IT-Sachkunde: Die Politik geht auf Betriebssysteme los
Herrje. Es ist so schlimm, von Laien regiert zu werden.
Heise hat einen Artikel, wonach die Bundesländern Zwangsfilter in alle Betriebssysteme einbauen lassen und das über über eine neue Version des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags (es gibt nicht mal einen einheitlichen Namen dafür) durchsetzen wollen.
Was ich auf den ersten Blick und ohne nachzulesen schon für verfassungswidrig halten würde, weil die Bundesländer nicht für Betriebssysteme zuständig sind. Und selbst bei Medien nicht für technische Belange.
Die Länder wollen Anbieter von Betriebssystemen etwa für PCs, Laptops und Handys dazu verpflichten, Jugendschutzfilter vorzuinstallieren und per Voreinstellung alle Webseiten zu blockieren, die nicht für unter 18-Jährige geeignet oder nicht mit einem Alterslabel versehen sind.
Was auch schon strunzdumm ist, denn auch die Betriebssysteme sind nicht für das Holen von Webseiten zuständig, das macht der Browser. Aber dass Politiker und die meisten Juristen auch nicht verstehen, wie Internet und Computer funktionieren, habe ich schon erläutert. Stichwort: Von der Leyen.
Aber mal davon abgesehen:
In nicht wenigen Haushalten sind die, die sich am besten (oder als einzige) mit dem Computer und dem Internet auskennen, die, die unter 18 Jahre alt sind. Wenn das nur eine Voreinstellung ist, was sollte die Kinder davon abhalten, das abzuschalten?
Und warum sollten Haushalte, in denen keine Kinder leben, so etwas überhaupt hinnehmen müssen?
Mal ganz abgesehen davon, dass mir als Informatiker nicht einleuchtet, wie das funktionieren sollte. Vor 12 Jahren war ja schon die Kinderpornosperre so eine Schnapsidee, die nicht funktionieren konnte.
Und dann sind wir auch wieder beim Landfrauen-verstehen-Zeitzonen-nicht-Problem: Die meisten Webseiten kommen von außerhalb Deutschlands. Warum sollten die Alterslabel nach deutschem Recht anbringen?
Und was genau würde jemanden, der Pornoseiten anbietet, davon abhalten, dranzuschreiben, dass die ab 6 Jahre geeignet sind?
Und welches Recht überhaupt? Welche Regeln gelten denn? Die des Anbieterlandes oder die des Konsumenten? Woher soll der Webserver zuverlässig wissen, in welchem Bundesland der Konsument sitzt?
Einer der problematischen Aspekte des Diskussionsentwurfs liegt laut den Kritikern darin, dass der allergrößte Teil der Inhalte im internationalen Internet über keine technischen Alterskennzeichen im Sinne des JMStV verfüge. Es sei auch nicht zu erwarten, dass sämtliche Webseiten-Betreiber “in Zukunft nach dem deutschen System labeln werden”. Dies würde Betriebssystem-Anbieter “zu einem faktischen Sperren weiter Teile des Internets verpflichten – und zwar im Ausgangspunkt auf sämtlichen Geräten”, solange die Altersverifizierung der Nutzer nicht abgeschlossen sei.
In dem umstrittenen “ersten Arbeitsentwurf” für die JMStV-Reform heißt es in Paragraf 12: “Betriebssysteme, die auch für den deutschen Markt bestimmt sind, müssen technische Programme vorsehen.” Diese Filter müssten zunächst “in den Grundeinstellungen die Altersstufe ‘unter 18 Jahren’ vorsehen, es sei denn der Nutzer hat ein höheres Alter nachgewiesen”. Erziehungsberechtigten soll es “in einfacher und sicherer Weise” möglich sein, “auch ein jüngeres Alter des Kindes einzustellen”.
Wer denkt sich denn so einen Schwachsinn aus?
Wieder mal Juristen ohne jegliche Ahnung von der Sache?
