Ansichten eines Informatikers

Ethnomathematik für Mathematxende

Hadmut
5.7.2020 1:49

Über die Politisierung der Ausbildung.

Gerade schickte mir ein Leser den Link auf diesen Twitter-Thread:

Sehr interessant zu lesen. Im Prinzip wollen die Geisteswissenschaftler wirklich alle Fächer plattmachen und die Leute nur noch in durchgeknallter Gender- und Gleichheitstheorie ausbilden. (Was mich daran erinnert, dass mir Informatiker mal von einem ganzen Lehrstuhl erzählten, der nur mit Quotenprofessorinnen besetzt war, die – eigentlich unmöglich, die Breite aufzubringen – sämtliche Vorlesungen des Curriculums anboten, unter jedem beliebigen Vorlesungsthema aber immer nur Gender erzählten. Zu Informatik konnten sie nichts sagen.)

Bei Tweet 10 geht es um Rochelle Gutiérrez, Professorin für Pädagogik an der Universität von Illinois, die – Lebenslauf, Soziologie, Department of Latina/Latino Studies – zwar nicht entfernt verstanden hat, was Mathematik überhaupt ist, meint aber, kraft souveräner Dummheit allen Mathematikern vorschreiben zu können, was Mathematik zukünftig zu sein hat. Hier nur mal zum Aufwärmen drei der Tweets:

Das ist kurios, denn gerade kurz vorher hatte mir ein anderer Leser einen Link auf eines von ihren Videos geschickt:

Die Frau hat nicht, wirklich gar nicht verstanden, was Mathematik überhaupt ist. Sie hält das für so ein politisches Ding, bei dem Weiße anderen einhämmern, dass ihre Sicht der Dinge vorgeht. Deshalb müsse man die Mathematik grundsätzlich ändern, beispielsweise auch umbenennen, von mathematics in mathematx, oder auch gleich gleich von Nomen zum Verb umbauen, und die Ethnomathematik einführen.

Man müsse endlich anfangen, die Mathematik so zu gestalten, dass sich jeder als Mathematiker fühlen kann und jede Sichtweise und persönliche Betroffenheit gleich viel wert ist und jeder seine eigenen ethnischen Algorithmen einbringen könne.

Stichwort: „Rehumanizing Mathematics”.

Man müsse Leute in die Mathematik bringen, die da historisch nicht drin sind, und dafür sorgen, dass die sich wohl fühlen und dann ihren Job bekommen. Und das geht halt nicht „If I’m not allowed to use algorithms that come from my home country”. So in der Denkweise, dass Mathematiker eben üble Rassisten sind, die nur Algorithmen der Weißen durchsetzen wollen. Leider gibt sie keine Beispiele von solchen alternativen „Algorithmen”.

Eigentlich hat sie überhaupt nicht verstanden, dass es in der Mathematik (von Informatik-nahen Bereichen wie der Computeralgebra, Numerik und Arithmetik abgesehen, die sie nicht erwähnt) im engeren Sinne gar keine Algorithmen gibt, weil die Mathematik sich nicht mit Rechenmaschinen abgibt. Algorithmen gehören in die Informatik.

Sehenswert übrigens, wie sie immer wieder Begründungen durch Mimik und Gestik ersetzt.

„If I’m not allowed to use my native language” – Wunderbar. Ich wollte schon immer mal mit Himba, Aboriginals, Taiwanesen, Inuit und Indianern über deren mathematische Algorithmen diskutieren, wenn dabei jeder seine eigene Sprache benutzt. Das wird prima.

„If I’m not allowed to bring all that parts of me to this room” – Ja, übel, wenn man an der Mathevorlesung nur teilnehmen darf, wenn man seine Beine draußen lässt. Das ist dann Gender Studies, die beschwerten sich ja immer, dass „Geschlecht” draußen bleiben müsste. Sie wollen als durchsetzen, dass Frauen ihren Südpol mit in die Vorlesung bringen dürfen.

