Als Opa im Winter ’45 gegen die Russen kämpfte…
Was für ein göttlicher Zufall, dass Cher heute 75 wird.
Geht Euch das auch so?
Wenn bei mir morgens der Radiowecker angeht und ich keine Termine habe und nicht dringend raus muss, bleib ich erst mal so in einem langsamen Aufwachen, so einem Dämmerzustand, in dem die einzelnen Teile des Gehirns noch nicht zusammenarbeiten, sondern jedes für sich rumspinnt. Ab einem Wachheitsniveau von etwa 15-20% kann ich mich dann später noch so bruchstückhaft erinnern, was ich im Radio gehört habe.
Wie ich heute morgen so auf die 20% Wachheit zuging, lästerte der Radiomoderator, dass Teile von Cher heute 75 würden. Und sie sich nicht nur die Körperteile, sondern auch die Stimme auf gerade Töne biegen lässt (ich glaube Autotune oder Melodyne oder so heißen die Geräte, in Believe war ja der Gag, dass man sie absichtlich zu stark aufgedreht hat, dass es künstlich klang).
Er fand aber auch Worte des Lobes über sie, so sei sie sehr wandlungsfähig, passe sich an, erfinde sich neu, und sei nicht so stur und divenhaft wie manche andere Sängerinnen, sondern höre auch auf andere und lasse sich überzeugen. So habe sie „If I Could Turn Back Time“ zuerst strikt abgelehnt und sich kategorisch geweigert, das Lied zu singen, es habe ihr gar nicht gefallen. Ihr Produzent habe ihr dann aber gesagt „Du stellst Dich jetzt in dieses Studio und singst dieses Lied!“ Und kaum hatte sie angefangen zu singen, hat es ihr plötzlich gefallen, Lächen, Top-Hit, Millionen verkauft. Das spielten sie dann auch im Radio.
Ich liege da also noch mit einem Wachheitsniveau um 20% im Bett und denke mir, hoffentlich spielen sie jetzt nicht gleich den Shoop Shoop Song. Den finde ich zwar eigentlich sehr gut und höre ihn sehr, sehr gerne, aber davon würde ich jetzt viel zu schnell wach, das geht jetzt gerade nicht.
Als der Typ wieder am Quasseln war, dachte ich mir so, viel lieber würde ich jetzt „The Night, They Drove Old Dixie Down“ von ihr hören, das wäre jetzt das richtige, das würde jetzt passen. Hörte schon so die Stimme im Ohr.
Als ich dann so auf die 25% zuging, und weitere Synapsen zueinander fanden, fiel mir ein, verdammt, das ist ja gar nicht von der, das hatte doch Joan Baez gesungen.
Warum, zum Geier, komme ich denn von Cher auf Old Dixie von Baez? Bei 27% fiel es mir wieder ein, ja klar, meine Blog-Artikel zu Baerbock. Ich hatte geschrieben, dass die Baerbocks Wikipedia-Seite gerade täglich öfter faceliften als Cher ihren Hintern im ganzen Leben. (Und wie ich anmerken möchte, sieht Chers Hintern trotzdem besser aus.) Und zu der komischen Ansage, dass es Baerbocks Opa war, der im Krieg persönlich die Russen zurückgeschlagen hat, hatte ich das Lied Old Dixie erwähnt.
Ach, egal. Ich mag das Lied so gerne und beim Wachheitsgrad von 28% ist das genau das richtige. Hatte mir vor Jahren mal verschiedene Versionen von Youtube runtergeladen. Stammt ursprünglich von einer Rockband mit dem einfallsreichen Namen „The Band“, tolles Lied, aber so richtig gut singen können sie nicht, der Brüller war dann 1971 das Cover von Joan Baez. 1972 hat es Juliane Werding in „Am Tag, als Conny Kramer starb“ verwurstet. Kann mich noch dran erinnern, als das damals rauskam und plötzlich überall lief.
Im Lied erzählt Virgil Caine oder Kane, Schreibweise unklar, Soldat der konföderierten Armee von General Robert E. Lee, von der Nacht, als die Südstaaten (=Dixie, vgl. Dixieland = Südstaatenmusik) die entscheidende Schlacht gegen die Nordstaaten und damit den Krieg verloren. The night, they drove old dixie down. Die Person ist fiktiv, aber die Ereignisse sind echt.
Ich liege also so bei 29% im Bett, die Augen zu, der Moderator faselt irgendwas, und im geistigen Ohr höre ich die Originalversion von The Band.
Virgil Kane is the name
And I served on the Danville train
‘Till Stoneman’s cavalry came
And tore up the tracks againIn the winter of ’65
We were hungry, just barely alive
By May the 10th, Richmond had fell
It’s a time I remember, oh so wellThe night they drove old Dixie down
And the bells were ringing
The night they drove old Dixie down
And the people were singing
They went, “Na, na, la, na, na, la”….
