Eine Frage zum Prüfungsrecht in Corona-Zeiten
Das ist jetzt knifflig.
Ein Student fragt an, ob ein einer Regelung der FH-Achen zur Prüfungen in der Corona-Krise eine Ungleichbehandlung liege. Namentlich geht es um die Ordnung zur Kompensation der Folgen der Coronavirus-SARS-CoV-2-Epidemie für Studium und Lehre an der FH Aachen, in der es unter § 5 Absatz 9 heißt:
(9) Prüfungen, die nach der Vorlesungsperiode des Sommersemesters 2020 oder zu Beginn des Wintersemesters 2020/21 abgelegt und nicht bestanden werden, gelten als nicht unternommen (Freiversuch), es sei denn, es liegt ein Fall von Säumnis oder ein Täuschungsversuch oder ein Verbesserungsversuch vor. Der Freiversuch kann dabei je Modul nur einmal in Anspruch genommen werden. Er gilt nur für Prüfungen, die nach dem Studienverlaufsplan zum Regelsemester oder zu einem der vorhergehenden Semester gehören. In begründeten Einzelfällen, wie z. B. bei Einstufung in ein höheres Fachsemester nach Hochschulwechsel, kann der Prüfungsausschuss auf Antrag der oder des betroffenen Studierenden Ausnahmen von Satz 3 genehmigen. Die Regelungen der Rahmenprüfungsordnung sowie der jeweiligen Prüfungsordnung zum Rücktritt von der Prüfung bleiben im übrigen bestehen.
Wobei sich der Student daran stört, dass man gegenüber der ursprünglichen Version (Entwurf? Keine Ahnung) ein „die nach dem Studienverlaufsplan zum Regelsemester oder zu einem der vorhergehenden Semester gehören” eingefügt, diese Freiversuchregelung also nicht für alle Prüfungen gilt.
Zunächst mal ist die Frage präzise nicht zu beantworten, weil es eine Frage vom Typ „Was ist der Unterschied zwischen einem Krokodil?” ist. Ja, und was noch? Ungleichbehandlung gegenüber wem? Denen an anderen Hochschulen? Anderen Jahrgängen? Oder anderen Prüfungen? Ungleichbehandlung setzt immer mindestens zwei zu betrachtende Fälle voraus.
Weil er sich aber explizit auf den gegenüber einer früheren Version eingefügten Satz bezieht, der das auf die Prüfungen nach dem Studienverlaufsplan beschränkt, interpretiere ich die Frage mal als auf andere Prüfungen bezogen.
Auch das ist jetzt nicht so ohne weiteres zu beantworten, weil man konkrete Fälle beobachten muss. Man kann nicht einfach so sagen, dass einem die Prüfungsordnung nicht gefällt, sondern man muss schon wenigstens halbkonkret aufzeigen, wo der Nachteil liegen soll. Wenn da steht, dass Frauen 60 und Männer 80 Punkte brauchen, ist das zwar auch noch keine konkrete Prüfung, aber darunter kann man sich was vorstellen (wird aber auch dagegen erst klagen können, wenn man einen konkreten Verwaltungsakt, also eine Prüfungsbewertung, bekommen hat).
Insofern rüge ich die FH Aachen, dass sie ihren Studenten nicht beibringt, Fragen klar zu stellen.
In Bezug auf diesen speziellen Fall fehlt mir etwas das Wissen über deren Prüfungsordnungen und Studienpläne, aber tendiere auf den ersten Blick dazu, eine Ungleichbehandlung zu verneinen.
Denn grundsätzlich bezieht sich das Erfordernis der Gleichbehandlung auf dieselbe oder zumindest sehr gleichartige Prüfungen. Genau das ist aber hier nicht der Fall, man kann prüfungsrechtlich Regelsemester nach dem Studienverlaufsplan durchaus als etwas anderes betrachten als andere Prüfungen. Schwierig wird es, wenn dieselbe Prüfung bei einem Studenten in den Studienverlaufsplan gehört und beim anderen nicht. Ich weiß nämlich nicht, was die dort unter „Studienverlaufsplan” verstehen: Etwas, was einheitlich für alle oder individuell für jeden anders festgelegt ist, ob sich da also jeder seinen Studienplan selbst zusammenstellt (wie bei uns damals im Hauptdiplom).
Wesentlich ist aber auch hier (so interpretiere ich das zumindest mal), dass es nach dem Studienverlaufsplan feste Termine gibt, wie dass man eine Prüfung zu einem bestimmten Semester ablegen muss und sie nicht ohne weiteres verschieben, also auf Nach-Corona (wann auch immer das sein mag) verschieben kann.
Gegenposition
Selbst wenn man hier eine Ungleichbehandlung sehen würde (was ich nicht völlig ausschließen will), würde ich darin noch keine rechtswidrige oder willkürliche Ungleichbehandlung sehen.
Man muss hier nämlich sehen, dass durch die Corona-Krise auch die Hochschulen in einer Situation sind, die sie gar nicht sauber und ungleichbehandlungsfrei lösen können. Man muss ja immer auch erkennen können, was denn eigentlich das erwartete Wohlverhalten gewesen wäre. Oder etwas flapsig ausgedrückt: Was sollen sie denn machen?
