Ansichten eines Informatikers

Armer kleiner Tegel…

Hadmut
24.5.2020 15:50

Es ist wirklich schade um TXL. [Nachtrag 2]

Tempelhof hat mir ja schon tief in der Seele weh getan, als sie den geschlossen haben. So ein herrlicher altmodischer Flughafen, in dem man sich so wunderbar zeitreisig in die Anfangszeit der Fliegerei zurückversetzt fühlte. Ich bin da leider nie abgeflogen oder gelandet (nur dann später über die Startbahnen geskated, was bei den Windverhältnissen dort unerwarted anstrengend ist), aber ich war zumindest mal in der Empfangshalle, als da noch Betrieb war und die Fluglinien an ihren Schaltern saßen, und es fühlte sich gleich so nach diesem mondänen Flair der 20er und 30er Jahre an. Also nicht dieser 20er, sondern der von vor hundert Jahren. Was auch immer man über die Zeit sagen kann, einen gewissen Lebensstil hatten die schon, es war der Schritt in die Moderne, die Modernisierung, das Reisen. Damals war man noch chic angezogen, wenn man auf Reisen ging. Vielleicht in eine Ju-52 stieg. Ich finde das ja immer so faszinierend, wie schnell sich die Fliegerei damals entwickelt und professionalisiert hat. So um 1900 hat man das Fliegen mit Flugzeugen überhaupt erst erfunden, die tollkühnen Männer in ihren (mehr oder weniger) fliegenden Kisten, 1909 der erste motorisierte Flug auf dem Tempelhofer Feld, und schon 20 Jahre später eine eigentlich durchentwickelte und großverkehrsfähige Flugtechnik, Infrastruktur und moderne Flugzeuge, denen auch die heutigen im Prinzip noch voll entsprechen. Ich habe Euch ja von der DC-3 erzählt, die in Neuseeland hinter dem McDonalds in Taupo steht. Dummerweise gerade wegen Renovierung geschlossen, als ich wieder da war. Sieht zwar mit heutigen Augen nach rustikalem Oldtimer aus, nichtsdestotrotz der Beweis, dass man in nur 30 Jahren — und das völlig ohne Computer, nur Rechenschieber — und ohne Rechenmodelle von Null zu einem massentauglichen Verkehrsflugzeug kam. Ich finde solche Technikgeschichte so faszinierend. Man kann gar nicht genug Respekt vor den Leistungen dieser Leute haben.

Aber wie das so ist, hat man ja auch immer ein Teufelchen auf der anderen Schulter sitzen, das mich daran erinnerte, dass ich damals auch für ein Rechenzentrum in Berlin zuständig war, das in der Einflugschneise von Tempelhof lag, und da mussten wir eben Katastrophenszenarien vorsehen wie ein abstürzendes Flugzeug (so wie gestern in Pakistan) oder herabfallende Teile, abgelassener Treibstoff oder sowas. Und das mit der Schließung dann alles wegfiel.

Tegel war anders.

Tegel war so irre 70er.

Das kann man nicht verstehen, wenn man die 70er nicht miterlebt hat.

Vielleicht lag es daran, dass die 70er das erste Jahrzehnt waren, das ich miterlebt habe, aber sie waren einfach irre. Die Autos waren toll, die Musik war super, die Mode unbeschreiblich hässlich. Tütenhosen, Hemdkragen bis an die Schultern, Gürtelschnallen wie Box-Champions, Koteletten, über die man stolpern konnte, und von den Farben, Formen und Mustern will ich gar nicht erst anfangen. Wippende Plastikfische, die an Federn von den Decken hingen. Kugelfernseher. Highriser. Olympische Spiele ’72 und das mit ihnen eingeführte — und bis heute lebende — minimalistisch-sachliche Schilder-Design, etwa mit den bekannten Sport-Logos. Farbfernsehen.

Man kommt nach Tegel, und diese ganze Architektur, das ganze Aussehen, schleudert einen zurück in die Siebziger. Man denkt, die Polizei dort habe die falschen Uniformen an, die müssten eigentlich die miefigen Uniformen von damals tragen, um da überhaupt stehen zu dürfen, das Gesamtbild nicht zu stören.

