Die 100-Euro-Analog-Kamera
Leser fragen – Danisch rät ab.
Leser und Tochter fragen an:
Hallo Hadmut,
meine Tochter (16+) will sich wirklich eine analoge Fotokamera zu legen. […]
Nun will meine Smartfon-ablehnende Tochter eine analoge gebrauchte bis 100€.
Sie ist komplett unbedarft, was Belichtung und Blende angeht, freilich nicht lernresistent.
Was kannst Du so auf die Schnelle empfehlen für Tageseindrücke, Urlaubsbilder und Impressionen.
Was liegt in der Hand und braucht keinen Fotokoffer?
Gar nichts. Davon würde ich dringend abraten.
Kosten analoger Kameras
Die Leute merken heute nicht mehr, wie teuer Fotografieren früher mal war. Früher war die Kamera nicht so teuer, dafür die Kosten für Filme. Ich habe damals für einen Film (Kaufpreis, Entwicklung, Abzüge) immer so in einer Größenordnung von 20 DM gezahlt, (der Film so um die 4-7 DM, Entwicklung so um die 3DM, Abzug so zwischen 30 und 50 Pfennig, wenn ich das noch recht in Erinnerung habe. Wohlgemerkt: Für 36 Fotos. Und dazu: Warten, bis man den Film voll hat, denn zum Laden bringen, drei Tage später abholen.
Dazu haben die oft noch Spezialbatterien gebraucht, meine Minolta 7000i beispielsweise 2CR5 (nicht aufladbar!), die auch so um die 5 bis 7 Euro kostet.
Das hört sich so billig an, sich eine alte analoge Ausrüstung zu kaufen – ist es aber nicht, wenn man sie auch benutzt.
Zumal man die auch nicht billig bekommt, wenn die Objektive noch was taugen, denn es gibt genug Leute, die die noch für Digitalkameras verwenden.
Zustand analoger Kameras
Finger weg.
Das Zeug ist oft verharzt. Ich habe neulich ein völlig unbeschädigtes Minolta 50mm 1,8 weggeworfen, das ich mir als Student gekauft hatte. Die Blende hing fest und schnappte nicht mehr zurück, weil das Fett verharzt war. Irreparabel, weil verschweißt bzw. Reparaturkosten über Neuwert.
Alte Objektive sind oft verschimmelt, und schon die Aussage verblüfft viele Leute. Ja. Schimmel im Glas. Weil Objektivlinsen häufig aus zwei mit optischem Kitt verbundenen Linsen bestehen, etwa weil man sie anders nicht herstellen konnte oder zwei Linsen aus unterschiedlichem Glas brauchte. Und in dem Kitt zwischen den Linsen kann sich der Schimmel einnisten. Oder der Kitt blasen bekommen. Irreparabel, Müll. Ich habe neulich ein (allerdings sehr billiges) altes Taschenfernglas deshalb weggeworfen.
Dann ist altes Fotozeug auch selten dejustiert.
Und: Alles, was aus der Kunststoff-Ära kommt, gammelt. Meine alten Minoltas schwitzen weißes Talkum aus (Trick: mit einer neuen, unbenutzten Zahnbürste schrubben) und meine Sigma-Objektive fingen an zu kleben, weil sich der Softlack zersetzt (Trick: mit acetonhaltigem Nagellackentferner und viel Klo- oder Küchenpapier abreiben).
Die Federn sind mürbe, die Spiegel dejustiert und oder verkratzt, die Sucher dreckig.
Selbst wenn man Technik der 50er bis 70er Jahre kauft: Da ist die Belederung auch oft im Eimer oder schimmelig.
Die Mechanik verbogen. Ich hatte mal eine Nikon D300s beim Service zur Reparatur, weil die Bilder nicht mehr richtig scharf wurden. Bajonett für das bloße Auge nicht erkennbar im Mikrometerbereich verbogen.
Dazu alte, laute Objektive mit mechanischem Autofokus.
Klar gibt es da noch gute Kameras. Aber nicht für 100 Euro.
Keine Anfängerkameras
Gerade dann, wenn man das erst noch lernen und verstehen muss, würde ich dringend von Analogkameras abraten. Nicht nur, weil jedes Foto viel kostet und man lange auf das Ergebnis wartet, sondern auch, weil der Lerneffekt damit reduziert ist. Wenn ich gleich sehe, was ich falsch mache oder was sich ändert, wenn ich an der Blende drehe usw. und ich ohne Hemmungen und Kostenangst auch mal 500 oder auch 5000 Murksfotos machen kann, nur um zu sehen, warum was wie aussieht, ist der Lerneffekt viel höher.
