Was wäre, wenn … es die DDR noch gäbe?
Ein völlig absurder Gedanke.
Ich genieße gerade die Ruhe, wenn Politiker und Journalisten dann alle mal die Klappe halten und Ruhe geben, weil sie noch ausschlafen. Endlich mal nichts los, endlich mal nichts von dem Geschwätz und dem Krisendauerfeuer. Endlich mal Wochenende.
Das Fernsehprogramm seit Weihnachten war auch nicht nur gewöhnlich schlecht, sondern geradezu außergewöhnlich schlecht, einfach der übliche Mist. Ich will ja nichts gegen Sissi sagen, aber es ist halt einfach alles „Same procedure as last year“, aber weil man merkte, dass die alle zuhause bleiben, war es wenigstens nur öde und nicht so explizit blöd.
Ich hatte ja schon erwähnt, dass ich gelegentlich den Fernseher nebenbei laufen lasse, weil so ein bisschen Hintergrundgeräusch den Tinnitus dämpft, und das die inhaltliche Schlechte des Programms manchmal kompensiert.
Weil das Normalprogramm aber so grottenschlecht war, bin ich gestern irgendwie in der Mediathek an der ZDF-Reihe „Der Palast“ hängen geblieben. Über den Friedrichstadt-Palast zu DDR-Zeiten.
Eigentlich hatte ich mir das so gedacht, dass man da viel hübsche Beine und Hintern sieht, weil das ja früher in der vorfeministischen Zeit mal so üblich war, dass an Silvester so ab 0:30 überwiegend nackte Tänzerinnen aus Crazy Horse, Moulin Rouge oder sowas im Fernsehen kamen. Seit wir Feminismus haben, kommen nach Ende der lausigen Silvestershows nur noch Wiederholungen alter Musiksendungen vom Schlage eines Bata Illic mit Sand in den Schuhen aus Hawaii. Zwar habe ich das Programm bis Mitternacht gar nicht gesehen, weil ich wieder mal mit Freunden und Bekannten per Videokonferenz gefeiert habe, aber die werden halt auch alle alt und senil und legen sich vor eins ins Bett. Ich kann jetzt aber auch nicht früher als üblich ins Bett, nur weil Neujahr ist. Also dachte ich, wenn schon nicht Moulin Rouge oder Crazy Horse, dann wenigstens Honeckers, habe das eingeschaltet und vergessen auszuschalten, und dann läuft halt automatisch eine Folge nach der anderen, was mir die ersten drei eingehandelt hat. Nach dem Aufwachen kam dann auch nichts gescheites, also habe ich das zum Frühstück halt weiterlaufen lassen.
Der Friedrichstadt-Palast dient da eigentlich mehr so als Vehikel eines Familiendrama um Zwillingsschwestern, von denen eine in der DDR und eine im Westen gelandet ist, die sich zufällig gegenseitig entdecken, weil eine im Publikum sitzt und entdeckt, dass eine Tänzerin auf der Bühne ihr so unglaublich ähnlich sieht. Und dann „tauschen“ wie das doppelte Lottchen von Erich Kästner. Die Industriellentochter aus dem Westen und die Tänzerin aus dem Osten wechseln die Rollen.
Eigentlich ist die Story völlig beknackt. Abgesehen davon, dass sich Zwillinge Ende 20 nicht mehr so ähnlich sehen, dass selbst ihre engsten Kollegen und Verwandten ein Vertauschen nicht bemerkten, und eine Profitänzerin und eine Fabrikjuniorchefin sich nicht nur so unterschiedlich bewegen und so unterschiedliche Figuren und Muskulaturen ausbilden, und dass die auf der Bühne so stark geschminkt und aufgebrezelt sind, dass man unmöglich seine eigene Zwillingsschwester dort entdecken könnte, schon gar nicht, wenn man als Wessi-Frau selbst nicht weiß, dass man überhaupt eine Zwillingsschwester im Osten hat (wäre ich damals in Ost-Berlin einem begegnet, der wie ich ausgesehen hätte, hätte ich gelacht, ihn vielleicht auch freundlich gegrüßt, vielleicht ein Selfie gemacht, aber ihn ganz sicher nicht für meinen Zwillingsbruder gehalten, man nannte das „Doppelgänger“), hätten sich Ossi und Wessi keine 10 Sekunden gegenseitig vormachen können, zu den jeweils anderen zu gehören. Der blanke Sound der Stimme hätte jeden verraten. Ich war von 2003 bis 2007 in Dresden und konnte nicht mal im Supermarkt an der Kasse bezahlen, ohne sofort als Wessi detektiert zu werden – von fremden Leuten, wohlgemerkt. Und die Kollegen sagten mir das auch. Der ganze Stimmklang verrate mich, schon die Art, sich zu bewegen. Und spätestens wenn ich „Plastik“ statt „Plaste“ sage. Oder noch so ein paar andere sprachliche Fehlgriffe. Nicht mal „Genosse“ könnte ich so sagen, dass man es mir glaube. Ich hätte einfach diesen DDR-Sprech nicht drauf. Hört sich immer so etwas zu steif, zu behördlich, einen zu umständlich an, zwei zu gestelzt an.
