Vom gar nicht so subtilen Unterschied zwischen Können und Wollen
Mag sein, dass das Wollen da endet, was man nicht vom Sofa aus per Fernbedienung tun kann. Aber das Können halt nicht.
Einige Leser hatten mir zu der Frage mit den Fernsehgebühren geschrieben, dass es auf das Können nicht ankäme, man würde ja vor Gericht auch ohne einen Fernseher zu haben zu Rundfunkgebühren verdonnert, obwohl man ohne Fernseher nicht Fernsehen könnte.
Sorry, Leute, aber das stimmt so nicht.
Der eine, hier nicht so relevante, kleinere Punkt ist, dass man juristisch der (vertretbaren, sogar durchaus zutreffenden) Auffassung ist, dass „Fernseher“ heute kein abgrenzbares Gerät mehr ist und man auch mit Computern, Tablets, Handys auf die Rundfunkangebote zugreifen kann, und es heute kaum noch jemanden gibt, der die nicht hat. Das kann ich auch so bestätigen. Ich kenne selbst Leute, die sich brüsten, seit Jahren, Jahrzehnten keinen Fernseher mehr zu besitzen und nicht Fernsehen zu schauen, weil es ihnen zu dumm ist (woher wissen sie das, wenn sie es nicht ab und zu schauen), und dann aber häufig mit dem Browser in den Mediatheken schauen. Wenn sie nicht im Wohnzimmer vor der Glotze sitzen, sondern am Schreibtisch vor dem Notebook, und den Zeitpunkt selbst wählen, dann ist das nach ihrem Empfinden kein „Fernsehen“. Sondern eher so eine Art Quellenrecherche.
Ich meine aber etwas anderes.
Ich meine die sprachliche Schlamperei.
Keinen Fernseher zu besitzen, heißt ja nicht, dass man nicht Fernsehen könne. Sondern nur, dass man nicht will und es auch nicht versucht. Aber das „Können“ ist in seiner Reichweite ja nicht darauf beschränkt, vom Sofa aus per Fernbedienung die Glotze einzuschalten ohne aufzustehen. „Können“ umfasst auch die Möglichkeit, in den Laden zu gehen und sich einen Fernseher zu kaufen. Sich keinen Fernseher hinzustellen fällt unter „Nicht wollen“ und nicht „Nicht können“.
Ich erklär’s mal am Beispiel von Kaffee.
Ich mag keinen Kaffee. Schmeckt mir überhaupt nicht, das Zeug. Ich trinke keinen Kaffee, weil ich nicht will. In der Konsequenz daraus besitze ich weder eine Kaffeemaschine, noch Kaffeevorräte. Wozu auch?
Es ist aber kausal nicht so, dass ich keinen Kaffee trinken könnte, weil ich keine Kaffeemaschine habe, sondern umgekehrt, ich besitze keine Kaffeemaschine, weil ich keinen Kaffee mag und mich entschieden habe, keinen Kaffee zu trinken. Ich habe also keine Kaffeemaschine, weil ich nicht will. Es ist nicht etwa so, dass ich nicht kann, weil ich nicht habe.
Und das ist auch experimentell verifiziert und empirisch bestätigt: Vor der Pandemie hatte ich noch gelegentlichen Besuch, der Wert auf Kaffee legt. Wir haben es ausprobiert, es lässt sich problemlos Kaffee in meiner Wohnung sowohl herstellen, als auch konsumieren. Kein Naturgesetz, keine geographische oder geologische Gegebenheit, kein Wetterphänomen, keine Staatsmacht, kein rechtlicher Umstand hindern in meiner Wohnung an Herstellung oder Konsum von Kaffeegetränken. Nicht mal der Umstand, dass ich weder Kaffee als Material noch eine Kaffeemaschine in der Wohnung habe, ist ein Hindernis, weil sich dieses Hindernis auf einfache Weise beseitigen lässt: Der Besuch bringt mit, was er braucht.
Ich könnte also nicht behaupten, dass ich hier keinen Kaffee trinken kann, und könnte auch als Beweis nicht anführen, keine Kaffeemaschine zu besitzen. Ich könnte ohne weiteres, ich will nur einfach nicht. Das aber liegt allein in meiner Verantwortungssphäre.
Sorry, aber ich finde es ziemlich kindisch, wenn jemand sagt, dass er nicht Fernsehen empfangen könne, weil er keinen Fernseher besitze. Das heißt nur, dass er nicht will und den Versuch nicht unternimmt, aber es heißt nicht, dass er es nicht kann.
