Linke Wohnkonzepte
Vom Elend der WG.
Ich bin auf WGs, auf Wohngemeinschaften, nicht gut zu sprechen.
Ich habe nie in einer im engeren Sinne gewohnt, aber der Flur im Studentenwohnheim, in dem ich einige Jahre verbracht habe, war schon ziemlich WG-artig und schwierig. Viele meiner Kumpels und Komilitionen hausten aber in WGs.
Eine ist mir in besonders unangenehmer Erinnerung, weil ich da öfters war, weil mein bester Studienkumpel dort wohnte. Es war schrecklich. Er selbst war eigentlich ein sehr fleißiger, reinlicher, ehrlicher Typ, aber das geht halt nicht, wenn die anderen dabei nicht mitspielen. Da wohnte noch ein Informatiker der Kategorie „auch OK“, aber das Grauen schlechthin war der dritte, ein langes Elend von einem Physiker. Der hat alles dreckig, nichts sauber gemacht und vor allem: Was Lebensmittel anging, geklaut wie ein Rabe. Der zweite Informatiker im Bunde dort hat mir mal verraten, dass er seine Schokoladentafeln im Spalt hinter seinem Kleiderschrank, zur Wand hin, versteckt. Weil in seiner Abwesenheit der Physiker sein Zimmer nach Essbarem durchsucht und das eine Stelle sei, die der Physiker noch nicht entdeckt habe. Ich habe einige Zeit später erfahren, dass die Schokolade weg war, weil der Physiker sie hinter dem Kleiderschrank entdeckt und gefressen hatte. Wohlgemerkt: Im Zimmer des anderen.
Wir hatten da mal so eine Fete. Ich hatte eine Torte mitgebracht, unten Sahne, oben mit Obst belegt. Ich hatte sie schon ins Wohnzimmer auf den Tisch gestellt, bin nur kurz in die Küche, um dort irgendwas zu holen, und die paar Sekunden haben gereicht, dass der Physiker sämtliche Obststücke mit den Fingern aus der Torte gepult und gefressen und dann die zerfledderte Tortenruine einfach stehen gelassen hatte, obwohl er nicht mal Teil der Fete war. Da war ich richtig, richtig sauer, Zumal das Geld bei mir damals auch nicht so flüssig war, dass ich da einfach so ganze Torten hätte kaufen können.
Nur als besagter Kumpel mal für einige Zeit verreist war – er hatte kein Auto und ich habe ihn abgeholt und zum Bahnhof gefahren und dann auch bei seiner Rückkehr wieder zurück – hatte er vorher noch Kartoffeln übrig, die er für die anderen beiden auf den Küchentisch gelegt hatte. Als er nach Wochen zurückkam, ich war ja dabei, lagen die immer noch da, aber natürlich inzwischen vergammelt und festgeschimmelt, wir brauchten einen Spachtel, um die da wieder abzukratzen. Damals gab es noch keine Handys, keine Social Media, kein Internet außerhalb der Uni, schon gar keine Kapazität um Fotos zu übertragen, an Digitalphotographie war damals außerhalb akademischer Labors mit Landesfinanzierung noch nicht zu denken. (Noch Jahre später wurde ich am Institut für bekloppt erklärt, als ich für 30.000 DM einen der ersten verfügbaren CD-Brenner kaufen wollte – ich bekam ihn, aber erst, als er unter 15.000 DM war. Und war der erste an der Uni, der CDs brennen konnte.) Aber hätte es damals schon Social Media und Handys mit Kameras gegeben, diese WG alleine hätte eine Seifen-Oper erster Güte abgegeben und Instagram-Accounts gefüllt. Allein diese Kartoffeln zu fotografieren, wäre schon ein Highlight gewesen.
