Peer Review
Über Wissenschaftler.
Wissenschaftler bilden sich ja oft soviel auf den Peer Review ein.
Ich bin wohl immer noch in irgendwelchen Akademiker- oder Hochschulspam-Listen drin. Noch vor etwa 15 Jahren bekam ich immer solche Einladungen zu Pseudokonferenzen für alles und jedes. Die hatten dann immer in irgendwelchen Hotels mehrere Räume nebeneinander gemietet und für einen anteiligen Beitrag konnte man dann jedes beliebige Thema vortragen, weil die dann da zeitlich gestaffelt in kürzester Zeit und mehreren Räumen parallel Pseudokonferenzen zu wirklich jedem erdenklichen Thema anboten. Ob Küchenphysik, Astronomie, parapsychische Mikroelektronik, Biologie, Chemie, Algorithmen – für alles was da, alles nur eine Frage der Uhrzeit, der Raumnummer und vielleicht des Datums in den drei Tagen.
Heißt auf deutsch: völlig wertloser Quatsch, es hört auch garantiert niemand zu, aber man bekommt für den Einwurf von etwas Geld einen begehrten Konferenzeintrag im akademischen Lebenslauf. Die meisten Fachbereiche haben zwar Zitierkartelle, die sich dann auch im Kreis herum gegenseitig einladen und in die Konferenz-Reviews berufen (ich habe einige dieser Konferenzen in der Informatik erlebt) und dann dort Schrottvorträge auf gegenseitiger Einladung und Kritikverzicht aufbauen. Selbst in Spitzenuniversitäten.
Am MIT, immerhin von manchen für die beste Informatikfakultät der Welt gehalten, bin ich, ich glaube, es war 2007, mal bei einer Kryptologenkonferenz sehr negativ aufgefallen. Ich hatte auf dem Flug von Deutschland nach Boston genug Zeit im Flieger und hatte mir die Papers, um die es dort ging, und die ungewöhnlicherweise vorher elektronisch verteilt worden waren (man wollte nicht jedem zumuten, tatsächlich alles anhören zu müssen) durchgelesen und wusste, was drin steht.
Und hatte dort dann in der Fragerunde nach jedem Vortrag, oder auch mal zwischendrin, Fragen zum Inhalt gestellt oder auf Fehler hingewiesen, Einwände erhoben und sowas.
Kam nicht gut an.
Einer der prominentesten Kryptologen überhaupt, sagte mir in der Pause am Buffet, dass ein Paper, auf dem er mit drauf stand, und zu dem ich erklärt hatte, warum das so nicht geht, jetzt nicht so wichtig sei, weil es doch darum ginge, einen seiner Doktoranden in die Szene einzuführen und ihm ein paar Einträge in die Literatur- und Vortragsliste zu produzieren mit seinem dicken Namen als Karrierebeschleuniger drauf. Es gehe darum, dass die Autorennamen mit einem hübschen Titel nett und beeindruckend beisammen stehen, und nicht so um den Inhalt.
Abends traf man sich dann in einem gemütlichen Restaurant da irgendwo in der Nähe, und man gab mir so freundschaftlich-kollegial und unter der Hand (so dem komischen Deutschen mal erklären, wie das läuft) und über den Tisch über die vollen Teller beim Essen hinweg den Hinweis, dass das nicht so gedacht wäre, das Zeug da inhaltlich zu zerreißen und auseinanderzunehmen, sondern das da eine nette Runde von Amerikanern von ein paar befreundeten Instituten amerikanischer Universitäten sei, und das eigentlich nur dazu diene, sich gegenseitig zu treffen und essen zu gehen, und den Mitarbeitern nette Konferenzeinträge zu verschaffen, und nicht um fachlich draufzuhauen. Das sei zwar schon irgendwo eine offene Konferenz, an der jeder teilnehmen kann, weil man sie nur so dienstlich abrechnen und auf Uni-Kosten reisen kann, und man habe auch nichts dagegen, wenn ich da hinkomme und zuhöre (ich war nicht eingeladen und habe nicht vorgetragen, sondern so im Rahmen meines Uni-Krachs einfach Konferenzeintritt gezahlt und zum Hören teilgenommen, um die Szene mal zu durchleuchten, übrigens auch in Santa Barbara und Wollongong), aber das sei nicht so gedacht, dass da ein Deutscher ungeladen ankommt und ihnen die Fehler in ihren Papers auflistet. Besagter Doktorand sei gerade mit den Nerven fertig und man wisse gerade nicht, wie man damit umgehen soll, dass ein Paper mit Koryphäe als Coautor einen zentralen Fehler aufweise. Ich möge Kritik deshalb fürderhin für mich behalten. Und wenn ich schon unbedingt Kritik loswerden müsse, dann doch bitte nicht vor den anderen und in der offiziellen Fragestunde. Dafür säße man ja hier im Restaurant zusammen, da könne man das unauffällig und im direkten Gespräch ansprechen.
