Ansichten eines Informatikers

Sind die Afghanistan-Flugzeug-Videos Fake?

Hadmut
23.8.2021 16:58

Leser fragen – Danisch weiß es auch nicht.

Eben schreibt mir gerade schon wieder ein Leser, dass er die Videos aus Afghanistan, in denen Flugzeuge in Menschenmengen losfahren und Leute auf den Fahrwerksklappen hocken, für Fake halten.

Der erste meinte, die Flugzeugscheiben wären nicht echt.

Das kann ich aber auch erst bewerten, wenn ich mal eine echte C-17 in Natura gesehen habe (was ich noch nicht habe), aber ich sehe da keinen Ansatzpunkt. Die Cockpit-Scheiben eines Flugzeuges sind eine ziemlich komplexe Angelegenheit und mit sonstwas allem beschichtet, was Sonne, vielleicht Radar oder womöglich auch leichtere Munition abhält. Oder auch einfach, damit man die Piloten nicht erkennt oder nicht sehen kann, ob überhaupt jemand drinsitzt. Der Punkt ist: Auf allen anderen anderen Fotos, die ich im Internet dazu gefunden habe, sehen die Cockpit-Scheiben der C-17 nahezu überall nahezu schwarz aus. Insofern fände ich es im Gegenteil eher verwunderlich, wenn die ja jetzt plötzlich aussähen wie ein Wohnzimmerfenster oder irgendso einer normale Boeing. Maßstab dürfen ja nicht andere Flugzeugmuster sein, sondern immer dasselbe Muster. Was weiß ich, was die da für Scheiben einsetzen, aber sie sehen so aus, wie auf allen C-17-Fotos.

Und außerdem: Wenn man den Film sehr sorgfältig und langsam schaut, sieht man, dass das Sonnenlicht mal ganz kurz so günstig stand, dass man zwar nur dunkel, aber trotzdem deutlich quer durch das Cockpit gucken kann und die Streben der gegenüberliegenden Fenster erkennt.

Da sehe ich keinen Ansatzpunkt. Natürlich kann ich es nicht wissen und kein Echtheitsgutachten erstellen. Ich weiß es nicht. Aber: Ich kann keinen Anhaltspunkt für eine Fälschung entdecken.

Jetzt kommt der nächste und verweist auf das da. Das ganze Flugzeug sei Fake, weil ein Bugrad und eine Tür fehlt und man so gar nicht an einem Flugzeug rumlaufen kann, zu laut, man würde weggepustet und so weiter.

Auch das erscheint mir nicht überzeugend.

Zunächst mal würde jemand, der sich solche Mühe gäbe, ein Flugzeug zu fälschen, also mit dem Rechner zu generieren, wohl kaum das Bugrad vergessen.

Kriegs- und nicht Urlaubsflieger

Der zweite Punkt: Nein, ich bin noch nie vor, unter oder hinter einer C-17 hergelaufen. Auch nicht an einem A400M. Das militärischste, was ich in der Hinsicht jemals getan habe, war aus einer CH-53, die noch im Landen war, aber hinten die Klappe schon geöffnet hatte, Kommando-Übungs-mäßig in vollem Gerödel, Gesichtsbemalung und einem Gewehr voller Platzpatronen rauszuspringen, wie Rambo (im Rahmen meiner bescheideneren Physiognomie) durch die Gegend zu rennen und so zu tun, als würde ich es mit den Russen aufnehmen. Sollten wir so tun. Das ist aber genau der springende Punkt: Das ist kein Ferienflieger, an den man die Treppe ranfährt und die Passagiere mit dem Bus zum Zoll fährt. Das ist ein Kriegsgerät und Truppentransporter. Die können nicht landen und sagen, so Jungs, wartet mal, bis die Turbinen aus sind. Oder zum Piloten sagen „Warte mal noch mit dem Anlassen, sind noch nicht alle drin“. Das muss ruckzuck gehen. Die haben keine Zeit.