Diese Grenzkabinen, durch die man vom Westen zum Tagesbesuch nach Ostberlin kam, die mit den Glasscheiben und dem Spiegel an der Decke, und dem gruselig dreinblickenden Grenzern, die habe ich auch miterlebt, damals beim Abijahrgangsausflug nach Westberlin mit Tagesbesuch in Ostberlin. Ich weiß aber auch, wie schwer es damals als Wessi war, sich dort zurechtzufinden. Nicht mal Mittagessen gehen oder U-Bahn fahren konnten wir da, ohne zu fragen, wie das geht. Kann mich noch erinnern, dass die da keinen Fahrkartenautomaten hatten, sondern so einen Einwurfkasten mit Glasscheibe, in den man Geld in nicht ersichtlichem Umfang einzuwerfen hatte und sich dann Fahrscheine abreißen konnte, die da hingen wie Rolle Klopapier, und beim Einsteigen hochzuhalten hatte, damit „alle“ sehen konnte, dass man einen hatte. Das mussten wir erst mal lernen und uns erklären lassen. Oder wie man im Sozialismus an einen Teller Suppe kommt. Mussten wir uns alles erst erfragen.
Ich glaube nicht, dass sich ein Wessi damals überhaupt so völlig unentdeckt unter Ossis hätte mischen können, dazu dann aber noch als eine bestimmte Person ausgeben, auch wenn es Zwillingsschwestern sind, die nach der Geburt getrennt wurden. Zwar merkt sogar die Tochter irgendwann, dass Mutti nicht Mutti, sondern Tante ist, aber es ist doch schon etwas an den Haaren herbeigezogen.
Man merkt das vor allem darin, weil Anja Kling als die Mutter so richtig nach Ossi aussieht. Keine Ahnung, wie die das eigentlich macht, ob das an Frisur, Kleidung oder eben dieser sozialistischen Brille liegt, aber die guckt in die Kamera und sieht einfach gleich völlig nach DDR aus, aber die hat das halt auch gelernt, die ist da ja aufgewachsen. Die ist halt echt. Die kann diesen Margot-Honecker-Genossinnen-Blick. Es zeigt aber auch, dass andere das nicht können. Die Hauptdarstellerin Svenja Jung spielt meines Erachtens die West-Schwester überzeugender als die Ost-Schwester. Und genau deshalb glaube ich nicht, dass sich die West-Schwester als die Ost-Schwester hätte ausgegeben können.
Andererseits fällt es mir als Unlogik auf, dass von Zwillingsschwestern eine eine Brille trägt und eine nicht, und die einfach per Brille tauschen. Ich kann mir noch vorstellen, dass ein Nichtbrillenträger zur Tarnung eine fremde Brille trägt, aber wozu trägt die Brillenträgerin eine, wenn sie sie doch gar nicht braucht und ohne genauso gut auskäme? Außerdem sieht man das, wenn ein Brillenträger ohne Brille rumläuft, die Abdrücke an der Nase.
Ich muss allerdings zugeben, dass die Story zwar so beknackt ist, aber dann doch so einen Spannungsbogen hinbekommt, weil sie eben beide doch auf beiden Seiten aus Unwissenheit oder Unvermögen, den Job der anderen zu machen, enormen Schaden anrichten und letztlich auch auffliegen, dass man dann doch wissen will, wie es weitergeht.
So wirklich aufgelöst wird die Story dann nicht, sondern das alles auflösende „Wir sind das Volk“ löst dann alle Probleme und macht alles wieder gut, was dann irgendwie auch eine Feigheit vor dem Story-Ende ist. Das ist dann mehr so wie „Durch den Gong gerettet“ als „Kampf gewonnen“, das Ding endet nicht durch eine Auflösung der Story, sondern durch Ende der DDR und damit Wegfall der ganzen Grenz- und Ost-West-Problematik. Zwar werden beide noch festgenommen, saufen dann aber in der Ideenarmut der Drehbuchautoren ab.
Sagen wir es so:
Unterhaltsam ist es. Aber mehr als milde Unterhaltung mit DDR-Kitsch ist es halt auch nicht. Wobei Unterhaltsamkeit ja schon ein großer Fortschritt gegenüber dem normalen Fernsehprogramm ist.
