Vom Niedergang der Universitäten durch Ghostwriter
Von der Dienst-in-Anspruch-nehm-Gesellschaft.
Vice schreibt was über den Zustand der Universitäten:
So leicht ist es, sich im Internet eine gute Klausur zu kaufen
“In zwei oder drei Jahren werden Arbeitgeber lauter Leute vor sich haben, die nichts können.” – Hans, Ghostwriter
In zwei, drei Jahren? Von wann ist der Artikel? 2012? Nee, der ist ganz neu.
Hans und Jürgen sind 23 und 26 Jahre alt, studieren Informatik und Mathematik, wohnen im gleichen Haus und betreiben gemeinsam ein Business: Sie schreiben Klausuren für andere Studierende.
Das Phänomen scheint groß zu sein. Seit Corona schreiben viele Studierende ihre Prüfungen nur noch online. Nur wissen die Unis in den meisten Fällen nicht, wer sich da wirklich einloggt. Auf eBay Kleinanzeigen finden sich Hunderte Gesuche nach Ghostwritern für Klausuren. Einschlägige Websites bieten den Service offen an.
Ach, so, wegen Corona und Online-Prüfungen.
Längeres Interview, schlecht zu zitieren. Es geht darum, dass die meinen, dass sich nur die strafbar machten, die Arbeiten abgeben, die sie nicht selbst gemacht haben, aber nicht die Ghostwriter. Gut, dass sie in Informatik und Mathematik und nicht in Strafrecht schreiben, denn das Konzept der Beihilfe oder Beteiligung scheint ihnen nicht bekannt zu sein.
Wenn eure Kunden sich strafbar machen, sind die sicher extrem vorsichtig.
Hans: Den meisten ist das völlig egal, die unterschätzen das Risiko komplett. Einer hat mir mal den Zugang zu seinem Uni-Account gegeben: E-Mail, Passwort, Matrikelnummer. Die schicken uns Geld über ihr persönliches PayPal, nennen uns ihre Unis, Namen, Telefon- und Matrikelnummern.
Toll. Dem Ghostwriter, der für andere die Prüfungen schreibt, einfach das Passwort für den login geben und das Geld per Paypal überweisen.
Erklärt natürlich, warum wir so viele Versager in der Politik haben, die dann ihre Aufgaben als Minister oder Staatssekretäre von externen Beratungsfirmen ausführen lassen.
Aber nicht völlig neu. Ein Informatiker, der damals in meinem Semester war und auf demselben Flur wie ich wohnte, wollte sich mal Geld verdienen, indem er Zettel aushängte, auf denen er Nachhilfe als Prüfungsvorbereitung anbot. Irgendwann kam ein Anruf für ihn auf dem Flurtelefon (wir hatten damals alle zusammen nur eines) und wir sahen aus der KÜche her, wie der erst verständnislos und dann auf einmal ganz fassungslos guckte und das Gespräch abbrach. Der war völlig fertig, weil er sich erst wunderte, weil der Anrufer ihn fragte, wie er so aussieht. Er hatte nicht verstanden, was das soll, aber sich beschrieben. Und dann kam die Frage, ob er sich gegen Geld mit dem Studentenausweis des Anrufers in die Prüfung setzt und für ihn die Prüfung schreibt. Dann hat er alle Zettel wieder eingesammelt.
Wie viel Geld macht ihr damit?
Hans: Wir machen das erst seit letztem Semester. Unsere Pauschale ist 100 Euro pro Stunde.
Jürgen: Ich habe mit 20 Klausuren etwa 4.000 bis 6.000 Euro verdient.
Welche Klausuren bringen am meisten Geld?
Jürgen: Wir machen oft Hausaufgaben für Leute, die an einer Hochschulen studieren. Die sind meistens sehr leicht.
Hans: Da kann man beim Frühstück in einer Stunde 300 Euro machen. Universitäten sind viel aufwändiger.
Wer beauftragt euch denn am häufigsten?
Hans: Leute aus Wirtschaftsstudiengängen. BWL, VWL und so weiter. Statistik für Wirtschaft, Stochastik für Wirtschaft, Mikro- und Makroökonomie. Für die scheint die Welt einfach käuflich zu sein.
Alles nur noch ein Witz.
Das heißt, Leute, die es sich leisten können, können sich ihr Studium jetzt easy kaufen.
