Ansichten eines Informatikers

Ich, alter Knacker…

Hadmut
5.4.2020 21:19

Wisst Ihr, was mich wundert?

(Gut, zugegeben, die Frage ist blöd, ich wundere mich ja ständig und jeden Tag über alles mögliche.)

Es heißt doch immer, alte Leute wären starrsinig, unbeweglich, altmodisch, zu nichts neuem zu gebrauchen, nicht bereit, nicht in der Lage, sich an veränderte Situationen anzupassen, und für Digitalisierung gleich gar nicht zu haben.

Spätestens so ab meinem Alter (oder eigentlich schon 10 Jahre jünger) gilt man als „alter weißer Mann”, der von der Moderne überrollt würde, konservativ, nicht progressiv, weil verkalkt und nicht mehr in der Lage, sich mit Veränderungen abzugeben. Frauen, Migration und so.

Gleichzeitig heißt es, die Jungen, die neue Generation, die Millenials und danach, die digital natives, die seien progressiv, beweglich, würden alte Zöpfe abschneiden, alles Gewohnte und Althergebrachte in Frage stellen, würde neue Gesellschaftsformen bilden, alles digitalisieren und so weiter.

Vielleicht bin ich da als Informatiker samt meinem Bekanntenkreis (was Freunde angeht, die Nachbarn habe ich ja nicht gewählt) nicht ganz repräsentativ, aber meine Beobachtung in der Corona-Krise ist eine genau gegensätzliche:

Ich kenne niemanden meiner Altersgruppe, der irgendein Problem damit hätte, sich an Corona-Umstände anzupassen. Home-Office, digital arbeiten, Videokonferenzen, alles mal umstellen und umbauen – Gerne doch, gar kein Problem. Völlig entspannt. Beweglich. Cool.

Viele jüngere Leute bekommen aber schon eine Krise, wenn sie mal nicht zum Saufen gehen können. Oder haben enorme Schwierigkeiten, sich an Home Office, Isolation und sowas anzupassen. Und viele sind auch nicht in der Lage, mal so auf sich gestellt, alleine und ohne Sozialgruppe und Chef zu arbeiten. Sich einfach mal alleine zuhause an den Tisch zu setzen und so ganz für sich zu arbeiten macht vielen erhebliche Probleme.

Und ich glaube nicht, dass das an meinem Fokus liegt. Wenn ich mir anhöre, wer im Radio bei deren Psycho-Hörer-Beratungsstunden so anruft und was die da so beklagen, sehe ich mich da bestätigt.

Ich hatte mal vor langer Zeit in Neuseeland (vorletzte Reise) einen Feuerwehreinsatz aus nächster Nähe gesehen. Fehlalarm, war aber erst nach Prüfung klar. Man nahm an, dass eine Klimaanlage auf einem größeren Haus brennt. Die Truppe kam an, Hektik, Wooling, Kommandos und so weiter, großes Durcheinander.

Und dann kam der mit der großen Drehleiter. So ein dicker, alter, mit so einem riesigen gezwirbelten Schnurrbart, stellte da in aller Ruhe seinen Truck vor das Haus, fuhr die Stützen aus, dann die Leiter hoch an die Dachkante (ich weiß nicht, warum ohne Leute, ob die da hochsteigen wollten oder ob die da eine Kamera oben dran hatten), betrachtete in Ruhe sein Werk, fand, dass es gut war, holte dann erst aus einem Kasten hinter einer Klappe seine Feuerwehrklamotten, zog die in Ruhe an, und war trotzdem noch vor allen anderen fertig und einsatzbereit.

Darüber habe ich mich mal bei einem Tag der offenen Tür mit der Münchner Feuerwehr unterhalten. Und die sagten mir: Solche Leute seien ganz, ganz wichtig bei der Feuerwehr. Die Erfahrung haben und Ruhe reinbringen und nicht losrennen wie wild. Sie würden beispielsweise das Außentor an der Feuerwache beim Einsatz auch erst aufmachen, wenn der ganze Löschzug draußen und abfahrbereit ist, weil die Jungen sonst vor Adrenalin alleine losbrettern.

Ich habe gerade das Gefühl, dass der Laden „Deutschland” (und eigentlich jeder andere auch) ganz besonders auf alte Leute angewiesen ist.

Alte Leute, weil die die Ruhe, Erfahrung, Gelassenheit und Beweglichkeit haben, sich auch an andere Situationen anzupasssen und nicht auf ihre als Idealweg aufgefasste Vorstellungen festgelegt sind.

Wie schon oft gesagt: Seit über 2000 Jahren ist belegt, dass die Alten über die Jugend schimpfen. (Und vermutlich umgekehrt.) Ich habe aber den starken Verdacht, zu den ersten Alten seit 2000 Jahren zu gehören, die mehr können als ihre Jungen.