Von der Substitution der Meinungsfreiheit durch die Akzeptanzpflicht
Vom Zerfall der Gesellschaft.
Es ist mir in einem Fotografenforum schon öfters, aber gerade wieder aufgefallen:
Die Leute drehen schon bei der leichtesten Bildkritik durch. Dabei war das früher mal die Funktion solcher Foren, dass man ein Bild zur Diskussion stellt und hört, was die anderen davon halten. Und weil man nie, wirklich niemals der beste Fotograf ist und es da immer unzählige gibt, die wenigstens manches, nicht selten aber auch alles besser können und mehr Erfahrung haben, oder das professionell machen, ist das eigentlich immer sinnvoll und nützlich, auf Kommentare zu hören.
Gerade in der Fotografie.
Denn bei einem Foto, einem Bild funktioniert es nicht (alte Weisheit), wenn man es erst erklären oder rechtfertigen muss. Ein schlechtes Bild wird nicht besser, indem man erklärt, warum das da gerade nicht besser ging. Und wenn es tausend Erklärungen gibt, das Bild ist immer noch dasselbe und genauso gut oder genauso schlecht. Und genau das ist das Problem, dass man als Fotograf irgendwelche Erinnerungen an das Foto hatte, wie man es gemacht hat, wie lustig die Situation war, wieviel Glück man hatte. Ist mir auch schon so gegangen, dass man beim Fotografieren denkt, oh, was wird das ein geiles Foto, und wenn man es zwei Wochen später am Bildschirm sieht, denkt man, mmmh, nee, weg damit. Weil man eigene Fotos immer im Kontext mit irgendwas sieht und verbindet, und sie auf den Fremden, der nur das Foto sieht, aber ganz anders wirken. Deshalb ist es eigentlich sehr wichtig, auf Fremde zu hören, wenn man nicht nur Erinnerungsfotos für die eigene Familie oder sich selbst macht, sondern Bilder machen will, die andere sehen.
Das Schlimmste, was es an Fotografen und Malern gibt, sind die, die ihre Bilder selbst für toll halten und beleidigt sind, wenn andere dem nicht folgen.
Das führt leider in die totale Verblödung. Man merkt das, dass längst 80-90% der Bildkommentare so im Stil „ein wunderschönes Bild eines wunderschönen Models” lautet, und zwar auch dann, wenn da jemand den letzten Scheiß mit der Billigknipse von der hässlichen Tante gemacht hat, die nichts mit sich anzufangen weiß, sämtliche Bildfehler in einem vereint sind.
Vor einiger Zeit hatte ich mal ein Foto eines Fotografen kommentiert, der zwar eigentlich exzellent und hochprofessionell fotografierte, aber alles irgendwie gleich aussah. Kannte man zehn seiner Bilder, kannte man eigentlich alle und konnte sie blind erkennen. An jedem einzelnen Foto stimmte eigentlich alles, aber fünf oder gar zehn Fotos konnte man sich nicht angucken, weil sich alles wiederholt. Wie ein Gitarren- oder Klavierspieler, der nur ein einziges Lied kann. Leute, die sich zu sehr auf eine bestimmte Situation spezialisieren. Tödlich beleidigt, als ich mal unter ein Bild schrieb, dass das Bild eigentlich sehr gut sei, aber der Schlüpfer nicht zum Model passt.
Aktuell kam ich an einem vorbei, der eigentlich nicht fotografieren kann. Alles, was an dem Bild stimmt, kommt von der Kameraautomatik. Ansonsten hau drauf, ohne Rücksicht auf Situation, Licht, Umgebung. Hat sich da irgendwelche Tussis gesucht, die da so völlig alltagsmäßig für ihn mal den Rock hochziehen, und der zieht sich dann dran hoch. Die Kategorie Mensch, die glaubt, ein Bild wäre schon dann gut, wenn’s zu sehen gibt, was sie halt sehen wollen. Dann gab’s mal ein Bild, was in der Vorschau (die allerdings beschnitten ist auf Quadrat) dann doch mal gut aussah, aber dann in der Vollansicht grottig, weil dann irgendso ein lausiger fremder Typ im Bild rumsaß und der ganze Bildaufbau kaputt war. Ich hatte nur ganz kurz druntergeschrieben, dass das Bild eigentlich gut wäre, ich es aber beschneiden würde (weil’s ja in der beschnittenen Vorschau ohne den Typen schon viel besser aussah) und schrieb noch dazu, damit man versteht, was ich meine, dass ich die Frau so im goldenen Schnitt positionieren würde. Dann hätte nämlich alles gepasst. Zumal das auch rechtlich kritisch ist, Aktfotografie zu verbreiten, auf denen unbeteiligte Fremde mit drauf sind. Bildausschnitt ist die wichtigste Nachbearbeitung.