Ich habe mal vor 30 Jahren noch im Studio Aktfotografie gemacht. Obwohl es eine präsize Blitzanlage gab, mit der wir das Licht genau einstellen konnten, und Profi-Blitzbelichtungsmesser hatten, mit denen wir das alles genau ausmessen konnten, haben wir trotzdem noch Polaroid-Testfotos gemacht, um zu sehen, wie es wird, weil die Ergebnisse natürlich erst Tage später vorlagen.
Das geht heute mit Digitalkameras alles so viel besser.
Dynamik
Ein Dia-Film hatte so etwa 5 Blenden, ein Farbnegativfilm so zum die 7 und ein Schwarzweißfilm bis zu etwa 8 Blenden Kontrastumfang.
Gute Digitalkameras haben bis zu 14 Bit Tiefe, und schon die billigeren können HDR-Aufnahmen machen und teils schon in der Kamera kombinieren (oder später am PC mit kostenloser Software). Ich würde heute nicht mehr analog fotografieren wollen. Und wenn, dann ganz sicher nicht ohne die Digitalkamera als Testkamera.
Analoges Feeling
Wenn es um das Lebens- und Fotogefühl geht: Das bekommt man auch besser hin.
Eine Reihe von Herstellern, vor allem asiatischer Herkunft, siehe Blogartikel hierzu, bieten inzwischen prima Objektive in APS-C oder Vollformat für die verschiedenen Bajonett-Typen mit manuellem Fokus (also ohne Autofokus und ohne Chip) an. Beispielsweise das 7Artisans 35mm 1:0.95 (!) ist so ein richtiges Spaßgerät.
Video
Immer dran denken: Moderne Digitalkameras können auch Video aufnehmen.
Ratschlag 100 Euro
Bleiben lassen, das wird nichts.
Mit viel Glück findet man für das Geld vielleicht mal einen Zufallstreffer einer gebrauchten Digitalen oder einen Gönner, der einem eine schenkt.
Aber Analog ist das Unfug, weil man da schon mit 5 Filmen (=200 Fotos) drüber liegt.
Wer heute für 100 Euro fotografieren will, ist am besten mit einem 100-Euro-Handy aus dem Discounter-Angebot bedient.
Ratschlag 300 Euro
Da bekommt man schon eine gebrauchte Nikon D3300 oder D3400 mit Kit-Objektiv oder entsprechendes von Canon, muss aber sehr auf den Zustand achten und sich klar machen, dass das relativ einfache Anfänger-Plastikkameras sind und die dann schon ein älteres Modell ist. Aber: Damit geht schon was, wenn man eine erwischt, die noch in Ordnung ist.
Man kann mal in Fotogeschäften fragen, ob die was haben, weil die sowas auch mal in Zahlung nehmen.
Bei eBay oder auf Amazon gucken, da gibt’s ja auch gebrauchte Sachen.
Oder bei Auktionshäusern, Pfandleihern, Gerichtsvollziehern mal anfragen.
Ratschlag 1000 Euro
Damit fängt’s eigentlich an, und soviel geben manche für ihr Handy aus.
Hängt natürlich davon ab, was man noch vor hat, was man schon an Zubehör hat und so weiter.
In dem Bereich würde ich entweder eine DSLR als Einsteiger- oder Fortgeschrittenen-Modell (die 3er oder 5er von Nikon oder Canon, meinetwegen auch Fuji, kenne ich aber nicht so) nehmen oder (m. E. besser, aber etwas teurer) eine Spiegellose wie die Nikon Z50 (mit Adapter und Kit) oder die Sony Alpha 6300 oder 6400 oder sowas (oder Canon). Von Nikon gibt es eine Reihe sehr guter, aber wirklich günstiger Festbrennweiten mit F-Bajonett für APS-C, die per Adapter auch an die Z50 passen.
