Ansichten eines Informatikers

Der Zweck heiligt nicht die Mittel

Hadmut
4.3.2022 16:19

Eine Anmerkung.

Mir schreiben seit Tagen eine ganze Menge von Lesern – in sehr unterschiedlichem Tonfall – dass ich keine Ahnung von der Ukraine hätte.

In dem Punkt haben sie völlig recht. Ich habe von der Ukraine wirklich keine Ahnung. Ich war dort noch nie, habe mich damit – außer Tschernobyl – nie beschäftigt, kann die Sprache nicht, kenne die Kultur nicht. Und kenne die Hintergründe dieses Krieges, so es welche in der Ukraine gibt, nicht.

Ich wundere mich nur, was für Erwartungshaltungen an mich gestellt werden: Als es um das Klima ging, erwarteten viele von mir, dass ich alles stehen und liegen lasse, und meine gesamte Zeit dafür aufwende, zum Klimaexperten zu werden, um „dagegen“ zu sein. Mich mal eben „einlese“ oder „einarbeite“, um es besser zu wissen als die, die es seit Jahren studieren und beruflich machen. Noch bevor ich überhaupt eine Chance gehabt hätte, das auch nur anzufangen (wenn ich denn gewollt hätte), kamen Leute aus derselben Ecke, teils sogar dieselben, und verlangten, ich solle doch sofort Virenexperte sein oder werden, erneut um fundiert „dagegen“ zu sein. Sowas dauert nicht nur Jahre, sondern nimmt die gesamte Zeit ein. Woher ich die Zeit und das Geld dafür nehmen soll, und wozu ich das überhaupt machen soll, weil das Blog bis dahin ja wegen Vernachlässigung längst tot wäre, und wie man das in zwei Jahren überhaupt schaffen soll, sagt man nicht.

Nun wird mir vorgeworfen, dass ich kein Ukraine-Experte bin. So aus dem Home-Office heraus. Erinnert mich irgendwie daran, dass man ja auch immer gerne vom Sofa vor dem Fernseher mehr Ahnung von Fußball hat als der Bundestrainer.

Viele Leute erzählen mir, dass die Ukrainer seit Jahren die Republiken Luhansk und Donezk bombardierten und massakrierten, und man die ja nun endlich befreien wolle. Dann heißt es, die Ukraine sei längst von der NATO und den Amerikanern unterwandert. Die da nicht nur aufrüsten und amerikanische Raketenbasen bauen, sondern geheime Bio- und Chemielabors betreiben. Und dem Klitschko gehören große Kohlefelder in den abtrünnigen Gebieten, die er einfach nicht hergeben will.

Ähm … ja. Kann sein. Kann ich nicht bestreiten oder für unwahr halten, weil mir die Wissensbasis dazu fehlt.

Aber erstens erscheint mir vieles daran nicht plausibel, zweitens scheinen mir der Krieg und die Kriegführung überhaupt nicht dazu zu passen, und drittens ist kein Zweck dabei, der diese Mittel heiligt. Selbst wenn man unterstellt, dass das alles wahr ist, würde daraus nicht folgen, dass man diesen Krieg zu akzeptieren hätte.

Wenn das wahr wäre, dann müsste sich der Krieg auf diese Gebiete beschränken, die man „befreien“ will. Warum man dann Kiew angreift, müsste man erst erklären. Die Sache hinkt vor allem an einer Stelle: Wenn man unterstellt, dass die Ukraine längst von bösen Amerikanern unterwandert und aufgerüstet wäre, hätte man nicht mit einer so schlecht vorbereiteten Armee angegriffen. Die Frage kam ja schon auf, warum man auf den Militärparaden die tollsten, modernsten, unbesiegbarasten Waffen und Wunderpanzer sieht, und sie da dann mit 70er-Jahre-Ausrüstung antreten. Das würde dazu passen, dass man dachte, man könnte da leicht einspazieren und bekäme von der Bevölkerung ein paar Willkommensblumen an den Panzer gesteckt. Es würde aber überhaupt nicht dazu passen, dass man annimmt, da auf die Amerikaner zu treffen.