Hans: Klar. Nur Leute, die das Geld haben, können das machen.
Jürgen: Und die studieren besonders oft Wirtschaft. Aber das Problem ist ja noch größer.
Inwiefern?
Jürgen: Das alles ist unfair gegenüber denen, die vor zwei Jahren die gleichen Klausuren geschrieben haben. Ich musste mich damals noch voll reinhängen.
Hans: Außerdem werden Arbeitgeber in zwei oder drei Jahren lauter Leute vor sich haben, die nichts können.
Das muss doch auch für die Unis ein Problem sein. Kriegen die das nicht mit?
Jürgen: Doch. An meiner Uni hatte die letzte Mathe-Klausur einen Schnitt von eins Komma irgendwas. In den Jahren davor lag der bei drei Komma irgendwas – ist also zwei ganze Noten gestiegen. Die Veranstalter lachen darüber, aber ich glaube, da ist jedem klar, was eigentlich passiert.
Aber sie machen trotzdem nichts.
Jürgen: Eine westdeutsche Uni hat vor einer Klausur mal ein Informationsblatt ausgeteilt. Darin ging es auch um Ghostwriting. Dass die Uni wisse, dass es die Angebote gibt, dass sie das nicht toleriere und dass man sich als Studi strafbar mache, wenn man das macht. Aber das dient nur der Abschreckung.
Nun sind die Arbeitgeber aber auch nicht blöd, jedenfalls nicht alle. Die merken das schon, wenn da nur Idioten kommen. Und irgendwann ist der Studienabschluss eben gar nichts mehr wert.
Ich hatte mich damals während meines Promotionskrachs 2003 bei einem großen deutschen Konzern beworben, der in Software macht, und gleich beide Bewerbungsgespräche auf einmal mit mir machte und schon den gut dotierten Vertrag auf den Tisch legten, als die Frage aufkam, warum ich 4 Jahre an der Uni Mitarbeiter war und nicht promoviert bin. Ich habe es erzählt und beteuert, dass meine Dissertation nicht falsch ist. Darauf sagten sie mir, das mit der Promotion sei ihnen egal, das wüssten sie längst auch, dass das nur noch willkürlicher Blödsinn ist. Doktorgrade seien bei ihnen schon lange gar nichts mehr wert. Und dass das bei mir geplatzt ist, sei ihnen auch egal, sie wüssten, dass Professoren korrupte Idioten sind. Sie könnten mir den Job jetzt aber doch nicht geben, weil ich bei der Korruption nicht mitgespielt hätte. Der Job sei ganz oben, direkt unter dem Konzernvorstand. Und jemanden, der gegen Korruption ist, würden sie nicht in die Nähe des Vorstands lassen.
Aber die Abschlüsse sind jedenfalls in der IT schon sehr im Wert gesunken. Zu oft hat man Leute, die auf dem Papier tolle Abschlüsse haben und dann im Vorstellungsgespräch an den einfachen Fragen scheitern.
Das Misstrauen ist gewachsen.
Ich habe in den letzten Jahren öfters davon gehört, sogar aus der Firma, in der ich war, dass die in den Bewerbungsgesprächen – online – etwas machen, was ich von früher nicht kannte: Die geben denen Programmieraufgaben, die sie im Vorstellungsgespräch lösen müssen. Einfache Aufgaben, nicht schwer, straightforward. Einfach um zu sehen, ob derjenige, der sich auf eine Programmiererstelle bewirbt, überhaupt programmieren kann. Nicht genial oder extraordinär, sondern ob überhaupt.
Gut möglich, dass die Pandemie der Anfang vom Ende ist, und wir hier dann eine Entwicklung wie in den USA bekommen: Den ganzen Lebenslauf- und Zeugnismist kann man sich sparen. Man kommt, wird in ein Assessment Center gesteckt, das live prüft, was man kann, und dann entschieden, ob und wofür man eingestellt wird.
Interessant wäre es natürlich, die Zeugnisnoten trotzdem zu erfassen, um herauszufinden, ob und wie Zeugnis und Assessment übereinstimmen, welche Universitäten also Witzzeugnisse ausstellen. Vielleicht getrennt nach Geschlechtern.
Bin mal gespannt, ob das mit dem Artikel so stimmt und ob (und in welchen Fächern) nach der Pandemie gehäuft Fake-Abschlüsse auftauchen.