Ansichten eines Informatikers

Hamburg und die Software

Hadmut
8.6.2020 16:08

Äh…Hä!?

Nachdem ja die Münchner ihr LiMux-Projekt rauswerfen und wieder auf Microsoft springen wollen, kommen jetzt die Hamburger um die Ecke und wollen von Microsoft unabhängig werden.

An sich ja keine schlechte Idee, aber die Begründung finde ich – vorsichtig ausgedrückt – skurril:

„Wir haben den Einstieg in den Ausstieg von Microsoft geschafft“, sagt Farid Müller (Grüne). […]

Auf Seite 161 des Koalitionsvertrags heißt es dazu, dass ein wesentlicher Faktor zur Transparenz eingesetzter Technologien der Einblick in den Code einer Software sei. „Diese Transparenz ist bei Open Source Software per se gegeben“, so Rot-Grün. Deshalb wird Hamburg künftig verstärkt auf den Einsatz von Open Source Produkten setzen.

Für die, die sich nicht so gut auskennen: Wer den Quellcode kennt, kann auch beantworten, wie viel Energie eine Anwendung kostet. „Momentan ist die Digitalisierung der große Energietreiber in allen Bereichen und hier müssen wir mehr wissen, was wir anschaffen“, so Müller.

Im Quelltext nachsehen, wieviel Energie eine Anwendung kostet.

Das halte ich für ziemlichen Blödsinn.

Natürlich spielt es bei Algorithmen eine Rolle, wie der Aufwand steigt (Informatik-Thema Komplexität und Berechenbarkeit, O-Kalkül und so weiter), wenn die Datengröße steigt, ob sich also der Rechenaufwand bei etwa einer Verdopplung der Datenmenge nur logarithmisch vergrößert, verdoppelt, quadriert oder was auch immer.

Sowas hat man aber in einer Stadtverwaltung eher nicht.

Davon abgesehen sagt der Quelltext nicht viel oder kaum etwas über den Stromverbrauch. Der Quelltext kann ja nicht wissen, ob ich das Programm nachher auf einem Raspberry Pi oder einem Mainframe laufen lasse. Oder ob der Prozessor in den Programmpausen schlafen geht, was eine Sache des Betriebssystems und nicht (oder nur am Rande) des Programms ist.

Der Quelltext weiß auch nicht, wie gut der Compiler optimiert und wie aufwendig die Bibliotheken sind, die man aufruft.

Und bei vielen Computern spielt der Stromverbrauch des Prozessors selbst nur eine untergeordnete Rolle, Platten, Lüfter, RAM und so weiter ziehen soviel weiteren Strom.

Dazu kommt, dass man heute auch nicht mehr einen Computer pro Aufgabe verwendet, sondern das alles ohnehin in virtuellen Maschinen oder Containern läuft, und die Computer dann, wenn sie damit gerade nichts zu tun haben, entweder andere Aufgaben erfüllen oder schlicht stehen bleiben. Ob man die beispielsweise abends und am Wochenende herunterfährt und sowas.

Und nicht selten ändert sich der Stromverbrauch deutlich, wenn man dieselbe Software auf einem ähnlichen oder neueren Rechnermodell laufen lässt, ohne sie zu ändern.

Sofern man da überhaupt noch eine Beziehung zu einer bestimmen Hardware, zu einem greifbaren Rechner hat, macht man das in der Praxis, indem man entweder so ein ganz gewöhnliches Strommessgerät in das Stromkabel schaltet oder von vornherein Serverschränke hat, deren Steckdosen den Stromverbrauch erfassen.

Und zu guter Letzt: Es kommt ja gar nicht nur auf den Stromverbrauch des Rechners an, sondern auch der Klimaanlagen und der Netzwerkgeräte. Und das kann die Software auch nicht wissen, steht auch nicht im Quelltext.

Und so ganz profan: Der Stromverbrauch hängt halt wesentlich davon ab, wie sehr man das Ding dann nachher auch nutzt. Und nicht vom Quelltext. Weit ausschlaggebender für den Benzinverbrauch eines Autos ist auch, ob man damit fährt oder nicht, als die Herstellerangabe.

Ziemlich dämlich. Ziemlich grün.

Vielleicht haben die auch bei der Zeitung was nicht verstanden.