Österreich und wie ich einem Denkfehler „Post hoc ergo propter hoc“ unterlag
Ich dachte immer, ich hätte schon viel gehört, gelesen, gesehen. Ich nahm an, ich kenne die Welt in ihren Grundzügen.
Aber das ist mir neu. Von sowas habe ich noch nie gehört.
Bis ich meinen Denkfehler bemerkte.
Frau Augenlider abgebissen – Prozess vertagt
Ein ungewöhnlicher Prozess ist am Dienstag am Wiener Landesgericht vertagt worden. Ein 36-jähriger Mann stand vor Gericht, weil er seiner Frau nach einer nach einem afrikanischen Ritus erfolgten Hochzeitszeremonie die Augenlider abgebissen hatte.
Der Angeklagte musste sich wegen Begehung einer Straftat im Zustand der vollen Berauschung (§287 StGB) verantworten. Er war geständig. Der gebürtige Nigerianer dürfte im Tatzeitpunkt unter dem Einfluss einer halluzinogen wirksamen psychotropen Substanz gestanden sein.
Wie die Staatsanwältin zu Beginn der Verhandlung ausführte, schlossen der Mann und eine ebenfalls aus Nigeria stammende Designerin nach längerer Lebensgemeinschaft am 15. Jänner 2021 den Bund der Ehe, wobei die Eltern des Paares per Videoschaltung an der Zeremonie teilnahmen. […]
Am darauf folgenden Tag folgte dann die Gewaltattacke, für die weder der Angeklagte noch sein Verteidiger Normann Hofstätter eine plausible Erklärung hatten. […]
Der Anklage zufolge würgte er die 30-Jährige so lange, bis dieser die Augäpfel hervortraten. Dann biss er in beide Augäpfel, ehe er ihr die Lider abbiss und der Frau noch mit einer Glasscherbe in den Kopf stach. Die 30-Jährige erlitt ein schweres Halswirbelsäulentrauma, eine Luxationsfaktur des fünften und sechsten Halswirbels sowie schwerste Verletzungen an beiden Augen. Zur Verhandlung, zu der sie als Zeugin geladen war, erschien die Frau mit einer sie vor dem Tageslicht schützenden dunklen Sonnenbrille. […]
Der beigezogene psychiatrische Sachverständige Peter Hofmann ging davon aus, dass sich der Angeklagte vor der inkriminierten Tat mittels einer psychotropen Substanz – möglicherweise LSD – in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand versetzt hatte. Der Drogenkonsum habe zu einer „kurzen psychotischen Episode“ geführt, die „nach wenigen Stunden“ wieder abgeklungen sei, meinte der Gutachter, wobei er von einer „Arbeitshypothese“ sprach.
Ich sitze da.
Ich lese das.
Und denke einfach nur „Hä!?“
Von so einem Ritus habe ich noch nie gehört. Wozu soll das gut sein? Wie könnte man ohne Augenlider, was gerade in Afrika ziemlich sicher ziemlich schnell zu Entzündungen und Erblindung führen dürfte, zum Ritus machen? Und wie behandelt man sowas dann medizinisch?
Bis mir mein Denkfehler aufgefallen ist.
Ich hatte das „nach“ in dem Satz „…weil er seiner Frau nach einer nach einem afrikanischen Ritus erfolgten Hochzeitszeremonie die Augenlider abgebissen hatte“ falsch verstanden. Ich hatte es so wie in „nach alter Väter Sitte“ verstanden. Also synonym wie „gemäß“.
Komische Sitte, dachte ich. Davon habe ich noch nie gehört. Die schneiden sich in Afrika ja manches gegenseitig ab, aber die Augenlider? Abgebissen? Als Hochzeitsritus? Seltsames Schönheitsideal?
Bis mir aufgegangen ist, dass das nur zeitlich gemeint ist. Erst die rituelle Hochzeit, die wohl mit Augen-Abbeißen nichts zu tun hat, dann die Drogen und dann die Beißattacke. Es ist aber wohl nicht Teil des Ritus.
Ich hatte mich schon gewundert, warum ich davon noch nie gehört habe.
Könnte mir aber vorstellen, dass das andere auch falsch verstehen und das dann übernehmen.