Frauen-WGs waren noch schlimmer, aber da war ich dann sehr selten. Was auch daran lag, dass die ob der noch viel schlimmeren Zustände vermieden, Leute einzuladen, und lieber in siffige Männer-WGs wie die oben beschriebene gingen, weil das aus ihrer Sicht ein Fortschritt gegenüber ihren Zuständen war. Ich hatte mal eine in der O-Phase, die berichtete, dass in der Nachbarwohnung eine wohne, die jeden Abend um dieselbe Zeit nach Hause kommt und dann jeden Abend von ihrem Typen auf so brachiale Weise durchgeknattert wird, dass man sie durch das ganze Haus schreien hört. Sehr exaltiert, sehr apart. Lustschreie jenseits von allem, was in Pornos je dargeboten wurde. Sie hat das mal mit dem Kassettenrekorder aufgenommen und uns vorgespielt. Das war wirklich so, dass man unbedingt irgendeinen Rettungsdienst rufen will, aber beim besten Willen nicht weiß, welchen eigentlich. Jeden Abend. Immer um dieselbe Zeit. Mit beachtlicher Kondition. Man hört unten die Haustür, dann die Schritte auf dem Gang draußen, dann dauert es noch ein paar Minuten, wann und woher dazu eigentlich noch der Typ kommt, war unklar, aber dann: Ganz große Schlacht. Zog sich auch immer. Wir wollten uns mal selbst zu ihr einladen um uns ein eigenes, ungefiltertes Bild vom Vorhersagbaren zu machen. Äh, nee, geht nicht, ist eine Frauen-WG, kann man nicht vorzeigen. Ist zu peinlich.
Das Konzept der WG, es ist einfach nicht mein Ding.
Ein Leser aber verwies auf einen Artikel der TAZ, der eine linke WG beschreibt: Sie bestimmen selbst – Fünf junge Leute wohnen in Frankfurt zusammen in einer Wohngemeinschaft. Keine*r hat ein eigenes Zimmer – einige nennen es „Wahlfamilie“.
Schon die Überschrift gegen mir gegen den Sinn, denn nach meiner Lebenserfahrung ist alleine zu wohnen die Grundvoraussetzung, um irgendwas noch selbst bestimmen zu können. Oder genauer gesagt: Gar nicht zu bestimmen zu brauchen. Ich muss nicht bestimmen, wo die Teller hinkommen und wann die Gläser gespült werden. Ich mache es einfach, wie es mir gerade passt, auf unbestimmte Art.
Drinnen: Sie führen durch die Wohnung und zeigen, dass jeder Raum eine Funktion hat; keiner gehört nur einer Person. Im Schlafsaal stehen vier Betten und eine Kleiderstange. Selbstgemalte Sterne zieren die Decke, Plakate die Wände. Vom Boden ist vor lauter Matratzen fast nichts zu sehen. Der Ruheraum ist ein Rückzugsort, hier stehen Sessel und ein Bett. Wenn doch mal jemand alleine sein will, wird gefragt. „Ich schlafe heute im Ruheraum, ist das okay?“ – und meistens ist es das. Im Arbeitszimmer haben sich alle einen eigenen kleinen Platz geschaffen.
Planwirtschaft. Die Räume nach Funktion, nicht nach Person eingeteilt. Und man muss sich bei den anderen erkundigen und entschuldigen, wenn man mal alleine schlafen will.
Gemeinschaft: Die WG ist ein beliebter Treffpunkt für einen großen Freundeskreis, Frankfurt klingt hier wie ein Dorf.
Prima. Durchgangsverkehr ist auch noch.
Und was ist mit Bumsen?
Sex, Masturbation, Privatsphäre: Es sei ein Lernprozess, sagt David: „Wenn man alleine oder in einer normalen WG wohnt, muss man kommunizieren, um etwas zu tun. Hier muss man kommunizieren, wenn man nicht dabei ist.“ Doch gerade im Sexuellen ist Kommunikation manchmal ein Problem. „Auch mit der Masturbation ist es mir zu planungsmäßig. Wenn ich im Schlafraum schlafe und dann Bock habe, müsste ich das dann vorher schon planen mit dem Ruheraum“, sagt Alina. Alles bekomme man aber voneinander auch nicht mit: „Sex schon oft, aber Masturbation nie.“
Toll. Bumsen nach Plan mit Voranmeldung.