Boah, war der sauer. Ich ein Greenhorn, hätte keine Ahnung, keinen Bildstil, hätte es in meiner Ahnungloskeit zu unterlassen, überhaupt irgendwelche Kommentare abzugeben, ich hätte ja keine Ahnung, es versäumt, seine Intention zu erfassen. Und
Goldener Schnitt… lausiger Anfänger!
Einen Tag drauf gab ein anderer zu einem anderen seiner Bilder den Kommentar ab, dass es ihm leidtue, aber er daran fotografisch nichts finden kann, einfach Beine breit und irgendwie draufhalten, Umgebung egal, keinerlei Mühe geben. Die fast wörtlich selbe Reaktion auch dem gegenüber, auch den natürlich zum blutigen Anfänger erklärt, der nicht in der Lage wäre, die Intention zu erkennen. Selbes Schema, selbe Wortwahl. (Wobei er Intention und Intension miteinander verwechselte.)
Noch schlimmer, als die oben erwähnten beleidigten Schlimmsten sind die, die es dann auch nicht einsehen und meinen, jeder noch so groteske Bildfehler, jedes noch so offensichtliche Unvermögen, sei so gewollt, die Handschrift des Künstlers, und nur das Publikum zu dumm, es zu erkennen.
Der Mann kann einfach nicht fotografieren. Der hat irgendeine Automatikknipse, kennt irgendwelche Tussis, die für ihn mal eben den Rock heben, haut einfach drauf, haut das Zeug dann völlig unbearbeitet raus und hält sich für den größten aller Fotografen, dem keiner das Wasser reichen kann. Das unverstandene Genie.
Ich hatte es mal im Forum angesprochen. Zweimal schon.
Nicht nur ich. Andere hatten das Thema auch schon aufgeworfen, weil es ihnen auch aufgefallen war und sie stört, dass immer mehr Leute daherkommen, die eignetlich nichts können, aber auch nicht zum Lernen da sind, sondern einfach nur jeden beschimpfen oder sperren, der sie nicht gut findet. (Kenne ich auch so von Feministinnen.)
Mir schrieben auch einige Leute, dass sie das Phänomen nicht nur dort, sondern eigentlich überall beobachten, besonders auch bei Facebook, Instagram und so weiter.
Die Leute sind durch die aktuelle linke Polemik und vor allem diese „Likes” total kaputt. Die können sich überhaupt nicht mehr vorstellen, dass man das lernen kann und muss, mit der Kamera umzugehen, sondern murksen einfach vor sich hin und erwarten, dass man sie entweder total mag oder völlig still ist und die Klappe hält.
Im Prinzip das gleiche wie beim Feminismus gegenüber dem Erlernen eines Berufes. Man darf nicht kritisiert werden, sondern muss mit Lob überschüttet werden (oder man hat wenigstens zu schweigen). Prinzip „Safe Space”.
Waren dann aber auch nicht alle meiner Meinung.
Einer ranzte, was man alles akzeptieren müsse. Ein anderer „Warum bist Du dann noch hier?”
Und genau das ist der Punkt: Wir bewegen uns gerade im gesamten Umgang miteinander von einer Meinungsfreiheit hin zu einem Toleranzzwang. Es gibt eigentlich nur noch drei zulässige Verhaltensweisen: Lob heucheln, stille schweigen oder gehen.