Man merkt so ein bisschen, dass das halt auch unter Kostendruck produziert ist, man die DDR simuliert, indem man vor den Friedrichstadtpalast einfach ein paar Trabbis und Wartburgs stellt, in schäbig heruntergekommenen Ecken von Berlin dreht, oder ein paar alte Ladenschilder an Geschäfte pappt. Was ich aber nicht als Problem ansehe, es muss ja nicht historisch tiefenpräzise sein.
Man merkt auch, wie irgendwo erwähnt wurde, dass man die Gelegenheit nutzte, dass der Friedrichstadtpalast wegen der Pandemie gerade im Ruhezustand war, weil man da sonst gar nicht so hätte drehen können. Man hatte den mal für sowas frei. Wirkt dann auch manchmal etwas „leer“.
Andererseits freut sich der Friedrichstadtpalast gerade sehr, dass es eine ZDF-Serie über ihn gibt, was beim Wiederanlauf helfen könnte.
Ich weiß zwar jetzt auch nicht genau, wie die DDR es mit den nackten Brüsten jenseits des beliebten Nacktbadens so hielt, aber nackte Brüste kommen auch mal drin vor. Ich dachte immer, die habe es auf der Hauptbühne nicht gegeben, sondern nur im Anschlussprogramm im nachbarlichen Nachtclub gegen Devisen. (Wo war das eigentlich? War das da, wo heute der Quatsch Comedy Club drin ist?)
Ich will das jetzt aber auch nicht runtermachen. Der Ossi wird es voller Realitätsfehler finden, der Wessi unlogisch, ich hätte mir unter dem Titel mehr Ansichten von den hübschen Tänzerinnen versprochen, aber unterhaltsam ist es schon. Man darf halt nicht so mit der Realitätsmesslehre dran, sondern mit dem Willen, sich einfach unterhalten zu lassen.
Die Frage
Mir geht aber eine Frage durch den Kopf.
Der Untergang der DDR fällt in eine Zeit, die noch voll „analog“ war. Klar gab es schon Informatik und Computer, die DDR hatte ja auch welche, und Honecker den Megabit-Chip, auch wenn der eher Schwindel als real war, aber das waren halt eher die Kindergartenjahre der IT, da hatte das noch nicht so Eingang in die reale Welt gefunden.
Wie aber wäre das weitergegangen, wenn die DDR – so hypothetisch angenommen – wie auch immer die Krise Ende der Achtziger Jahre überstanden hätte. Angenommen, das Volk hätte sich irgendwie beruhigt oder wäre mit Gewalt oder von der Stasi stillgestellt worden, und irgendwo wäre noch Geld hergekommen. Fabrikation für den Westen oder noch Geld bei den Russen oder sowas.
Wie wäre das mit der DDR weitergegangen?
Es spricht einiges dafür, dass die DDR zunächst mal genau so weitergemacht hätte, wie sie war. Sozialistisch und analog.
Man hätte die Gebäude etwas gespachtelt und leidlich repariert und weitergemacht, wie bisher.
Der eigentlich Gesellschaftswandel kam aber nicht mit dem Computer, sondern mit dem billigen Computer und dem Internet. Und Speicher- und Rechenleistungsmengen, die dann wirklich Digitalisierung ermöglichten, Bilder, Videos, Digitalfernsehen und sowas.
Wie nun wäre die DDR damit umgegangen?
Völlig ignorieren hätte sie es nicht können. Denn sie wollte ja – Friedrichstadtpalast und Megabit-Chip – schon zumindest pro forma vorne und an der Weltspitze mitspielen, die Überlegenheit des Sozialismus demonstrieren. Das wäre gar nicht gegangen, ohne beispielsweise das DDR-Fernsehen zeitgemäß auszustatten. Schon die aktuelle Kamera hatte ja ein damals relativ modernes Studio und die damals üblichen elektronischen Einblendungen. Und Sendungen wie der Kessel Buntes wurden ja auch mit Aufwand produziert.
Es hätte die DDR in ein ganz enormes Dilemma gebracht.
Denn ohne die ganze Vernetzung wäre die DDR offenkundig technologisch abgehängt gewesen, mit der Vernetzung dagegen nicht mehr ohne weiteres zu überwachen.