Denn zunächst mal müssen die Hochschulen als Prüfungsbehörde eben wegen des Gebots der Gleichbehandlung er Prüflinge so gut wie möglich versuchen, die Nachteile durch die Corona-Situation zu kompensieren. Denn die geht mit Nachteilen einher, die zu Recht als Benachteiligung – nicht gegenüber anderen Prüflingen desselben Jahrganges, aber gegenüber anderen Jahrgängen, im Einzelfall aber womöglich auch individuell – eingestuft werden kann, die die Prüfungsbehörde zu beseitigen hat.
Nur: Wie sollen sie das machen?
Das ist ja nicht von den Hochschulen verschuldet, sondern „höhere Gewalt”.
Irgendwie müssen sie es ja machen.
Insofern ist eine solche Freiversuchregeln ganz sicher keine Gleichbehandlung, aber mir fällt auch nichts besseres ein, insofern würde ich ihnen das Prädikat „bestmöglich” zumindest auf den ersten Blick durchaus zubilligen.
Man wird keine völlige Gleichbehandlung fordern können, wenn die schlicht nicht mehr möglich ist, weil äußere Umstände eingetreten sind, die die Hochschule und Prüfungsbehörde schlicht nicht zu vertreten hat und auch nicht kompensieren kann.
Es kann aber auch nicht angehen, dass dann alle Prüflinge auf alle Zeit „Dauercorona” bekommen. Ich interpretiere das jetzt mangels genauen Wissens mal so, dass man andere Prüfungen auch später ablegen kann. Insofern kann die Prüfungsbehörde durchaus auf dem Standpunkt stehen, dass wenn man sich beeinträchtigt fühlt, man diese Prüfungen dann eben später ablegen soll.
Ja, es ist windschief, aber was sollen sie denn sonst machen? Ich halte den Ansatz unter den gegebenen Bedingungen für begründbar und vertretbar. Und auch deshalb für keine angreifbare Ungleichbehandlung, weil die prüfungsrechtlich vorliegt, wenn man gleiche Prüflinge ungleich behandelt und nicht ungleiche Prüflinge gleich behandelt. Das ist jetzt eben mehr oder weniger so, dass Leute, die die Corona-Krise traf, zumindest in Anspruch nehmen können, in einer anderen Vorbereitungssituation zu sein und es durch Masken usw. erschwert zu haben.
Durchsetzen kann man die Prüfung nicht.
Allgemein ausfallen lassen kann man sie auch nicht.
Ein Freiversuch dürfte ein vertretbarer Weg sein, zumal sie damit die Prüfungshürde ja nicht rauf oder runter setzen oder die Maßstäbe verschieben. Die geforderte Leistung wird dadurch ja nicht verändert.
Und man kann auch nicht für alle Freiversuche fordern wie Freibier, wenn das Problem auf andere Weise, nämlich durch verschieben von ohnehin als verschiebbar angesehenen Terminen zu lösen ist.
Ehrlich gesagt ist mir auch nicht ganz klar, warum man einen zusätzlichen Versuch braucht. Man kann’s oder man kann’s nicht. Fehler können mal passieren oder auch, dass man sich mal verschätzt, aber wer von vornherein mehr Versuche als alle Generationen vor ihm braucht, sollte sich mal fragen, ob er an der Hochschule auf dem falschen Dampfer ist.
Zeitgeist
Ich habe so ein bisschen den Eindruck, dass das eine Zeitgeistanfrage ist und man gerade mit dem Mikroskop jede noch so winzige „Ungleichbehandlung” weghobeln will.
Totale Gleichheit wird man nicht erreichen.
Und eine idealisierte Welt auch nicht, zumal die auch nicht zu den Aufgaben der Hochschule gehört (obwohl sich das manche Hochschulen einbilden).
Meine Empfehlung wäre hier, die Literatur ranzuholen, sich auf den Arsch zu setzen, zu lernen und dann einfach zu bestehen.
Dann kommt’s nämlich erst gar nicht zur Ungleichbehandlung.
Prüfungsrecht ist im Übrigen nicht dazu da und nicht dazu gemacht, Leuten, die das Studium nicht schaffen, den Abschluss zu verschaffen.
(Als ich damals die Prüfungsrechtswebseiten neu gemacht hatte und mich so durchschnittlich drei Leute pro Woche konsultierten, musste ich so zwei, dreimal den Leuten auch sagen, das man sie völlig zu Recht rausgeprüft hat, weil sie schlicht zu dumm oder zu faul für ein Studium sind und die Prüfung rechtsfehlerfrei schlicht nicht bestanden haben. Prüfungsrecht ist nicht dazu da, jedem Schlurch den Abschluss zu erzwingen. Das ist in der außerkommunistischen Realität nicht so, dass jeder leistungsunabhängig einen Abschluss kriegen soll, weil man es dann nämlich auch ganz bleiben lassen kann.)