Haben sie übrigens mal vor ca. 14 Jahren bei der zweijährlichen Flugzeugshow in Berlin vorgeführt: Wie die Bundeswehr sich vorstellt, Geiseln zu befreien. Ein paar Geisel- und Terroristendarsteller am Boden. Erst kam ein Spezialeinheit mit dem Heli, hat sich sehr flott aus der Luft abgeseilt, bisschen Bumm-Bumm gemacht. Dann kam der interessante Teil. Ob in den Wolken, die hat man vorher nicht gesehen, kreiste eine Transall. Und als die unten mit Bumm fertg und abholbereit waren, stürzte diese Transall in einem sehr steilen Winkel und sehr schnell herab, und sie erklärten dazu, dass das notwendig sei, damit das alles sehr schnell gehe, und sie möglichst wenig Angriffsfläche böten. Schon in der Luft ging hinten die Klappe auf. Der war kaum gelandet, kam nicht mal zum Stehen, sind die alle hinten rein und dann gab der schon wieder Gas und hob ab, kaum dass die Klappe wieder ganz zu war.

Leute, denkt doch mal für 20 Pfennig nach.

Wäre dieses Flugzeug so gebaut, dass man da beim „Taxi“ (rumfahren am Boden) nicht drunterstehen, nebenherlaufen könnte und schon weggeblasen würde oder das nicht aushielte – dann könnte man es als Ferienflieger nach Mallorca einsetzen, aber ganz sicher nicht als Truppentransporter für Kriegseinsätze. Das Ding ist aber so gebaut, dass man das kann. Deshalb sind diese Dinger mit ganz kurzem Fahrwerk gebaut und flach am Boden, damit man schnell und leicht rein- und rauskommt, deshalb haben die auch so eine riesige Klappe hinten, und haben die Triebwerke weit oben.

Mit einem Zivil-Airbus oder 747 geht sowas nicht, der ist allgemein viel zu hoch, der ist nicht dazu gebaut, dass man da einfach so reinrennen kann.

Und mit einer 737 geht es auch nicht. Die hängt zwar so tief am Boden, dass man reinhüpfen kann, aber die hat ihre Turbinen auch so tief, dass die einen wirklich wegblasen würden. Das ist ja deren großes Problem.

Das ist aber eine C-17 (oder ähnliches), und diese Kriegsflieger haben das im Lastenheft stehen, dass die ganz schnell Landen-Rein-Raus-Weg können. Die müssen so sein, dass das geht. Man muss da von einer Maschine, die nur kurz auf der Landebahn aufsetzt und nicht mal zum Stehen kommt, über die Klappe rein und rausspringen können. Ich glaube, sogar mal irgendwo gelesen zu haben, dass die Klappen so gebaut sind, dass sie das vertragen, wenn sie über den Boden schleifen und die darüber mit Fahrzeugen rein und rausfahren, während das Flugzeug rollt, bin mir da jetzt aber nicht mehr sicher.

Ich weiß nicht, was ihr für Vorstellungen von Kriegseinsätzen habt. Das ist aber nicht der Pauschalreisencharter-Flieger nach Ibiza.

Artefakte

Dann aber heißt es noch, dass da Tubinenschaufeln und Türen fehlen.

Leute, das ist Bullshit. Absoluter Bullshit.

Was Ihr da seht, ist ein winziges, stark verkleinertes, mehrfach komprimiert, runtergeladen, hochgeladen und neu komprimitertes Video von lausigster Qualität. Das noch ursprünglich mit irgendeinem Billig-Handy aufgenommen und dann vielleicht auch nochmal neu komprimiert wurde, damit man es aus Kriegsafghanistan überhaupt noch hochladen konnte. Da laufen auch Leute ohne Gesichter rum. Wenn mir einer mit so einem stark und mehrfach komprimierten Müllvideo daherkommt, das mehr Artefakte als Information hat, und behauptet, das sei eine Fälschung, weil da irgendwelche Details fehlen, dann kommt das in die Bullshit-Tonne.