Im Gegenzug könne ich im Falle eigenen Vortrags mit einer gewissen Sanftmut rechnen.
Meine Auffassung, dass ich Kryptologe sei und mir das Sanftmütige deshalb von Berufs wegen weder aktiv noch passiv liegt und förderlich erscheint, wurde mit akademischem Befremden aufgenommen.
Doch das ist lange her.
So etwa um 2007/2008 habe ich allen akademischen Aktivitäten voll tiefster Verachtung entsagt und auch diverse Mitgliedschaften gekündigt. Wohlgemerkt: Das war noch, bevor die große Frauen- und Minderheitenförderung los ging, da konnte man sogar noch halbwegs frei reden. Das dürfte seither alles noch viel, viel schlimmer geworden sein – wehe, man würde den Vortrag einer Frau oder eines Schwarzen kritisieren. Man würde sofort als Mansplainer, Rassist, Sexist, Supremacist gelyncht.
Umso erstaunter war ich heute, als ich folgende Anfrage per Mail erhielt:
Dear Professor
Can we send you some papers for review? If yes, send us a short email from your Academic
Email address.We would like to inform you about the following online conferences with Proceedings of
IEEE or in Books of Springer Verlag or Journals of IOP or even ISI/EI Compendex/Scopus
indexed Journals.5th International Conference on Applied Mathematics & Computer Science, Marathon
Beach, Athens, Greece, June 2-4, 2021
www.imacs.infoProceedings will be published by IEEE.
Other Option: Publication in Scopus, EI Compendex, SCIE, ESCI indexed Journals4th International Conference on Mathematics and Computers in Science and
Engineering (MACISE 2021), Madrid, Spain, July 18-20, 2021
www.macise.orgProceedings will be published by IEEE.
Other Option: Publication in Scopus, EI Compendex, SCIE, ESCI indexed JournalsCSCC 2021: 25th International Conference on Circuits, Systems, Communications and
Computers, Platanias, Chania, Crete Island, Greece, July 19-22, 2021
www.cscc.coProceedings will be published by IEEE.
Other Option: Publication in Scopus, EI Compendex, SCIE, ESCI indexed Journals7th International Conference on Mathematics and Computers in Sciences and Industry
(MCSI), Athens, Greece, August 22-24, 2021
www.mcsi-conf.orgProceedings will be published by IEEE.
Other Option: Publication in Scopus, EI Compendex, SCIE, ESCI indexed Journals4th International Conference on Mathematical Models & Computational Techniques in
Science & Engineering (MMCTSE 2021), London, UK, August 22-24, 2021
www.mmctse.orgProceedings will be published by IOP.
Other Option: Publication in Scopus, EI Compendex, SCIE, ESCI indexed Journals5th International Conference on Applied Physics, Simulation and Computing (APSAC
2021), Salerno, Italy, September 3-5, 2021
www.apsac.coProceedings will be published by IOP.
