Ansichten eines Informatikers

Niedergang der Gesellschaft: Wenn ich als Informatiker Satire nicht mehr von Informatik unterscheiden kann…

Hadmut
18.12.2020 11:35

Dass es mir schwerfällt oder mitunter unmöglich ist, die politische Praxis noch von Satire zu unterscheiden, weil die Satiriker es nicht mehr schaffen, mit dem Wahnsinn der Politiker noch mitzuhalten oder ihn gar zu überzeichnen, habe ich schon oft geschrieben.

Mittlerweile ist aber auch die Informatik an dem Punkt angekommen, an dem es mir auch mit über 30 Jahren Berufserfahrung nicht mehr möglich ist, sie noch von Satire zu unterscheiden. [Update]

Ein Leser verweist mich auf die Webseite der „Computer Science Education Week”, die sich an „K-12 students” richtet. Soweit herauszufinden, bezeichnet K-12 international den Ausbildungsweg vom Kindergarten bis zum Schulabschluss, also so ungefähr „Abiturienten”, und will sie dazu bewegen, Computer Science, also Informatik, zu studieren. Wundert mich, ehrlich gesagt, dass das dort überhaupt noch computer science und nicht computer studies heißt. Amazon steckt wohl auch hinter der Initiative.

Hashtag: #CSforSocialJustice

Und die erklären nun den Schülern, dass sie da aus antirassistischen Gründen Informatik studieren sollen, offenbar wollen sie damit insbesondere schwarze Schüler ansprechen. Und was lernt man da:

This spring, Amazon, Georgia Tech, and Pharrell Williams’ philanthropic organization, YELLOW, invite you to engage your students in the Your Voice Is Power learning experience and coding competition. Students will learn entrepreneurship, computer science and social justice by remixing Pharrell’s new song “Entrepreneur” on Georgia Tech’s Earsketch platform. After coding a unique musical remix incorporating themes of racial equity, students can submit their songs to a be judged in a final challenge.

Coding lernen, indem man einen Song über Rassengleichheit neu abmischt.

Was tut man nicht alles, um die schwarze Jugend anzusprechen.

Sie haben auch einen Flyer dazu.

Offenbar versucht man nun, die Informatik als politischen Katalysator einzuspannen:

Social justice, as a concept, arose in the early 19th century primarily focused on economics- capital, property, and the distribution of wealth. By the mid-20th century, social justice expanded from being primarily concerned with economics to include other spheres of social life including the environment, race, gender, and other causes and manifestations of inequality.

Now, the concept of social justice often refers to human rights, centered around improving the lives of groups historically marginalized based on race, ethnicity, nationality, gender, sexual orientation, age, religion and disability.

As part of the #CSforGood movement, we decided to shine a light on how Computer Science can serve as a catalyst for social justice. #CSforSocialJustice

Without access to rigorous computer science and STEM courses, underrepresented students have limited opportunities and aspirations to develop computing knowledge.

Und deshalb fährt man nun die Informatik auf das Abmischen von Pharrell Williams-Songs über Rassengleichheit runter. Keine Rede von Mathematik, Analysis, Algebra, Automatentheorie, Robotik und so weiter, weil das könnte ja den Eindruck erwecken könnte, dass das nur was für Weiße und Gelbe ist.

Erinnert überaus stark daran, wie man hier die Informatik Frauen zugänglich machen will.

Was kommt als nächstes? Wir sehen einen Computer und formen ihn kreativ und individuell mit Knete in diversen Farben nach?

Update:

Ein Leser meint, es wäre gar keine so schlechte Idee:

Ja, schon, es gibt mehrere solcher Musikprogrammierplattformen, ich habe mal vor einiger Zeit mit irgendsowas kurz rumgespielt, weiß aber nicht mehr, wie es heißt und welche es war. Wikipedia erklärt EarSketch:

EarSketch is a free educational programming environment. Its core purpose is to teach coding in two widely used languages, Python and JavaScript, through music composing and remixing. This learning environment was developed first at Georgia Institute of Technology (from 2011) under Prof. Jason Freeman (School of Music) and Prof. Brian Magerko (School of Literature, Media, and Communication).

EarSketch is web-based, which means users can access it with their web-browsers, and with no installation. No account is required to create projects or view existing projects.

Das ändert aber weder was an der Ausschreibung, noch daran, dass diese Projekte (es gibt die, die wirklich dazu gemacht sind, Musik zu mischen, und die sind sind nicht ganz einfach, und es gibt die, die Musik als Vehikel nehmen, um Leuten Informatik als etwas unterzujubeln, was ihnen Spaß machen würde) genau das sind, was diese Ausschreibung bezweckt: Der Versuch, eine völlig bildungsunwillige und rein auf Hedonismus ausgerichtete Bevölkerungsschicht noch irgendwie ansprechen zu können.

Das Ziel ist nicht, Informatiker zu machen oder zu finden. Das Ziel ist das rein soziologische, Leute unter einem Vorwand „Informatiker” nennen zu können, indem man sie dazu bringt, ein paar Töne zu erzeugen, weil man soziologisch glaubt, dass das ganze Wissenschaftssystem ja alles nur ein gesellschaftlicher Tanz aus Anerkennungen ist. Das gleiche Prinzip, nach dem man hier die Professuren mit inkompetenten Frauen zugedonnert hat: Man glaubt, dass man die Leute erst mal in die Bezeichnungen und Stellen drücken muss, und die gesellschaftliche Anerkennung dann von selbst kommt. Frauen würden Wissenschaftler, indem man die Umwelt daran gewöhnt, Frauen im weißen Kittel zu sehen.

Der zentrale geisteswissenschaftliche Denkfehler: Wissenschaftler werde man nicht, indem man selbst Wissenschaft erlernt, sondern indem man von der Gesellschaft als Wissenschaftler angesehen wird.

Auch wenn das eine Programmierlernumgebung ist: Die Ausschreibung sagt es nicht, sondern spricht die Leute auf Musikebene an. Hatte ich es nicht gerade davon, dass wir in Informatik Abbrecherquoten von 70% und höher haben? Weil die Leute im Studium völlig davon überrascht werden, was da eigentlich dran kommt?

Es reicht nicht, Abiturienten für Informatik zu interessieren, indem man sie mit Musik ködert. Wer in den 12 Jahren seiner Schulzeit in Mathematik nicht aufgepasst hat und bis zur 12. Klasse nicht weiß, was in Informatik eigentlich so dran kommt, den wird man mit Rassengerechtigkeitssongs und Musik abmischen auch nicht mehr dazu bekommen. Und da hilft auch das Alibi, dass das ja eine Programmierlernumgebung sei, nicht.

Denkt mal drüber nach, worum es da geht: Leute mit einer 12-Jährigen Schulausbildung an erste Programmierübungen heranzuführen, indem man sie mit Musik lockt. Merkt Ihr, wo der Fehler ist?

Die müssten eigentlich längst wissen, was das ist, und zumindest in den Grundzügen programmieren können.