Türkische Befindlichkeiten und doppelte Maßstäbe
Der Tagesspiegel schreibt über die aufkommende Fremdenfeindlichkeit ausgerechnet in der Türkei. [Update]
Das ist auch beachtlich, weil wir hier in Deutschland besonders von Arabisch- und Türkischstämmigen oder derer Migranten als „ausländerfeindlich“, „rassistisch“, „islamophob“ beschimpft werden, während sie gleichzeitig so lawinenartig einfallen.
Laut Tagesspiegel scheinen sich da gerade neue Sichtweisen aufzutun: „Sie sollen verschwinden“ – Die wachsende Ausländerfeindlichkeit in der Türkei
Ach gar? Verhalten sich die Türken gerade genau so, wie sie es den Deutschen ständig vorwerfen?
Das Land am Bosporus erlebt einen Stimmungswandel: Arabern, Geflüchteten und Superreichen schlägt offene Feindseligkeit entgegen. Woran liegt das? Susanne Güsten
Arabische Gesänge schallen über den Bosporus, wenn abends in Istanbul die Ausflugsboote losfahren. „Man glaubt gar nicht mehr, dass man in Istanbul ist“, schimpft eine türkische Einwohnerin der Metropole. An den Ufern spazieren Familien aus der Golf-Region, auf den Einkaufsstraßen wird Arabisch gesprochen, an den Kreuzungen betteln syrische Flüchtlingskinder.
Während des islamischen Opferfestes in den vergangenen Tagen war der Andrang der Araber besonders spürbar. Für viele Türken wurde das Fest zu einem Wendepunkt: Die Stimmung gegen Araber schlägt in offene Feindseligkeit um. […]
Die Ausländerfeindlichkeit richtet sich nicht nur gegen arabische Touristen und gegen die 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge, sondern auch gegen reiche Zuwanderer aus Nahost, die sich mit einem Immobilienkauf türkische Pässe sichern. […]
Eine Investition von 250.000 Dollar genügt, um dem Käufer und seiner Familie die türkische Staatsbürgerschaft zu erwerben, und viele Interessenten aus politisch instabilen oder repressiven Nahost-Ländern nehmen die Einladung dankbar an. Iraker, Iraner und Saudis sind die führenden ausländischen Käufer.
Vorurteile und Gerüchte über die Araber gleichen denen in Europa. „Die bieten 14-jährige Mädchen als Prostituierte feil“, entrüstet sich ein Ladeninhaber an der Einkaufsmeile Istiklal Caddesi in der Stadtmitte von Istanbul. Im Internet kursieren Videos, in denen angeblich arabische Badegäste an einem Strand lauthals „Gott ist groß“ skandieren. Überfremdungsängste brechen sich Bahn.
In einigen Städten an der türkischen Grenze zu Syrien leben inzwischen mehr Syrer als Türken.
Ach, gar?
Die Türken regen sich jetzt auf, weil die Araber bei ihnen machen, was sie selbst seit 50 Jahren mit Deutschland machen?
Wie so oft sind es nicht die Maßstäbe, die mich so besonders ankotzen, sondern die doppelten. Und hier nicht nur die der Türken, sondern auch der Presse, des Tagesspiegels. Denn würde ein Deutscher über Deutschland genau dasselbe sagen, würde er sofort in die rechte Ecke gestellt und als Rassist beschimpft. Das geht nur jetzt nicht, weil man sich ja darauf festgelegt hatte, dass nur weiße, Nichtmuslime Rassisten und Ausländerfeinde sein könnten und die Türken auf die Opferrolle festgelegt seien.
Ich habe schon oft beschrieben, dass ich auf dem Weg zur Arbeit auf der Straße und in den Verkehrsmitteln mindestens zehn Sprachen höre, die ich alle nicht verstehe und von denen ich viele nicht mal erkenne, und fast kein Deutsch mehr. Dass es mir immer öfter passiert, dass mich Leute, die mich auf der Straße nach dem Weg fragen wollen, erst mal fragen, ob ich Deutsch spreche oder mich gleich auf Englisch ansprechen. Ersetzt mal in diesem Textstück oben Instanbul durch Berlin und türkisch durch deutsch. Man würde sofort als Rassist und rechter Hetzer an die Wand genagelt. Von den Medien. Von den Arabern. Und sogar von vielen Türken.
In der Grenzprovinz Hatay sei es inzwischen so weit, dass sich die Syrer als die Herren fühlten und die Türken aufforderten, die Gegend zu verlassen, behauptet der ehemalige Parlamentspräsident Hüsamettin Cindoruk.