Other Option: Publication in Scopus, EI Compendex, SCIE, ESCI indexed JournalsMore Conferences:
www.interbit-research.comwww.universitypress.org.uk
See you
[Absendername]
Anscheinend suchen sie jetzt ihre Peer Reviewer schon per Spam-Datenbanken mit der Personenmarkierung „hat irgendwas mit Universitäten zu tun“.
Oder uralte IEEE-Mitgliederlisten, weil ich da mal vor langer, langer Zeit Mitglied war, es aber als wertlos empfand.
Ich habe ernsthaft überlegt, ob ich antworten und denen Satire-Reviews schreiben soll. Aber sie wollen immerhin, dass ich ihnen mit einer akademischen Mailadresse schreibe, und ich bin einfach zu lange raus, um den aktuellen akademischen Duktus und die hochschultypische amerikanische Gendersprache hinzubekommen und habe gerade auch keine Zeit.
Obwohl mir natürlich schon der Gedanke durch den Kopf ging, mal eine komplette Universität zu faken.
Wäre aber viel Arbeit.
Allerdings gab es das mal, ich glaube, es war in England. Da gab es eine Universität im Web, mit tollen Bildern von Gebäuden, Hallen, Hörsälen, Veranstaltungen, Abschlussfeiern, alles da, was man erwartet, Fakultäten, Vorlesungen, Lehrkräfte. Bis irgendwer herausfand, dass diese Universität gar nicht existiert und da nichts außer einem Briefkasten ist. Das ganze Ding war ein Fake für Schlepper illegaler Einwanderer, weil man eine Aufenthaltserlaubnis bekommt, wenn man an ein Studium an einer Uni aufnimmt und immatrikuliert ist. Das ganze Ding existierte nur, um illegale Einwanderer mit Matrikeln, Studienbescheinigungen und Zwischenabschlüssen zu versorgen. Da steckte aber schon einiges an Arbeit für die Webseite drin. War aber sehr beeindruckend.
Hätte ich damals den Doktor bekommen, wäre es, vor allem, wenn man rumreist und sich auf verschiedene Länder verteilt, was das Nachforschen ungemein erschwert, mit etwas Geld leicht möglich gewesen, mir eine höchst beeindruckende Literatur- und Konferenzliste in den Lebenslauf zu schreiben, indem ich mir Teilnahmen an Pseudokonferenzen kaufe.
Eine Kryptoprofessorin in Australien erzählte mir mal, dass ihr etwas Schräges passiert sei. Ein guter Freund und Kollege einer anderen Uni habe sie im Vertrauen und freundschaflich angerufen und gesagt, dass sie in ihrem Paper X [irgendein Titel] schon einige peinliche Fehler drin habe, das sähe nicht so gut aus, da müsse sie aufpassen. Sie habe ihn erst gar nicht verstanden, weil sie niemals ein Paper X geschrieben habe, und nichts über das Thema, was er beschreibe. Und auch solche Fehler nicht mache. Das müsse eine Verwechslung sein. Doch, meinte er, er habe es doch gerade vor sich liegen, Original Journal.
Stellte sich heraus: Irgendwelche Hochstapler und Möchtegerns hatten so Dreiviertelmist geschrieben und sie – ohne ihr Wissen und ohne ihre Beteiligung – einfach als Autorin mit drauf geschrieben, damit es wichtig aussieht und angenommen wird, und damit es dann heißt, sie schrieben Papers zusammen mit [Professorin]. Also im Prinzip dieselbe Nummer wie am MIT mit der anderen Koryphäe, nur eben ohne Einverständnis. Obwohl das Paper schrottig und eigentlich nicht tageslichttauglich war (und nur wegen ihres Namens angenommen und gedruckt worden war), hatte sie nur von ihrem guten Freund eine Rückmeldung bekommen, dass das Paper mit ihrem Namen da schlecht ist und Fehler enthält.
Und dann heißt es hier zu Klima und COVID immer, die Wissenschaft, die Wissenschaft, man muss der Wissenschaft trauen und ihr glauben, denn die Wissenschaft hat immer Recht.