Ich kenne das eigentlich aus dem Firmenumfeld so, dass man einen Besprechungsraum belegt, wenn man ein Meeting abhalten will. Oder mal in Ruhe telefonieren.
Die müssen da jetzt vorher das Bumszimmer belegen. Gut, erleichtert natürlich den Einverständnispapierkram. Vermutlich müssen dann auch beide auf dem Bumsantrag unterschreiben.
Kommunikation: Doch Alina sagt auch, dass so eine gewisse emotionale Abhängigkeit entsteht. „Das ist für mich in dem Fall aber nicht negativ konnotiert.“ Die WG sei wie ein Schwamm, alle Emotionen werden aufgesogen.
Und das klappt? Anscheinend nicht so:
„Bevor ich hier rein bin, habe ich Kommunikation als Ideal zur Konfliktlösung erhoben. Hier drin ist mir aufgefallen, dass das auch seine Grenzen hat“, sagt David. Regelmäßig wurden beispielsweise sonntags gemeinsam Probleme besprochen, beim Frühstück. Der Termin wurde dann aber hauptsächlich zur Konfrontation genutzt, die Stimmung wurde schlecht. „Wir versuchen jetzt, alles direkt anzusprechen.“
Deshalb bin ich wohl nicht WG-kompatibel. Ich habe am Sonntag lieber meine Ruhe und bevorzuge es, in meiner Wohnung einfach tun und vor allem lassen zu können, wie mir gerade der Sinn steht. Fehlt mir gerade noch, dass mich jemand irgendwo zwischen Bett, Bad und Küche dumm anmacht.
Streit: Durch die Nähe und Transparenz kommt es natürlich auch zu Auseinandersetzungen. So schrieb zum Beispiel ein Nachbar sexistische Kommentare in eine WhatsApp-Gruppe, Alina wehrte sich. Als es erneut passierte, verließ sie die Gruppe.
Und was macht man nach so einem Erlebnis in der WG? Klare Sache:
Die beiden werden im Wintersemester gemeinsam ein autonomes Tutorium geben. Thema: Kritische Männlichkeiten.
Männlichkeit ist schuld. Wer sonst.
Aktivismus: Alina setzt sich für Frauen- und Queerrechte ein. Ihre Schwester war lange mit einer Frau verheiratet. Demonstrationen gehören in der WG ohnehin zum Tagesprogramm. Die 1.-Mai-Demo aber war für sie ein Schock, als es in Frankfurt zu Ausschreitungen kam. Da gab es auch bei den WG-Bewohner*innen kleine Verletzungen, körperlich und sozial. Denn einige in der WG haben Verständnis für die Gewaltbereitschaft, andere nicht. „Da gab es schon große Differenzen.“
Mit Leuten in einer WG zu wohnen, die für Gewaltbereitschaft sind, und das in einer WG, in der niemand sein eigenes Zimmer hat … schon geil.
Was sind das für Spinner?
Auch das ist eigentlich klar:
Alle fünf studieren, unter anderem Soziologie, Philosophie, Politikwissenschaften und Schauspiel. Und alle fünf kommen aus relativ sicheren Verhältnissen. „Wie kann ich produktiv für gesellschaftlichen Fortschritt meine Privilegien nutzen, das will ich lernen“, sagt David. Die Gespräche reichen dann auch von der Frankfurter Schule um Adorno bis hin zu konkreter Politik wie der staatlichen Gewalt in Kolumbien. „Studieren ist für mich ein Zugang zur Welt“, sagt David. „Man lernt, die Dinge an der Wurzel anzupacken und sich auch selbst kritisch zu hinterfragen“, sagt Alina.
Huahahahaaaa.
Eine grenzenlose, privatlose WG aus Leuten der beklopptesten Fächer. Mit Gemeinschaftsmasturbation.
Schöne neue Welt.