Sorry, wenn ich es so drastisch sage, aber: Zu sagen, dass man nicht fernsehen könne, weil man keinen Fernseher besitze, ist das Geschwätz sprachlicher Ungenauigkeit, das zeitgeistige Ausredengeschwafel. Dass man etwas nicht kann, heißt, dass man auch dann, wenn man will, daran gehindert ist, und nicht bereits oder ausschließlich am fehlenden eigenen Willen scheitert. Man kann sich nun natürlich über Formulierungen streiten wie „Er kann sich nicht aufraffen, etwas zu tun“, aber das fällt alles noch in die Privatautonomie. Es ist schlicht Unfug und Geschwätz, Entscheidungen innerhalb dieser Privatautonomie als „nicht können“ auszugeben.
Früher noch waren Fernseher eine teure Angelegenheit. Nur die besserverdienenden Familien besaßen eine (einen einzigen) Fernseher im Wohnzimmer, der nahm damals ja auch noch viel Platz weg. Inzwischen sind sie das nicht mehr:
- Hartz IV und schon die frührere Sozialhilfe umfassen auch einen einfachen Fernseher.
- Ich hatte mir mal vor Jahren im Sonderangebot für ca. 75 Euro einen 22-Zoll-Fernseher als Kontrollmonitor für einen Videoaufbau gekauft – und gleich noch zwei weitere, weil ich so positiv davon überrascht war, wieviel die für das Geld können. Zwar haben die zwei Mängel, der Ton ist nämlich wegen winziger Lautsprecherchen sehr dünn und bei DVB-T2 im Ersten wählt das Ding immer den Ton mit Blindenerläuterungen vor, was man dann jedesmal auf der Fernbedienung umwählen muss, aber dafür klotzen die Dinger mit gutem Bild, DVB-T2-Empfang, ich glaube sogar DVB-C, sehr gutem EPG, HDMI-Eingang, VESA-Gewinden, und, besonders überraschend, der Fähigkeit, auf USB-Stick aufzuzeichnen und abzuspielen. Meine größeren Markenfernseher können das nicht (der von Samsung könnte es und hat die Tasten dazu auf der Fernbedienung, aber es kommt eine Fehlermeldung, die zeigt, dass man das nachträglich gesperrt hat.
- Fernseher sind unpfändbar (einer pro Haushalt, bzw. im Falle eines teuren Gerätes nur als Austauschpfändung gegen ein billigeres), weil das eben zu den Grundbedürfnissen gehört.
Es kann mir also so im Allgemeinen keiner erzählen, dass er nicht Fernsehen kann, weil er keinen Fernseher hat. Keinen Fernseher zu besitzen heißt zunächst mal nur, es nicht zu wollen und nicht zu versuchen.
Deshalb ist es auch ziemlich dusselig und umgangssprachliches Geschwätz, wenn man sagt, dass man nicht Fernsehen könne, weil man keinen besitze. Keinen Fernseher zu besitzen heißt nur, dass man sein Können nicht wahrgenommen hat.
Grundsätzlich anders ist das, wenn einem der Strom abgestellt wird, und das nicht, weil man mutwillig oder fahrlässig nicht zahlt, oder das Geld lieber versoffen hat, sondern weil es wirtschaftlich nicht geht. Und dafür spricht viel, wenn man 92 Cent pro kWh zahlen müsste. Das ist immerhin das rund Zwanzigfache (oder sogar mehr) dessen, was in manchen anderen Ländern verlangt wird.
Da nun kann der Umstand vorliegen, dass man tatsächlich nicht Fernsehen kann, auch wenn man wollte und alles versucht, was in seiner Macht steht.
Und genau dann sind wir an dem springenden Punkt, weil der Rundfunkbeitrag auf der Möglichkeit des Empfangs, des Könnens beruht.
Und das ist insbesondere dann relevant, wenn die wirtschaftlich nicht mehr zu stemmenden Stromkosten nicht von Dritten diktiert werden, und die Überforderung keiner Entscheidung in der Privatautonomie folgt, sondern eine Folge der Politik ist, die einerseits monströse Stromkosten verursacht (oder sie sogar ausdrücklich will), und gleichzeitig die Beitragspflicht auf die Möglichkeit des Empfangs stützt.