Ersetzt mal Hatay durch Ruhrgebiet.
Alteingesessene Istanbuler berichten, dass sie sich wie Fremde in der eigenen Stadt fühlen – wegen der Touristen, der vielen Wasserpfeifen-Cafés, und weil es in einigen Stadtteilen mehr arabische Ladenschilder gibt als türkische. Schätzungsweise zwei Millionen Araber, davon etwa eine Million Syrer, leben laut lokalen Medienberichten in der 16-Millionen-Metropole.
Komisch. Die Türken fanden das aber völlig normal, und verlangten, das hinzunehmen, als sie ihre türkischen Schilder in Deutschland aufhängten und ihre Shisha Bars hier aufmachten. Aber wehe, Araber führen sich in der Türkei auf wie Türken in Deutschland.
Und auf einmal kommt Erleuchtung auf:
Er könne die Ausländerdiskussion in der EU jetzt besser verstehen, sagt ein türkischer Akademiker, der einige Jahre in Europa verbracht hat.
Ach, jetzt kann er die Ausländerdiskussion besser verstehen?
Kaum sind sie in einer Situation wie die Deutschen, reagieren sie wie die Deutschen?
Auf Twitter machen erboste Türken unter dem Hashtag #GitmeVaktinizGeldi (Zeit, dass ihr geht) ihrer Wut über Araber Luft. Eine regierungsnahe Fernsehkommentatorin, die für die rasche Einbürgerung der Flüchtlinge plädiert, wird als „arabische Lesbe“ beschimpft.
Die Opposition hat das Thema für sich entdeckt. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu fordert die Rückführung der syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat und spricht wegen der steigenden Zahl von Flüchtlingen aus Afghanistan von einer „Schicksalsfrage“ für das Land. Tanju Özcan, ein Parteifreund von Kilicdaroglu und Bürgermeister der Stadt Bolu östlich von Istanbul, will Ausländer mit hohen Sondergebühren für Wasser und Abwasser aus der Stadt vertreiben. Es reiche nicht, den Ausländern städtische Hilfen zu streichen oder Geschäftsgründungen zu verweigern, sagte der Lokalpolitiker. „Sie sollen verschwinden.“
Stellt Euch mal vor, was hier los wäre, wenn Deutsche exakt dasselbe über Türken sagen würden.
Präsident Recep Tayyip Erdogan wurde von der Diskussion überrascht. Jahrelang konnte sich Erdogan bei seiner „Politik der offenen Tür“ in Syrien auf die Toleranz der Türken verlassen und die Aufnahme der Syrer als humanitäre Pflicht rechtfertigen.
Erdogan wie Merkel?
Den Stimmungswandel in der Bevölkerung hat Erdogan entweder verpasst oder nicht ernstgenommen. Das bietet Kritikern wie Kilicdaroglu jetzt Angriffsflächen. Erdogan solle doch seinen 1000-Zimmer-Palast in Ankara mit Afghanen füllen, sagte Kilicdaroglu in einem Video auf Twitter.
Ich finde das hochinteressant, dass die Türken sich bei arabischer Immigration in kürzester Zeit so benehmen, wie die Deutschen bei türkischer Immigration, wofür die Türken ja nun gar kein Verständnis aufgebracht haben. Da fand man es völlig normal, ganze Stadtteile zu übernehmen und türkisch zu beschriften, überall mit Kopftuch rumzulaufen, türkische Musik, türkische Sprache und so weiter. Und jetzt geht es ihnen genauso, aber dann sehen sie das plötzlich ganz anders.
Man sollte ihnen das schon mit aller Macht unter die Nase reiben, dass sie gerade in derselben Situation sind, wie die Deutschen mit der türkischen Immigration, und dass sie doch bitteschön dieselbe Toleranz, Aufgeschlossenheit, Duldungsstarre an den Tag legen möchten, wie wir in den letzten 50 Jahren, und doch bitte noch allen Syrern Unterkunft, Taschengeld, Versorgung, Hartz IV und so weiter finanzieren sollen.
Oder, wie man so schön sagt: Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Der kategorische Immigrativ.
Sollte man sich sehr genau ansehen und all den türkischen oder türkischstämmigen Medienschreihälsen, die so auf die Deutschen schimpfen, argumentativ voll reinhauen.
Schaun wir mal, was daraus noch wird.
Update: Ah, ein Leser gibt schon die Antwort auf diese Frage, was daraus noch wird:
Die bekommen gerade massenhaft Afghanen geschenkt. https://t.co/O49NHVJ6M0
— tarantoga (@pumpenschwengel) July 30, 2021