Und wie soll das dann ablaufen? Soll ich dann irgendwem (wem?) nachweisen, dass ich alt genug bin, damit der dann mein Betriebssystem freischaltet?
Ist das nicht eher durch die Hintertür der Versuch, für jeden Webseitenzugriff die volle Nutzer-Identifizierung durchzusetzen? Kein Zugriff mehr auf eine Webseite, ohne sich voll zu identifizieren und authentifizieren?
Und dann der blanke Wahnsinn:
“Reichweitenstarke Anbieter von Telemedien mit redaktioneller Verantwortung”, die mehr als 100.000 Nutzer pro Monat haben, sollen zudem eine Softwareschnittstelle parat halten müssen, die es dem Betriebssystem erlaubt, die Altersstufe des Anwenders anonymisiert zu übermitteln. Die Daten sollen nach jedem Zugriff unverzüglich wieder gelöscht werden. Entsprechende Betreiber etwa von Nachrichtenseiten müssten zudem softwarebasiert sicherstellen, dass entwicklungsbeeinträchtigende Angebote nur entsprechend der dafür geeigneten Altersstufen zugänglich sind.
Das würde mein Blog auch betreffen, denn ich habe mehr als 100.000 pro Tag. Und ich soll eine Softwareschnittstelle anbieten, die es dem Betriebssystem erlaubt, die Altersstufe des Anwenders zu übermitteln? Und die Daten nach jedem Zugriff unverzüglich wieder löscht?
Was ist das für ein Schwachsinn?
Soll dann vor jedem Web-Zugriff vorher eine Verbindung vorauslaufen, die sagt, jetzt kommt einer, der erst 16 ist, und dann kommt irgendein Zugriff, den ich dem dann irgendwie zuordne, und das gleich wieder lösche, als für die nächste Webseite der ganze Blödsinn von vorne losgeht?
Haben die noch alle Tassen im Schrank?
Von den technischen Widrigkeiten mal abgesehen:
- Die schaffen es ja nicht einmal, ordentliche Impfbestätigungen auszustellen, und die wären viel wichtiger.
- Wir haben Millionen von Flüchtlingen, deren Alter wir nicht kennen, und jetzt soll man sein Alter nachweisen?
- Wie soll das denn auf Echtheit geprüft werden? Es ist leicht, irgendwas zu übertragen und zu behaupten, es sei das Betriebssystem gewesen.
- Wer soll überhaupt die Hoheit über das Betriebssystem haben, wenn nicht der, dem der Computer gehört? Nicht selten der Jugendliche?
- Wie passt das dann mit NAT, CDN und dergleichen zusammen?
Und dann sowas:
Die Vorschriften sollen auch für ausländische Anbieter gelten, deren Dienste “zur Nutzung in Deutschland bestimmt sind”.
Alle, Betriebssystemanbieter, Dienstanbieter, Inhalteanbieter sollen sich weltweit nach deutschem Recht richten. Am schlimmsten finde ich, dass nie so genau dabei steht, wer sich solchen Blödsinn eigentlich ausdenkt, wer das durchsetzen will. Man findet aber
So erklärte der Chef der sächsischen Staatskanzlei, Oliver Schenk, in einer Mitteilung der Landesmedienanstalten im März nach einem “medienpolitischen Gespräch”, dass die “größte Herausforderung” eine “leicht zu konfigurierende, betriebssystemübergreifende Jugendschutzeinstellung auf allen relevanten Plattformen” sei. Die Länder entwickelten deshalb nun “ein neues Konzept für einen praktikablen technischen Jugendmedienschutz”.
Die Länder bekommen nicht mal ihre eigene Software in den Griff, Stadtverwaltungen, Universitäten, Finanzämter, Gerichte, Polizeien, egal, wohin man schaut, alles nur Softwarechaos, und wollen die „ein neues Konzept entwickeln“.
