Besser künstlich als echt
Vom Ende der Fotografie.
Man kann gerade einen Paradigmenwechsel in der Fotografie beobachten: Normale Bildbearbeitung, bei der der, der bearbeitet, noch wissen muss, was er tut, und Arbeit reinstecken muss, kommt aus der Mode. Dafür kommen gerade jede Menge Programme hoch, die Bilder im Allgemeinen oder Partraits im Besonderen per AI aufrödeln: Nachschärfen, Himmel gegen was Dramatisches austauschen, Kontraste lokal verändern, und dann bei Personen: Figur optimieren, Haut porenrein machen, Nase geradeziehen, Augen attraktiv formen, Augenfarbe intensivieren, Pupille auf, und all der ganze Kram, bis an dem Bild nichts mehr echt ist. Dafür weitgehend automatisch.
Die nächste Stufe ist, dass erst gar nichts mehr echt war und zu rendern, zu rechnen, statt zu fotografieren.
Nur wenige Bilder von neuen Kameras (ich meine nicht die Bilder, die mit den Kameras gemacht werden, sondern die, auf denen man sieht, wie die Kamera aussieht) sind noch echt, das wird fast alles gerendert. Kaum noch zu erkennen (Trick: Achtet auf die Kreuzschlitzschrauben, etwa am Kamerabajonett. Stehen die alle exakt senkrecht, ist das kein echtes Foto. Oder wenn das Ding einfach zu makellos und staubfrei aussieht, irgendwelche regelmäßigen Rillen zu perfekt sind, das Licht zu perfekt abnimmt.) Die Schmuck und Uhrenbranche ist da auch schon drauf, weil man gerade so kleine Dinge ohne sehr großen Aufwand kaum vollständig scharf und gut fotografieren kann, während man das beim Rendern einfach frei wählen kann. Gerade irgendwelche Luxusuhren sehen am Besten auf eine Art und Weise aus, die man so eigentlich nicht fotografieren kann. Was natürlich dann auch in den Schwindel geht, weil man dann die Bauteile Mikrometer-präzise und knack-kantenscharf darstellen kann, obwohl man sie so nicht herstellen kann. Wenn man also nicht nur die Grenzen der Fotografie überschreitet (was ich noch für vertretbar hielte), sondern das Produkt auch als besser darstellt, als man es herstellen kann. Man kann Zifferblätter, Zeiger, Kronen und so weiter in der Realität nicht so detailscharf herstellen, wie man sie beim Rendern pixelscharf darstellen kann.
Der IKEA-Katalog ist auch längst größtenteils gerendert. Mal noch schnell einen Herd austauschen, kein Problem. Oder Wohnungsfotos machen, wenn zu diesem Zeitpunkt das Mustermöbel oder Farben noch nicht existieren, die werden dann nachträglich reingestellt. Selbiges mit Fotos von neuen Autos. Die stehen dann irgendwo in der Toscana oder sonstwo am Strand, obwohl die nie da waren. Die haben Musterfotos, wo Autos schön aussehen würden, und rendern die dann da rein. Achtet auf die Schatten, die passen manchmal nicht ganz exakt zum Untergrund.
Und jetzt auch Köpfe:
Guckt Euch mal diese Bildergalerie eines Iraners an. So ganz echt sieht’s nicht aus, weil irgendwie zu perfekt und so ein bisschen Wachsfigurenkabinett-mäßig, fällt aber auch nur auf, weil so viele solcher Bilder auf einem Haufen und weil halt auch Leute abgebildet wurden, zu deren Lebzeiten die (Farb-)Fotografie noch gar nicht erfunden war. Ein tolles Foto von Franz Liszt ist halt doch verdächtig.
Aber da läuft’s hin.
Künftig wird der gewöhnliche Prominente sich nicht mehr fotografieren, sondern von seiner PR-Agentur scannen und optimieren lassen, noch ein paar Pfunde runter und Falten weg, Augen auf gleiche Höhe und sowas, und dann entstehen daraus die Bilder für Plakate und PR-Aktionen.
Glauben sollte man Fotos freilich nicht mehr. Denn so kann man auch Fotos machen, bei dem Leute an einem Verbrechen und ähnlichem teilnehmen. Stellt Euch vor, einer hackt die PR-Agentur und stiehlt die Scans irgendeines Promis und kann dann Fotos rendern, die so echt wie dessen „Echte” sind.
Erinnert mich gewissermaßen daran, als ich vor 15 Jahren mal Kunden aus der Pharmaindustrie im Bereich IT-Sicherheit hatte. Da kommt man erst mal so gar nicht drauf, aber da musste selbst die Abteilung geschützt werden, die die Druckvorlagen für die schnöden Pappschachteln für die Tabletten machen, weil asiatische Plagiatoren und Fälscher versuchen, per Hacker an die Originaldruckdaten zu kommen, um die Pappschachteln identisch nachdrucken zu lassen.