Freilich kann man sagen, dass die Digitalisierung der Stasi vieles enorm erleichtert hätte, denn digitales Telefonieren und ein Staats-E-Mail-System wären perfekt zum Abhören gewesen. Die Stasi litt ja auch unter Material- und Personalmangel, konnte nur so viele Telefonate abhören, wie sie Bandgeräte und Leute zum Anhören hatte. Man hatte ja sogar aus allen Sendungen dem Westen die Musik-Kassetten konfisziert, weil die Stasi dringend Bandmaterial für die Abhörgeräte brauchte, die auf normale Compactkassetten aufnahmen. Letztlich hat der Staat sich sein Bandmaterial zusammengeklaut. Mit modernen Mitteln der Schlüsselwortsuche und KI wären die natürlich glücklich.
Allerdings könnte sich die DDR auch nicht völlig abschotten, wie man das in China oder Russland gerade versucht, weil die nicht groß genug sind. Freilich hätte man so eine Art Firewall um den Ostblock ziehen und eine Art Ostblock-Internet bauen können, aber wäre letztlich doch darauf angewiesen gewesen, an die ganzen Opensource-Projekte ranzukommen, weil kostenlose Software, für die man keine Devisen braucht und die man nicht mal klauen muss. Wie durchlässig wäre also das Internet zwischen Ost und West gewesen?
Hätte man ein eigenes sozialistisches Internet entwickelt, hätte man es ganz bleiben lassen, oder hätte man doch auch mal IETF-Konferenzen und dergleich hosten müssen?
Und hätte sich der Sozialistische Kontroll- und Lügenapparat mit Internet überhaupt aufrechterhalten lassen?
Auch die DDR stand ja trotz der Fülle von Arbeitskräften unter enormem Druck, ihre Effizienz zu verbessern. Sicherlich hätte man auch versucht, die Verwaltung, den ganzen Behördenkram moderner zu gestalten, zu digitalisieren, und damit auch dem Problem der Telefonknappheit zu begegnen.
Vermutlich wäre der Raspberry Pi etwas gewesen, worauf die gesprungen wären. Quasi der Trabant unter den Heimcomputern.
Vermutlich hätte man dann einen Ost-Ableger von Distributionen wie Debian oder ähnlichem gebaut, in dem man bestimmte Programme nicht zulässt und vermutlich auch Stasi-Hintertüren eingebaut hätte.
Ich vermute aber auch, dass die DDR aufgrund ihrer Zentralregierung durch die Partei in einem Kraftakt eine Glasfaserverkabelung hinbekommen und sich damit natürlich fett gebrüstet und für dem Westen überlegen dargestellt hätte. Ob dann auch was angeschlossen gewesen wäre oder die Bandbreite mehr als nur sozialistisch, ist eine andere Frage, aber das hätte man wohl getan, um als modern dazustehen.
Die Frage ist aber, ob ein System wie die DDR überhaupt hätte überleben können.
Ob die nicht auch dann, wenn es wirtschaftlich damals noch gereicht hätte, in der aufkommenden Informationsgesellschaft noch hätten existieren können.
Was wäre dann mit Twitter, Facebook, Google, Youtube gewesen? Github? Pornhub?
Hätte man in der DDR Smartphones gehabt? Überhaupt ein Mobilfunknetz?
Vielleicht sogar als Notlösung für den Telefonmangel? Gar nicht erst auf verkabeltes Telefonnetz setzen, sondern gleich ein D-Netz hochziehen? Natürlich mit Überwachungs- und Ortungsmöglichkeit? Mit Stasi-konformem Betriebssystem?
Hätte das DDR-Fernsehen eine „Mediathek“ angeboten?
Oder mal anders gefragt:
Wäre die DDR aufgrund schierer Not und Notwendigkeit vielleicht deutlich schneller und effizienter bei der Digitalisierung des Staates gewesen, weil sie sich die Dekadenz des heutigen Deutschlands, das ja sogar von Drittweltstaaten in der Digitialisierung abgehängt wird, gar nicht hätte leisten können? Und auch diese Föderalismusprobleme nicht gehabt hätte?
Aus staatlicher Sicht hätte das doch enorme Vorteile bringen müssen, und dass die DDR und die Stasi damals schon moderne Plattenspeicher hatten, ist ja bekannt. Gerade ein so datensammlungsversessener Staat wie die DDR wäre ohne Digitalisierung gar nicht ausgekommen.
Hätten die uns inzwischen vielleicht sogar überholt, abgehängt?
Hätte es solche Dekadenzprogramme wie Gender und Feminismus in der DDR jemals gegeben?
(Gegenfrage: Hätte es sie bei uns ohne den Erbsozialismus durch kommunistische Klapsmühlen wie die Humboldt-Uni denn bei uns je gegeben?)
Was wäre aus der DDR geworden, und was wäre aus der BRD geworden, wenn es die Wiedervereinigung nicht gegeben hätte?