Dazu dann ein einfaches leichtes Carbonstativ (ab ca. 100 Euro), Ersatzakku, Speicherkarten, Blasebalg, Objektivpinsel, Tuch, Tasche, externes Mikrofon (so ab 30 oder 40 Euro). Polfilter. Vielleicht, wenn man ihn braucht, einen Blitz, oder eine Videoleuchte oder einen Aufheller. Schutzglas für’s Display empfehle ich noch dringen (normalerweise unter 10 Euro für 2 oder 3 Stück.)
Beim Vollformat gab es neulich die Sony Alpha 7 Mark II mit 24-70 Objektiv für 800 Euro. Ist halt ein altes Modell, aber Sony baut halt nicht billigere Plastikkameras, sondern verkauft die alten Modelle billiger. Die kann dann Video nur in FullHD und nicht 4K, aber: es ist eine ziemlich vollwertige und brauchbare Kamera. Allerdings löhnt man dann für die Objektive, weil Vollformat-Objektive auch kosten.
Damit kann man dann aber schon richtig gut fotografieren und hat dabei auch eine Menge Spaß und kann damit auch professionelle Ergebnisse abliefern.
Damit liegt man zwar schnell um die 1000 Euro, aber: Alles drunter ist eigentlich selbstbetrug und landet nur nach drei Fotos in der Ecke. Vor allem die analogen Kameras sind wegen der hohen Betriebskosten schnell viel teuerer als das.
Und: Man hat nicht nur Garantie, sondern auch eine fabrikneue Kamera. Und kann damit auch ordentliche Videos machen. Und das ist heute wichtig. Vor allem, wenn man 16 ist.
Vor allem: Es rentiert sich. Weil mit einer Kamera ordentlich umgehen zu können, oder auch mal ein Video machen zu können, heute eine Schlüsselkompetenz ist, die in vielen Bereichen gefragt ist. Das kann sich dann nacher mal bei der Bewerbung um eine Job oder sowas auswirken. Und nicht wenige machen damit ja dann auf TikTok und sowas richtig Geld.
Das Problem, wie man mit 16 an 1000 Euro kommt, kann ich allerdings auch nicht lösen. Die hatte ich damals auch nicht.
Eine analoge Kamera kann man sich mit 16 aber auch nicht leisten.
Wenn es denn unbedingt sein muss…
Mit viel Geduld auf eBay warten, Fotogeschäfte anfragen, Auktionen.
Manchmal tauchen da noch alte, vollständige Fotoausrüstungen auf.
Ich kann mich noch erinnern, so um 2005 auf eBay nach dem legendären Minolta 24-135 aus den 1980ern gesucht zu haben, das pötzlich wieder sehr gefragt (und teuer) war, weil es sehr gut an die Minolta-Digitalkameras passte. Weil es alle wollten, war es plötzlich wieder gefragt und teuere, weil die Leute alle mit der Suchfunktion auf eBay suchten. 150 bis 300 Euro.
Ich habe eines auf kuriose Weise erstanden, weil eine Witwe die Ausrüstung ihres verstorbenen Mannes verkauft hatte, die aber nicht benennen konnte. Deshalb war nur auf einem Foto der Fototasche zu erahnen, was da drin war, aber nicht per Suchfunktion zu finden. Ich habe dann für um die 70 Euro eine Fototasche mit einer Minolta 7000, einem Blitzgerät und mehrern Objektiven, darunter das 24-135 bekommen. Es ist Glückssache.
Aber ich käme heute nicht mehr auf die Idee, auf Film zu fotografieren, obwohl ich jetzt nicht so aufs Geld gucken muss. So im Analog-Stil ja, mit den besagten Asien-Objektiven und den Film- und Schwarzweißeinstellungen an meiner Z50 oder 6300. Macht Spaß. Aber eben auf digitalen Sensor und nicht auf Film.
Übrigens: Ich hatte mal bei einem Umzug ausgemistet und meine alten Aktfotos auf Diafilm mit dem Diaprojektor durchgeschaut. Fotos, auf die ich mal unheimlich stolz war.
Boah, dachte ich, wie schlecht ist das denn. Weil durch die modernen Digitalkameras die Ansprüche deutlich gestiegen sind. Ich habe meine alte Ausrüstung von damals (bis auf das weggeworfene 50er) noch, aber ich würde damit heute nicht mehr fotografieren wollen.
Man lernt nicht mehr. Es macht nicht oder nur sehr bedingt mehr Spaß. Aber es ist viel fehleranfälliger und kostet viel mehr Geld.