Das ist einfach geistiger Dünnschiss, an einem so kaputten Video darlegen zu wollen, dass etwas eine Fälschung sei, weil da was fehlt.

Ich hatte das eigentlich schon mal erklärt. Als damals in Neuseeland dieser Anschlag auf die Moschee stattfand, ging ja auch das vom Täter selbst gedrehte Video viral. Und dann kamen Leute an, auch bei mir, die behaupteten, das sei eine Fälschung, weil man in der Sekunde X genau sehe, dass der da auf jemanden schieße, dabei die Hülsen aus dem Gewehr nach rechts wegfliegen und mitten in der Luft im Nichts verschwinden.

Bullshit.

Das Video war sehr sehr stark verkleinert und komprimiert, weil mit dem Handy live übertragen oder hochgeladen, und das ist was, was die Kompressionsalgorithmen zuerst websäbeln, wenn die Bandbreite nicht reicht. Die Patronenhülsen verschwinden nicht mitten in der Luft, sondern es hätte zuviel Bandbreite gebraucht, das Bild an der Stelle zu aktualisieren. Man sieht da einfach, wie es da eben noch aussah, ein paar Frames früher.

Derselbe Scheiß mit irgendwelchen Türrahmen oder Turbinenschaufeln an diesem Flugzeug. Rotierende Turbinenschaufeln würden enorm viel Bandbreite in der Darstellung benötigen, also schmeißt der Kompressionsalgorithmus die einfach weg, weil die Bandbreite nicht reicht.

Dasselbe passiert, wenn ein einheitlich graues Flugzeug vorbeirollt. Der Kompressionsalgorithmus erkennt ja kein Flugzeug, sondern ein ziemlich einheitlich graue Fläche, die auf der einen Seite zu und auf der anderen Seite abnimmt. Und dann bewegen sich Linien durch das Bild. Je nach Algorithmus versucht der noch, die durch Verschiebung von Rechtecken des vorangegangenen Bildes darzustellen, aber wenn es nicht geht, lässt der sie halt weg.

Ist mir schon vor 20 oder 25 Jahren aufgefallen. Auf meiner ersten oder zweiten IETF-Konferenz (weiß nicht mehr genau, ich glaube, es war die erste, 1994) in den USA hatten sie – damals ganz modern und futuristisch – digitale Videoübertragungen der Vorträge experimentell versucht. Damals noch ganz rudimentär. Nach dem Vortrag konnten sich das Interessierte aus der Nähe anschauen und mal ausprobieren, ich war mit ein paar Leuten vorne am Rednerpult um mal zu gucken, wie das aussieht. Nun hatte ich aber damals ein vertikal rot-weiß-gestreiftes Hemd an. Keine Nadelstreifen, sondern so vielleicht 10 mm, vielleicht fingerdicke breite Streifen. Blieb ich ruhig stehen, war alles gut. Wenn ich aber so ein bisschen hin- und herwackelte, besonders schlimm so eine Streifenbreite, dass der Kompressionsalgorithmus ständig rot durch weiß und ungekehrt ersetzten musste, brach das Bild zusammen. Der damalige Algorithmus konnte noch nicht selektiv wegwerfen und hat versucht, jedes Bild von oben nach unten aufzubauen, und brach ab, wenn die Kapazität erschöpft war, um mit dem nächsten Bild zu beginnen. Immer wenn ich wackelte, kam der nur noch bis zu den Köpfen und konnte das, was unterhalb war, gar nicht mehr darstellen. Noch ein bisschen rot und weiß, Ende.

Damals sagte man auch, dass das noch ein Problem sei und sie daran arbeiteten, dass der Algorithmus erkennen müsse, was wichtig ist und was nicht, und dann darauf verzichten würde, mein Hemd darzustellen, aber den Rest. Dass ich dann zwar mit einem bescheuerten gestörten Hemd dastehen würde, aber zumindest das Bild im Ganzen noch erkennbar wäre.

Turbinenschaufeln und Ränder von Flugzeugtüren wären als erstes weg.

