Vorratsdatenspeicherung reloaded?
Ein schneller linker Standpunktwechsel?
Vor noch gar nicht allzu langer Zeit ging das versammelte linke Lager auf die Barrikaden, um die Vorratsdatenspeicherung zu verdammen. Datenschutz, man würde unter Generalverdacht gestellt, der Bürger transparent, der Staat übergriffig, es sei im Ganzen verfassungswidrig.
So ganz unauffällig scheint man seine Position um 180° gedreht zu haben, weil man inzwischen wohl offiziell an der sozialistischen Diktatur arbeitet und gemerkt hat, dass die Stasi 2.0 das dann doch braucht. Und so kommt man nun mit einem „Gesetzes zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität” daher, was ich schon dem Titel nach für verfassungwidrig halte.
Warum?
Erstens weil es nicht politisch neutral ist, denn es wird ja nicht Extremismus allgemein, sondern nur Rechtsextremismus bekämpft, der aber wegen Art. 3 GG nicht selektiv benachteiligt werden darf.
Zweitens weil „Rechtsextremismus” und „Hass” begrifflich zunächst immer noch unter das Großthema „Meinung” fallen. Oder direkter ausgedrückt: Hass ist nicht strafbar. Es gibt im engeren Sinne keine Hasskriminalität, das ist reine Propaganda. Man könnte von hassmotivierter Kriminalität sprechen, wenn dann Folgestraftaten daraus erwachsen. Aber Hasskriminalität als solche gibt es nicht und kann es nicht geben, weil es dem Staat verboten ist, Hass zu bestrafen.
Zumal „Hass” kein greifbarer Rechtsbegriff ist. Ich habe das ja gerade in meiner Stellungnahme für den sächsischen Landtag aufgezeigt, dass das ein Willkürbegriff ist, dessen Inhalt tagesaktuell per politischem – nicht juristischem – Diskurs willkürlich neu festgelegt wird. Es fehlt schon daran, diese Begriffe rechtsverwertbar zu definieren.
Nun hat der wissenschaftliche Dienst des Bundestages das Gesetz als in Teilen verfassungswidrig eingestuft, weshalb Bundespräsident Steinmeier es laut Meldungen derzeit erst mal noch nicht unterschrieben hat. Anscheinend besteht da noch Gesprächs- und Klärungsbedarf. Siehe bei Heise hier und hier. Ursprünglich wohl Süddeutsche.
Und die Süddeutsche schreibt dazu:
Es geht um die Sorge in Schloss Bellevue, dass das am 18. Juni beschlossene “Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität” in Teilen verfassungswidrig sein könnte. Das Gesetzespaket enthält erstmals eine Anzeigepflicht für die Betreiber sozialer Netzwerke wie Facebook oder Twitter. Außerdem erweitert es einige Tatbestände des Strafrechts.
Das Problem: Zu den vielen Änderungen gehört auch, dass die Ermittler des Bundeskriminalamts (BKA) mehr Zugriff auf Daten von Facebook- oder Twitter-Nutzern erhalten sollen. Aber schon die bisherigen Zugriffsrechte des BKA sind vor wenigen Wochen durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden. Der Zugriff auf diese sogenannten Bestandsdaten müsse strikter geregelt werden, forderten die Karlsruher Richter in ihrem Beschluss am 17. Juli.
Diese Karlsruher Entscheidung kam erst, nachdem der Bundestag das neue Gesetzespaket bereits beschlossen hatte. Die Abgeordneten konnten dies noch nicht wissen. Es ist eine Verkettung unglücklicher Umstände – allerdings keine gänzlich unerwartete: Die verfassungsrechtliche Kritik an den Datenabfragen war bekannt.
Was heißt „war bekannt”?
Muss ein Gesetzgeber nicht selbst in der Lage sein, verfassungskonforme Gesetze zu machen?
Ist das Prinzip, eine Laienspieltruppe, nicht wenige davon Studienabbrecher und Lebensversager, Kevins und solche Leute, zu Gesetzgebern zu machen, nicht der Fehler an sich?
Lesen sollte man den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Eigentlich wird nicht ein Gesetz aufgehoben, sondern der Gesetzgeber darüber belehrt, wie man Gesetze macht. Mit anderen Worten: Attestiert, dass unser Bundesgesetzgeber schlicht zu doof ist, um noch Gesetze zu machen. Aus der Pressemitteilung:
Die Erteilung einer Auskunft über Bestandsdaten ist grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig. Der Gesetzgeber muss aber nach dem Bild einer Doppeltür sowohl für die Übermittlung der Bestandsdaten durch die Telekommunikationsanbieter als auch für den Abruf dieser Daten durch die Behörden jeweils verhältnismäßige Rechtsgrundlagen schaffen. Übermittlungs- und Abrufregelungen müssen die Verwendungszwecke der Daten hinreichend begrenzen, indem sie insbesondere tatbestandliche Eingriffsschwellen und einen hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz vorsehen. Der Senat hat klargestellt, dass die allgemeinen Befugnisse zur Übermittlung und zum Abruf von Bestandsdaten trotz ihres gemäßigten Eingriffsgewichts für die Gefahrenabwehr und die Tätigkeit der Nachrichtendienste grundsätzlich einer im Einzelfall vorliegenden konkreten Gefahr und für die Strafverfolgung eines Anfangsverdachts bedürfen. Findet eine Zuordnung dynamischer IP-Adressen statt, muss diese im Hinblick auf ihr erhöhtes Eingriffsgewicht darüber hinaus auch dem Schutz oder der Bewehrung von Rechtsgütern von zumindest hervorgehobenem Gewicht dienen. Bleiben die Eingriffsschwellen im Bereich der Gefahrenabwehr oder der nachrichtendienstlichen Tätigkeit hinter dem Erfordernis einer konkreten Gefahr zurück, müssen im Gegenzug erhöhte Anforderungen an das Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter vorgesehen werden. Die genannten Voraussetzungen wurden von den angegriffenen Vorschriften weitgehend nicht erfüllt. Im Übrigen hat der Senat wiederholend festgestellt, dass eine Auskunft über Zugangsdaten nur dann erteilt werden darf, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Nutzung gegeben sind.