So im Ohr. Virgil Caine is my name … In the winter of ’65 … We were hungry, just barely alive … And the people were singing … They went, “Na, na, na, na, na, na”….
… In the winter of ’65 …
… In the winter of ’65 …
[Oh, ich werd’ alt, so alt, ich hab’n Sprung in der Platte…]
… In the winter of ’65 …
… In the winter of ’65 …
RED ALERT! WACHHEITSNIVEAU VON 100% ERREICHT – ALLE SYNAPSEN MELDEN VOLLE GEFECHTSBEREITSCHAFT
Moment mal.
Warum habe ich da nicht gleich dran gedacht?
Tablet raus, frisch gegoogelt, tatsächlich: Der amerikanische Sezessionskrieg endete mit der Kapitulation der konföderierten Nord-Virginia-Armee in Appomattox Court House am 9. April 1865. Und der Liedtext lautet „… In the winter of ’65 …“.
Seit Tagen schreiben mir Leser, was Annalena Baerbock da für einen Unsinn rede:
Kennt Ihr schon @ABaerbock's Auftritt beim @AtlanticCouncil? #BaerbockforKanzlerin verkauft sich dort zunächst als Ostdeutsche (hä?), um dann zu erzählen, wie ihr Ostfront-Opa im Winter 45 an der Oder gegen die Rote Armee kämpfte. Dies sei ihre Inspiration für "fighting for🇪🇺"… pic.twitter.com/VJrnQcTnKO
— Florian Warweg (@FWarweg) May 19, 2021
Her own grandfather fought in the Winter of ’45 gegen die Russen. An der Oder. Nun gibt es viele Einwände historischer Art. Manche sagen, das gab es nie, weil die Russen erst im April ’45 an die Oder kamen
#Baerbock's Darstellung gegenüber @AtlanticCouncil, dass ihr Opa "in ze Winter of 45" auf der Oder-Brücke zw. #Frankfurt & Slubice gekämpft hätte kann so kaum stimmen. Die Offensive & Kämpfe zur Überquerung der Oder (Schlacht um die Seelower Höhen) begannen erst am 16. April 45.
— Florian Warweg (@FWarweg) May 19, 2021
es also niemals in irgendeinem Winter Kämpfe gegen Russen an der Oder gab. Wogegen der auch immer da gekämpft haben will – die Russen waren’s nicht.
Andere wenden ein, dass man Brandenburg keinesfalls im zweiten Weltkrieg an der Grenze zu Polen verteidigt haben könne, weil Brandenburg damals keine Grenze nach Polen gehabt habe. Was sie allerdings auch nicht sagt. Sie sagt, dass Brandenburg heute eine Grenze zu Polen hat, und ihr Großvater damals dort gekämpft hat.
Die allermeisten Zuschriften laufen aber darauf hinaus, dass Baerbock und/oder ihr Großvater doch ziemlich dumm sein müssten, wenn die Deutschand doch im Mai 1945 kapituliert hätten und deshalb im Winter 1945 gar kein Krieg mehr war – ob der das nicht mitbekommen habe?
Darauf habe ich nichts gegeben, weil mir das zu albern war. Ob man den Winter jetzt nach seinem kalendarischen/astronomischen Anfang am 21./22. Dezember einem Jahr zuteilt, oder danach, wo die Hauptzeit liegt und es eben richtig winterlich kalt wird, Januar/Februar, ist doch belanglos, und meines Wissens auch nicht fest definiert. Ich war von 1985 bis 86 beim Grundwehrdienst, und wir haben uns da auch im Januar und Februar 1986 im Westerwald den Arsch abgefroren, und da würde ich auch sagen, dass das 1986 war.
Aber: Im Deutschen redet man tatsächlich vom Winter 1944/45. Oder tatsächlich vom Winter 1944 (vor dem Sommer 1945). Im Amerikanischen dagegen nennt man denselben Winter „Winter of ’45“
Die Amerikaner zählen wieder mal anders. Bei denen fängt die Woche ja auch mit Sonntag an und das Erdgeschoss heißt the 1st floor. Und auch die Briten scheinen, soweit das jetzt eruierbar war, den Winter dem Jahr zuzuschlagen, in dem der Januar liegt.
Was für die Deutschen der Winter 1944 ist, ist für Amerikaner und Englänger umgangssprachlich oft der winter of ’45. Richtiger und eindeutiger ist für Deutsche der Winter 1944/45 und für Englischsprachige der winter of 1944-1945.
Entweder verfügt Annalena Baerbock – wie man ja auch hört – über ganz vorzügliche Englischkenntnisse, die auch solche Details kultursensitiv erfassen und geschliffen übersetzen – oder der Redetext wurde von jemandem geschrieben, der Amerikaner oder Engländer ist.
Meine besten Geburtstagsglückwünsche an Cher.