Auch wegen dieser Erklärung sieht es so aus, als stecke ein Staatsminister Oliver Schenk dahinter, CDU. Und dass die CDU komplett inkompetent ist, was Internet angeht, wissen wir nicht erst seit von der Leyen, Angela Merkel und Axel Voss. Der Mann ist Volkswirt. Und laut seiner Webseite
Seit 2019 ist Oliver Schenk Staatsminister für Bundesangelegenheiten und Medien und Chef der Staatskanzlei. […]
Er ist außerdem zuständig für die Medienpolitik und das Medienrecht in Sachsen.
Was also steckt dahinter?
Sind diese Leute – wieder einmal – viel zu dumm um zu verstehen, was sie da eigentlich tun?
Oder geht es darum, durch immer mehr Schikanen und Hürden das freie Internet zu zertrümmern?
Für beides sprechen viele Anhaltspunkte, und das eine schließt das andere ja auch nicht aus.
Ich hatte bisher einmal mit denen zu tun. Ich habe einmal ein Jugendschutzschreiben bekommen, laut dessen in informiert wurde, dass man eine Webseite (nicht meine, eine andere) als jugendgefährdend eingestuft habe, nachdem die sich migrationsfeindlich geäußert hatte. Ich hatte aber in früheren Blogartikeln Links auf dieses Blog (allerdings zu anderen Themen) drin. Weil man aber die ganze Webseite dort für jugendgefährdend erklärt hat, würde ich mit der Verlinkung (auf andere Seiten desselben Blogs) gegen den Jugendschutz verstoßen, obwohl ich nicht mal eine Chance hatte, davon zu wissen, weil die Einstufung nicht öffentlich erfolgt. Das kann man vor diesen Informationsschreiben gar nicht wissen. Dann drohen aber gleich Strafen, wenn ich die Links nicht sofort entfernte.
Der Punkt daran ist: Obwohl das Schreiben darauf abzielte, dass ich meine Webseiten ändere, damit also in meinen Meinungs- und Pressefreiheit eingegriffen wird, gab es für mich überhaupt keinen Rechtsweg. Es war nicht mal ersichtlich, gegen wen ich hätte klagen müssen wenn ich hätte klagen können.
Jedenfalls war sehr klar, dass das mit Jugendschutz gar nichts zu tun hatte, sondern man den Jugendschutz als Vehikel für politische Zensur einsetzte.
Und genau darum geht es hier gerade.
Was man sich aber klarmachen muss:
Auch 12 Jahre nach dem galoppierenden Schwachsinn Ursula von der Leyens mit der Kinderpornosperre, auch 8 Jahre nach Merkels Neuland-Geschwätz, auch 2 Jahre nach den Uploadfiltern des dauergrinsenden Axel Voss hat die CDU noch immer keine Sachkunde in Sachen IT, Digitalisierung, Internet. Kein Wunder, dass Microsoft denen ihr Windows andrehen kann.
Und die CSU ist da auch keine Hilfe mit ihren Totalausfällen Dorothee Bär und Andreas Scheuer.
Man muss sich das mal klarmachen, was das gerade abläuft:
International wird auf Technikebene diskutiert, wie man Webseitenzugriffe beschleunigen kann, etwa mit HTTP/2 oder eben auch indem man TCP durch QUIC ersetzt und solche Dinge. Und das Web schneller zu machen.
Nur unser Deppenregime ist inkompetent genug, in die Webseitenzugriffe zusätzliche Hemmnisse, Komplikationen, Probleme einzubauen. Man muss das noch ausloten, wie unglaublich dumm das Unterfangen ist. Ich bin mir sicher, dass das nicht brauchbar umzusetzen und leicht fälschbar, aber voller Probleme sein würde.
Und wie schon gesagt: Ich halte es nicht für eine Jugendschutzmaßnahme, sondern für ein Vehikel, um das freie Internet zu drangsalieren, den Zugang zu alternativen Webseiten zu erschweren. Das läuft auf Zensur hinaus.
Würde mich mal interessieren, wer noch alles hinter dem Blödsinn steckt. Und wieviel Geld die Leute vom Steuerzahler bekommen.