Öffentlich-rechtliche Ohrenpest
Nicht nur im Rachen, in der Nase und in der Lunge. Auch in den Ohren.
Ich hatte ja neulich schon gefragt, wie lang es wohl dauern wird, bis wir zum ersten Mal wieder einen Abend erleben, in dem das Corona-Virus im öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm kein einziges Mal mehr erwähnt wird. Oder wann sie das „ZDF spezial” mal in „ZDF normal” umbenennen, weil nichts mehr so regelmäßig ist wie die Sondersendung.
In den letzten Tagen wurden die Sondersendungen schon immer abstruser, weil sie wirklich niemanden mehr finden, den sie nicht schon dreimal dazu befragt haben (sofern er zu denen gehört, die von der political correctness her überhaupt gezeigt werden darf), und ihnen auch keine Themen mehr einfallen. Das wurde schon ziemlich, ziemlich absurd die letzten Tage. Jeden Tag senden die Sondersendungen, obwohl sie immer weniger wissen, was sie jetzt eigentlich noch senden sollen.
Manchmal überlege ich, ob die vom Fernsehen unbedingt so wichtig sein wollen, oder ob sie vielleicht müssen, obwohl sie nicht mehr wollen.
Könnte es womöglich sein, dass das politisch gewollt ist, dem Bürger zu vermitteln, dass wir eine Krisen- und Ausnahmesituation haben und deshalb andere Regeln vorrübergehend gelten, und deshalb jeden Tag die Alarmglocke geschlagen werden muss um zu sagen „Auch heute wieder schreckliche Krise”?
Oder ist es vielleicht so, dass sie das nicht müssen, aber aus vorauseilendem Kanzlergehorsam tun, weil sie meinen, die Maßnahmen flankierend rechtfertigen zu müssen, indem sie täglich laut schreien, was jeder schon weiß?
Oder man andererseits versucht, eine Gewöhnung zu verhindern? Der Mensch nimmt ja Gefahren, an die er sich mal gewöhnt hat, nicht mehr ernst. Saufen, Rauchen, Rasen, in AIDS-Schuppen rumbumsen und sowas.
Eigentlich wollte ich am Wochenende was schreiben und fragen, ob noch jemand merken würde, wenn die bei ARD und ZDF nur noch zwei Sondersendungen haben und die abwechselnd senden. Oder nur noch eine.
Da schreibt die WELT gerade zum selben Thema: Corona kommt Deutschen zu den Ohren raus
Neben beeinträchtigtem Geruchs- und Geschmackssinn – viele sagen, sie hätten nichts mehr geschmeckt – geht Corona offenbar auch auf die Ohren, wenn die Leute sagen, sie können es nicht hören. Mir war bisher nur ein Fall aus dem Iran bekannt, in dem vom Ausfall des Gehörs berichtet wurde.
Walter Drängler aus Bad Langweil an der Mecker schildert das Problem stellvertretend für viele Betroffene: „Hilfe! Nach dem 328. Mal ,ARD extra‘ und ,ZDF spezial‘, dem 139.356. Podcast und der dreimillionsten Zurechtweisung meiner Frau zu dem Thema kommt mir das Coronavirus zu den Ohren raus!“ […]
Die alleinerziehende Mutter Angelika Volldurch, die mit ihren drei schulpflichtigen Kindern seit Wochen zu Hause sitzt, hat es erwischt. Sie sagt: „Ich kann ,Coronavirus‘ echt nicht mehr hören.“
Und bevor mir wieder jede Menge Schlaumeier schreiben: Ja, es könnte was mit Humor und Satire zu tun haben.
Spaß beseite.
Die Frage ist wirklich, was sich ARD und ZDF dabei denken, nichts Neues, aber das immer wieder zu senden. Ich hatte ja auch schon den Verdacht, dass das ein Lückenbüßer ist, weil ja ziemlich oft „Sendung X entfällt” einblenden, und es eigentlich gar nicht darum geht, die Sondersendung zu machen, sondern eine Ausrede dafür zu haben, die Sendung X nicht zu machen.
Vermutlich sind da auch gerade ziemlich viele Leute im Home Office, in anderen Ländern haben ja auch Fernsehsender schon Kurzarbeit angemeldet. Sportmoderatoren moderieren den Straßenverkehr vom heimischen Balkon aus, oder senden als Prothese alte Fußballspiele noch einmal.
Haben die vielleicht einfach nichts anderes zu senden?
Ich war mal in Berlin beim Tag der Offenen Tür im ARD-Studio, das, was man manchmal auch Programm sieht, jenes mit dem Fenster nach draußen zum Reichstag in der Ecke. Das einzige Fernsehstudio mit einem Fenster nach draußen. Durfte mich mal mit dem Teleprompter als Nachrichtensprecher probieren (geht da auch). Und habe mal gefragt, wieviele Leute die für so eine normale Sendung eigentlich brauchen. Wenn ich mich jetzt recht erinnere, sprachen die von mindestens 40 Leuten, die sie brauchen.
Was aber, wenn die 40 nicht mehr alle da sind, sondern im HomeOffice sitzen? Oder Abstand halten müssen?
Bleibt einem dann vielleicht gar nichts anderes mehr übrig, als irgendwelche Spar-Programme zu machen, in denen man halt Licht und ein oder zwei Kameras einschaltet, jemanden an den Tisch stellt und fertig, und das dann als „Spezial” zu verkaufen?
Interessante Frage übrigens: Ich manchen Studios, ich glaube in den Hauptnachrichten, werden die Kameras nicht mehr von Menschen, sondern von Robotern bewegt. Das Studio darf man aus Sicherheitsgründen ohne Einweisung gar nicht erst betreten, um nicht vom Roboter mit einer Kamera erschlagen zu werden. Noch aber sitzt da einer in der Regie und steuert die fern. Währe das nicht auch mal ein KI-Thema, die Kamerasteuerung – wo zeigt sie hin, welche ist gerade aktiv – zu automatisieren, um mit weniger Personal auszukommen?
Die Frage ist eben, wann solcher Overload mit Blick auf das Befolgen von Corona-Regeln und deren Akzeptanz kontraproduktiv wirkt und sich die Leute von den Fernsehaffen nur noch genervt fühlen.