish-Disk für den Amiga bekommen. Auch Telekommunikation kam auf, Modems kamen in Mode, plötzlich konnten Leute, wenn auch nur langsam und mit niedrigster Bandbreite, per UUCP, Usenet, diversen Mailboxen und Board, kommunizieren. Es scheint, als habe man den Fokus von staatlicher Geheimkommunikation mit sehr teuren Cryptomaschinen darauf verlagert, die allgemeine für jedermann zugängliche Verschlüsselung per Software und gewöhnlichem Home-Computer und Datenfernübertragung bekämpft. Ein Paradigmenwechsel.

Plötzlich musste man Kryptographie verbieten, weil sie jeder kostenlos haben und nutzen konnte, während man vorher noch Staaten Militärkredite gewährte, damit sie sich die teuren Maschinen überhaupt leisten konnten.

Genau in diese Phase bin ich mit meiner Dissertation geraten. Das muss damals ein politisch extrem heißes Pflaster gewesen sein.

Second, the table shows that a majority of the agreements were concluded in the 1990s, as indicated in Figure 1. At first glance, this might seem to suggest that the United States has moved toward greater transparency in recent years. It is unclear and even doubtful, however, that the reported pattern is representative. Indeed, Christopher Kutz has suggested that the number of classified agreements rose with the advent of the war on terror, which is precisely when the disclosed number of agreements drops to zero.

Es zeichnet sich immer plastischer ab, wo ich da damals reingeraten bin.

Man hatte bis Anfang der neunziger Jahre geheimdienstmäßig – nur – die Regierungen abgehört, weil nur die die finanziellen und technischen Möglichkeiten zu verschlüsselter Telekommunikation hatten. Ich war 1985/86 im Grundwehrdienst bei der Bundeswehr, Truppenfernmelder, und da mussten wir noch mühsam handverschlüsseln und per analogem Funkgerät die Buchstabengruppen durchbuchstabieren. Es gab zwar auch verschlüsselnde Fernschreiber, aber an die kamen wir nicht ran. Wir waren in vielen Bereichen noch auf dem technischen Stand des zweiten Weltkrieges (Pistole, Maschinengewehr, G3, Kübelwagen, Teile der persönlichen Ausrüstung, Bakellit-Fernsprecher mit Handkurbel, Telefonvermittlung mit Klinkenstecker, alles noch Stand oder identisch zweiter Weltkrieg), und die Grenadiere benutzten noch ein „Rechengerät Ballistik” – ein mit Glasröhren betriebener Analog-Rechner, dem der elektromagnetische Puls einer Atombombe nichts anhaben konnte.

Anfang der neunziger Jahre dann die technische Revolution, Homecomputer mit 68000-Prozessor und später PCs mit 8088 und 8086, 80286 kamen auf, die erstmals ordentlichen Kryptographie mit Langszahlarithmetik rein per Software und kostenlos in, naja, praktikabler Geschwindigkeit durchführen konnten, dazu das Aufkommen der Datenfernübertragung, Telekommunikation, per Modem, und an den Unis und in manchen Firmen schon das Internet.

Da brannte damals die Luft, das war effektiv ein enormer Kontrollverlust für die Geheimdienste.

Und Vorgänge wie Clipper-Chip, Exportverbot oder eben das versuchte Kryptoverbot der Bundesregierung von 1997, an dem ich zumindest indirekt, als Assistent, schriftlich und mündlich so ein bisschen mitvereitelt habe, dürften da böse aufgefallen sein.