Yeah.

Ich liebe Zeitreisen.

Kurz nach der Wende hatte ich mal einen Außentermin bei der Mibrag in Zeitz, und bin von Karlsruhe aus mit dem Zug in die Provinz gefahren. Zweimal umsteigen in immer kleinere, leerere Züge bis zum Schienenbus. Und stand da auf einmal völlig abgelegen und einsam am nächsten Bahnhof, so ein winziger uralter Backsteinbau, der völlig unverändert aussah wie aus den 30er Jahren. Alles sah aus wie in den 30er Jahren. Ihr hättet den kleinen alten Bahnhof sehen müssen. Ich stand da und dachte, ich wäre wie in so einem Kinofilm in eine Zeitreise geraten und um 70 Jahre falsch aus dem Zug ausgestiegen. Es war wirklich eine Reise in die Vergangenheit. Als ich nach geraumer Zeit endlich ein Taxi fand, wollte der mich gleich zur Mibrag fahren. Ich fragte, woher er das weiß, ich hätte doch noch gar nichts gesagt. Man könne da nur zur Mibrag wollen, sonst wäre da nichts. Fremde kämen zu ihnen nicht. Aber wenn doch, dann wollten sie zur Mibrag. Ich fand es so wunderbar. Den Bahnhof hätte ich gerne gehabt.

Irgendwie sah es auch aus wie Entenhausen. Was nicht allzu verwunderlich ist, weil Donald Duck auch ein Produkt der Zeit war.

Nun machen sie Tegel auch zu.

*Großer Seufzer*

Sollten sie den BER jemals aufkriegen, so wäre das nur ein kleiner Trost. Auch eine Zeitreise, zurück in die 2000er Jahre, auch eine seltsame Mode, aber da hat mich irgendwie nichts angesprochen.

Nachtrag: Vor lauter Zeitreisen habe ich vergessen, was ich eigentlich sagen wollte.

Sechseckig.

Tegel ist sechseckig.

Als ich das erste Mal vor vielen, vielen Jahren dort gelandet und abgeflogen bin, hatte ich noch nicht die Angewohnheit, mir alles auf Google Maps anzuschauen, ich glaube, das gab es damals noch nicht. Was interessiert mich auch die Form des Flughafens? Immer den Schildern nach. Irgendwann habe ich dort mal etwas gesucht, bin den Gang entlang, halt immer gefolgt, und habe mich gewundert, warum ich plötzlich wieder da stand, wo ich losgelaufen war. Verhext? Habe ich die Richtung geändert, ohne es zu merken, und war versehentlich wieder zurückgelaufen?

Ich hatte nicht so darauf geachtet, dass ich immer in dieselbe Richtung abgebogen und in einem Sechseck einmal außenrum gelaufen war, dass der Flughafen im Prinzip einen Ring bildet. Das habe ich erst gemerkt, als ich mir das näher angesehen habe, um dem Rätsel auf den Grund zu gehen. Ach, das ist ja ein sechseckiger Flughafen.

Sowas war mir mal in Frankfurt passiert. Da hatte ich mal in einem sechseckigen Bürogebäude/Rechenzentrum zu tun. Dort ist mir das nämlich aufgefallen, dass das Unterbewusstsein – ob nun angeboren oder erlernt – immer von rechten Winkeln ausgeht und die Orientierung darauf ausgelegt ist, in Gebäuden in 90°-Winkeln abzubiegen, um das Gefühl für die Richtung zu behalten. In 120°-Winkeln abzubiegen war ich aber nicht gewohnt, und wenn ich nicht bewusst darauf achtete, war nach zweimal Abbiegen mein Orientierungsgefühl weg, weil man dort auch nicht aus dem Fenster schauen konnte um den Sonnenstand zu sehen.

[Nachtrag 2] Was ich an Tegel auch beeindruckend fand:

Als ich hier 2013 nach einer Wohnung gesucht habe, habe ich irgendwo mal eine Dachgeschosswohnung besichtigt. Die Flugzeuge kamen so niedrig über das Haus rein, dass ich durch das Dachfenster nicht nur die Namen der Flugzeuge lesen, sondern auch die Gesichter der Piloten erkennen konnte.