Oder auf deutsch: „Wir haben es Euch schon ein paarmal erklärt und Ihr Idioten habt es immer noch nicht kapiert.”
Was umso fragwürdiger ist, als es ja gerade das linke Lager war, was mit so einer Argumentation gegen die Vorratsdatenspeicherung geschossen hat.
Was steht denn nun eigentlich drin in diesem Gesetz gegen Hasskriminalität? Wird verblüffend wenig erwähnt, steht aber auf einer Webseite des Bundestags dazu. Drucksache 19/17741
Im Internet und insbesondere in den sogenannten sozialen Medien ist eine zunehmende Verrohung der Kommunikation zu beobachten. So äußern sich Personen immer öfter allgemein, vor allem aber gegenüber gesellschaftlich und politisch engagierten Personen in einer Weise, die gegen das geltende deutsche Strafrecht verstößt und sich durch stark aggressives Auftreten, Einschüchterung und Androhung von Straftaten auszeichnet. Dadurch wird nicht nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen, sondern auch der politische Diskurs in der demokratischen und pluralistischen Gesellschaftsordnung angegriffen und in Frage gestellt. In der Öffentlichkeit stehende Personen und für das Gemeinwesen aktive Repräsentantinnen und Repräsentanten werden beispielsweise nach einer politischen Äußerung mit diffamierenden Äußerungen oder Morddrohungen überzogen oder es wird zu Gewalt gegen sie aufgerufen.
Was ich für verfassungwidrig halte, denn ich bin als Blogger ja auch jemand, der – zumindest so ein kleines bisschen – mit politischen Äußerungen in der Öffentlichkeit steht, aber dafür von Linksextremisten angegriffen werde. Das heißt, dass ich in meiner Meinungsfreiheit nicht im selben Maß geschützt werde wie andere.
Davon abgesehen ist es auch tiefenverlogen. Vor noch gar nicht allzulanger Zeit, war es feministische Praxis, alles, was nicht gefällt, als „sexistische Kackscheiße” zu titulieren. Da nannte man das noch „Empowerment” und nicht „Verrohung”.
Der Entwurf sieht als eine zentrale Neuerung die Einführung einer Meldepflicht der Anbieter sozialer Netzwerke im Sinne von § 1 Absatz 1 NetzDG vor, soweit sie nicht unter den Ausnahmetatbestand von § 1 Absatz 2 NetzDG fallen. Solche Anbieter sollen verpflichtet werden, ein System einzurichten, wonach bestimmte strafbare Inhalte an das BKA zu melden sind. Erfasst sein sollen nur solche Inhalte, bei denen es konkrete Anhaltspunkte für die Erfüllung eines Straftatbestandes gibt und die anhaltende negative Auswirkungen auf die Ausübung der Meinungsfreiheit in den sogenannten sozialen Medien haben können.
Und wer beurteilt das? Billigarbeiter auf den Philipinnen? Politisch einseitig trainierte KI?
Der Katalog der rechtswidrigen Inhalte des § 1 Absatz 3 NetzDG soll zudem um das Delikt der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener nach § 189 StGB ergänzt werden, da die Erfahrungen aus der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke 2019 zeigen, wie sehr Hetze im Netz mittlerweile auch in dieser Form ihren Ausdruck findet.
Da fragt man sich dann, ob das überhaupt noch ein Gesetz ist, weil Gesetze keine Einzelfälle regeln dürfen. Und welches Rechtsgut da überhaupt geschützt werden soll. Wer tot ist, ist kein Grundrechtsträger mehr.
Die Bedenken laufen, soweit dies jedenfalls den Berichten zu entnehmen war, darauf hinaus, dass mit völlig unklaren und beliebigen Rechtsbegriffen Abfragerechte und Mitteilungspflichten aufgebaut werden sollen. Während sich gerade die ganze Presse darüber aufregt, dass irgendwer in irgendeinem Polizeicomputer jene Daten von Berufsidiot Jan Böhmermann abgefragt hat, die ich als Blogger bei mir öffentlich ins Impressum schreiben muss, un ihn deshalb zum Opfer stilisiert, baut man hintenrum ein Gesetz, dass die Abfrage solcher Daten von quasi jedem Bürger ermöglichen würde.