Vom Kruden und der Karriere dummen Geschwätzes
Eine sprachliche Anmerkung.
Ich hatte doch zum immer wiederkehrenden Terminus der „kruden Verschwörungstheorien” oder hier eben den „kruden Gewissheiten der Männerrechtler” geschrieben, dass „krude” (von lateinisch crudus = roh, unverdaut) eben roh, unbearbeitet, unverarbeitet meint, aber nichts Negatives, nichts von erlogen, frei erfunden oder so.
Eine Leserin schreibt, die Karriere des Begriffes als Pressehetzhammer habe mit Sarrazin begonnen:
Ihr Leser, werter Hadmut, ist auch nicht „sprachlich auf dem Stand der Zeit“, denn das Wort „krude“ wurde vor genau zehn Jahren eingeführt, als sich alle über Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ hergemacht haben, der „Spiegel“ war da wohl Vorreiter und alle anderen galoppierten hinterher. „Sarrazin“, „krude“, 18.600 Ergebnisse:
Sarrazins krude Thesen, Sarrazins krude Weltsicht, Sarrazins krude Ideen,
Sarrazins krude Vorstellungen, krude Meinungen, krude Ideen, Ansichten…
Ein anderer Leser weist darauf hin, dass im Englischen Rohöl „crude oil” heißt, und das verschmähe man schließlich auch nicht, es sei ein wertvoller Rohstoff.
Gerade eben war ich noch einkaufen. Und was sehen meine leidgeprüften Augen in der Kühltheke, als ich gerade so drüber nachdenke:
Tortellini Prosciutto Crudo. Tortellini mit rohem Schinken.
Liebe Leser, das habe ich extra gekauft, um für Euch darüber bloggen zu können. (Essen werde ich sie trotzdem.) Und die würden das ja nicht draufschreiben, wenn der Begriff negativ konnotiert wäre. Ich nehme mal an, dass die Italiener auch um die Bedeutung des Lateinischen wissen. Warum sie dann noch „Big Pack” auf Englisch draufschreiben müssen, ist eine andere Frage.
Da kann man mal prima sehen, wie das dumme Pressevolk einer vom anderen abschreibt und fremdes Geblubber übernimmt, ohne auch nur ein einziges Mal nachzudenken oder zu prüfen, was sie da schreiben. „Krude Theorien” hört sich halt so schön blöd an – wenn man nicht weiß, was es bedeutet.
Journalismus ist das gewerbliche Schreiben in schmalen Bereich zwischen primärem und sekundärem Analphabetismus.