Wenn Ihr Videos prüfen wollt, müsste ihr an die Erstveröffentlichung, in möglichst hoher Auflösung und möglichst unkomprimiert. Alles danach sind Social-Media-Schleuder-Artefakte und wertlos.

Und wenn?

Ich hätte gute Lust, Leute, die so denken wie, das Video ist gefälscht, also gibt es Afghanistan nicht, zu Ehrensoziologen zu ernennen, doof genug ist es nämlich. Wie deren Denke, dass wer eine Korrelation gefunden hat, sich eine Kausalität frei ausdenken darf.

Nehmen wir mal hypothetisch an, das Video wäre tatsächlich gefälscht.

Was wüsstet Ihr dann? Eben, dass das Video gefälscht ist. Aber sonst nichts.

Ihr wüsstet nicht, wer das gefälscht hat, wann, warum, in welche Richtung, mit welcher Absicht.

Dass das Video gefälscht ist, heißt ja noch lange nicht, dass es nicht auch eine echte Version davon gibt. Es könnte ja verfälscht sein. Nimm ein originalgetreues, wahrheitsgemäßes Video, das dir nicht passt, oder wenn Du nicht drankommst, stell Dich mit dem Handy daneben und mache ein ähnliches, fälsche was drin rum, was man als Fälschung entdecken kann, und verteile es in den Social Media. Es gibt garantiert genug Deppen, die daraus dann schließen, dass der ganze Vorgang nie stattgefunden hat.

Großprinzip der Vergiftung unerwünschter Informationen.

So, wie wenn die SPD leicht als Fälschung zu erkennende gefälschte Unterlagen in Umlauf bringt, wonach die Regierung die Antifa bezahlt. Weil man künftig zu jedem, der sagt, dass die Regierung die Antifa bezahlt, sagen kann „Ey, Du Depp, Du Lüger, das ist eine Fälschung!“. Nur dass aus dem Umstand, dass es eine Fälschung ist, noch lange nicht folgt, dass die gefälschte Darstellung auch unwahr und das Gegenteil wahr ist. Das glauben nur alle so gerne, wenn sie meinen, eine Fälschung entdeckt zu haben.

Könnten ja zum Beispiel die Taliban selbst in Umlauf gesetzt haben.

Oder jeder, der den Evakuierungen am Zeug flicken oder einfach politischen Stunk anzetteln will.

Gehört übrigens auch in die Kryptographie. Wenn eine Nachricht nicht authentisch ist und als Fälschung erkannt wird, dann heißt das nicht, dass sie unwahr ist. Denn würde man ihr entnehmen, dass die Information unwahr wäre, also eine andere wahr sein müsse, hätte man ihr ja Information entnommen und geglaubt, obwohl man erkannt hat, dass sie nicht authentisch ist. Ganz schlecht.

Wenn man erkannt hat, dass eine Information nicht authentisch ist, sondern eine Fälschung, dann kann man daraus nicht schließen, dass die Information unwahr ist, sondern einfach gar nichts.

Und wenn man dieses Video für eine Fälschung hält, aber nicht mal Überlegungen dazu anstellt, wer sie mit welcher Absicht in welche Richtung gefälscht habe, dann hat man auch keinerlei Grundlage, die Wahrheit der Darstellung anzuzweifeln. Wenn es denn eine wäre, dann wüsste man eben, dass jemand die Turbinenschaufeln, die Tür, das Bugrad weggemacht hat und die Fenster verändert. Über den Rest weiß man nichts.

Es ist völlig wertloser Mist, damit daherzukommen, dass es eine ge- oder verfälschte Version davon im Netz gibt. Man müsste nachweisen, dass es keine wahrheitsgemäße Version gibt und/oder schon die Urversion eine Fälschung war.

Im Zweifelsfall könnte man auch mal drüber nachdenken, ob der, der „Fälschung!“ schreit, die Fälschung nicht selbst hergestellt hat, um sich wichtig zu machen oder zu desinformieren.

Standardschema: Fear, Uncertainty, Doubt.