Was sie auch immer wieder betont: Dass das Ansehen der Mathematik und die Gleichsetzung mit Intelligenz völlig unverdient sei, das müsse man auch unterbinden. Der ganze Mathepopanz diene nur dazu, willkürlich Leute als intelligent oder nicht intelligent hinzustellen. Das muss wohl stimmen, denn unsere Verfassungsrichterin Susanne Baer hat über Qualität ja auch sowas gesagt, Qualität sei nur ein Mythos, den sich Weiße ausgedacht haben, um andere auszugrenzen. Deshalb haben sie da beim Gericht ja die Sache mit der Qualität auch völlig aufgegeben.

Und auch Mathematik muss so werden, dass alle einfach gleich sind – gleich gut, gleich viel wert und so. Und deshalb muss man auch diese „Microaggressions” loswerden. Etwa zu sagen, dass etwas falsch oder richtig ist. Dehumanizing. Eine aus dem Publikum beschwert sich auch, dass sie mal mit einem Matheprofessor gesprochen habe, und das sei „really challenging emothically” gewesen. (Komisch, ich habe in meinem Studium mit vielen Matheprofessoren gesprochen, aber mit Emotionen hatte das wirklich gar nichts zu tun.) Das sei das Problem mit den Matheprofessoren – sie kümmerten sich nicht um die Emotionen, die sie beim Publikum verursachten. Schlimm sei auch, dass Studenten da sitzen und ihre Informationen von einer „person in power” bekämen. Da fehlt einfach das Gleichberechtigte, wenn nicht jeder seine Sicht auf die Mathematik gleichberechtigt einbringen kann.

(Ich weiß, dass die Mac-User mit Safari die noch nicht sehen können, aber ich verwende jetzt trotzdem webp, weil es bei den Screenshots enorm viel ausmacht)

Ja, bei der Bewertung von Matheklausuren muss man einfach berücksichtigen, aus welchem Kontext derjenige kommt und was er eigentlich so vorhat. 2+2=7 ist nicht so einfach falsch, es kommt darauf an, was derjenige damit beabsichtigte.

Und Regeln befolgen zu müssen, anstatt sie zu brechen, das ist für Mathe-Studenten auch total entmenschlichend. Wenn ich nur an die binomischen Regeln denke: (a+b)2 = a2 + 2ab + b2 Wie entmenschlichend das in der Schule schon war, das befolgen oder gar verstehen zu müssen. Mensch sein, heißt, die Formeln auch brechen zu können.

Und überhaupt sowas wie Mathematik von der Politik lösen zu wollen – geht gar nicht. Unmenschlich.

Mathematik menschlich zu machen, heißt auch, ein Verb zu benutzen. Und es dekolonialisierend zu benennen, etwa mathematx.

Dabei erklärt sie auch, dass es nicht etwa die Schule sei, die uns Mathematik beibringe. Kinder seien von Natur aus mathematisch, und dann kommen sie in die Schule und die Schule sage ihnen, sie seien jetzt keine Mathematiker mehr.

Wir müssten auch von einer Gesellschaft wegkommen, in der Mathematik das Maß für Intelligenz sei. Beispielsweise könne man den Umgang mit anderen Leuten als Maß für Intelligenz nutzen. Das Problem sei, dass man Mathematics wie Whiteness nutze, um andere Leute einzustufen. Mathematik sei White + Power.

So habe man ja auch die komplexen und die irrationalen Zahlen gefunden: Irgendjemand habe halt einfach mal entschieden, dass dieses Ding, dem da alle folgen, „doesn’t make sense to me”. Die seien alle entstanden, weil irgendwer da was nicht verstanden habe, und sich einfach für sich persönlich was anderes geschaffen habe.

Wir müssen also die Hierarchien in den Unterrichtssälen ändern. Dann müssen Studenten die Möglichkeit haben, wieder zu ihren Wurzeln, zu ihrer Kultur, zu ihren Vorfahren zu finden. Außerdem müssten sie sich selbst im Curriculum wiederfinden. Und man müsse Mathematik als etwas in Bewegung auffassen. Etwas, bei dem an die Ergebnisse ausdiskutieren, ändern, verhandeln kann. Zeigen, dass ein Brechen der Regeln zu anderen Ergebnissen führt.

Wenn ich so drüber nachdenke: Ja. Wenn man etwa binomische Formeln oder die Regeln der Bruchrechnung ändert und verletzt, ja, in der Tat, dann kommen andere Ergebnisse heraus. Hurra, ich hab’s verstanden. Ich bin inklusiv.

Dann muss die Mathematik geöffnet werden, der Fokus weg von Algebra und Rechnen, hin zu Dingen, die bisher nicht als Mathematik galten. (Was denn? Yoga? Ikebana? Brustschwimmen?)

Kreativ muss es sein, Studenten müssen Regeln brechen können.

Der eigene Körper und die Gefühle müssen eingebracht werden. (2+2=5 an traurigen Tagen, 2+2=9 bei schönem Wetter)

Also:

  • Von „Standard-Algorithmen” weg. Stattdessen hin zu traditionellen Stammesalgorithmen.
  • Abstraktion nicht mehr über den Kontext stellen.
  • Aufhören zu glauben, dass unsere Gesellschaft besser würde, wenn jeder in die MINT-Fächer ginge.
  • Intuition als gleich wichtig wie Logik ansehen.
  • Das unverdiente gesellschaftliche Privileg der Mathematik in Frage stellen.
  • Jeder soll seine Ideen in Sprachen vortragen dürfen, die ihm vertraut sind. (Ob sie den Zuhörern vertraut sind, ist egal.)

Ja, und dann natürlich noch kulturell und historisch klarstellen, was Mathematik mit Macht in der Gesellschaft zu tun hat, wessen Mathematik das ist, wer sie vorgibt.

Man muss das Curriculum ändern und Protestmärsche veranstalten.

Noch ein Brüller:

Mathematik sei ja auch nur dazu da, soziale und ökonomische Probleme zu vertuschen, indem man sie als technische ausgibt.

Bewertung

Das ist dumm wie Sägemehl.

Da wird einfach der Mist, den sie für andere Fächer wie Musik oder Geschichte blubbern, auf Mathematik übertragen, ohne dass sie auch nur ein Stück Mathematik verstanden haben.

Beachtlich ist es trotzdem. Denn: Letztlich gibt sie damit zu, dass nur weiße Männer zu Mathematik fähig sind. Weil für alle anderen so so ein belieber Schlabberkram eingeführt werden muss.

Ganz einfache Kontrollfrage: Warum gehen sie dann überhaupt noch oder überhaupt erst zur Mathevorlesung des weißen Mannes? Wenn stimmen würde, was sie da behauptet, dann müsste das doch auch ohne und noch viel einfacher gehen. Dann müsste man beispielsweise Vorlesungen in afrikanischer Mathematik und in Latino-Mathematik haben. Oder wenigstens Beispiele dafür.

Hat sie aber nicht.

Und es ist komplett falsch, zu behaupten, dass die Mathematiker irgendwen oder irgendwas aussperren würden. Im Gegenteil. Käme dort jemand mit etwas Neuem an, was die noch nicht kennen, wären die begeistert und würden sich gleich draufstürzen. Da sind die sehr offen. Es hat nur keiner was. Weil es halt doch nicht so einfach ist, wie die Stammesgeschichten der Vorfahren zu erzählen.

Während diese Leute davon überzeugt, dass sie tatsächlich gleich gut wie oder besser als Weiße wären, würden sie einfach sagen „Mathe? Kein Problem. Her damit. Machen wir noch leichter als Ihr!”

Dieses ganze Gejammer, all das Anerkennungsgeblubber und die Einführung von Alternativen zur machtdiktierten herkömmlichen Mathematik ist letztlich nur das Eingeständnis, dass sie es nicht können.

Das sind aber die Schwätzerinnen und Demagoginnen, die drüben und hier den Ton angeben. Baer hat ja den im Prinzip selben Mist schon von sich gegeben. So werden innerhalb kürzester Zeit Universitäten und Befähigungen, Kapital westlicher Gesellschaften zertrümmert.

Höchst bedauerlich nur, dass sie keine Beispiele ethnischer Mathematik gibt.