Es gingen inzwischen Berichte und Fotos rum, dass die Russen mit ihren Karren im Schlamm stecken bleiben, und dass man billigeste asiatische Amateurfunkgeräte in den Fahrzeugen gefunden hat, die aussehen, wie vor Jahren bei Amazon bestellt – und vor allem englisch statt russisch beschriftet. Und Camping-Ausrüstung aus dem Freizeitbedarf. Das könnte man alles für Fake News halten, aber es wird von Amateurfunkern der Nachbarstaaten bestätigt, dass man den Funkverkehr der Russen voll mithören könne, weil analog und unverschlüsselt. Dazu Essenspackungen mit Ablaufdatum 2015 und Gefangene, die sagen, dass sie dachten, sie wären im Manöver. Kann alles Fake sein, aber bisher unwiderlegt und in vielen zusammenpassenden Meldungen, und in der Sache mit den Funkgeräten eben von Funkamateuren aus Nachbarstaaten bestätigt. Gibt angeblich sogar Aufnahme, wie die sich per Funk gegenseitig beschimpfen. Das passt alles überhaupt nicht zu der Annahme, dass die eine Gefährdung durch die NATO und/oder die Amerikaner sähen, die da schon heimlich eingewandert sind. Es sei denn, man schickt erst die Deppenarmee vor, um die Amerikaner aufzuscheuchen, um dann erst die Superpanzer einzusetzen. Es gibt nur keine Hinweise darauf, dass sie irgendwo in der Nähe auch ihre Superpanzer hätten. Kann zwar sein, ich lasse mich auch gerne überzeugen, aber bisher gibt es keine Information, die darauf hindeutet.

Bisher deutet das darauf hin, dass die Russen die Sache völlig unterschätzt und vor allem unzureichend ausgekundschaftet haben. Und das hätten sie garantiert nicht, wenn sie damit gerechnet hätten, sich mit den Amerikanern oder der NATO anzulegen. Die dachten, es reicht, die Panzer zu zeigen und denen ein paar aufs Maul zu hauen und fertig. Das war eher so als Show-Event angelegt. Und sowas macht man eben nicht, weil einem eben klar sein muss, dass das eskalieren kann und wird.

Selbst dann, wenn man aber annimmt, dass die Russen einen triftigen Grund hatten, hätten sie sich nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Russland völlig anders verhalten müssen. Es gibt inzwischen – glaubwürdige – Berichte, wonach man in Russland gerade die totale Zensur mit hohen Strafen durchsetzt, Sender abdreht, Journalisten bestraft, und vor allem: Die Öffentlichkeit anlügt. Es scheint so zu sein, dass man den Russen erzählt, es ginge nur um eine „Spezialoperation“ – Krieg darf man nicht sagen – zur Befreiung von Donezk und Luhansk oder der Region Donbass, weil Freiheit für Russen. Als ob das, was die Russen in Russland gerade machen, Freiheit wäre. Genausogut könnte man sagen, dass China Hongkong von den Briten befreit habe.

Mir ist auch nicht klar, worauf die Information beruhe, dass die Ukraine seit 2014 Donezk und Luhansk piesacke und massakriere. Davon hätte man gehört. Die Leute schreiben mir, es sei ja klar, dass ich davon nichts wüsste, weil unsere Medien davon nicht berichteten. Ich halte unsere Medien zwar für den letzten Schrott und sehr unglaubwürdig, aber es ist jetzt auch nicht so, dass etwas schon deshalb wahr würde, weil sie davon nicht berichteten. Es sind gestern auch keine Außerirdischen in Berlin gelandet, obwohl ARD und ZDF davon nichts berichtet haben. Wir leben im Zeitalter von Smartphones, Social Media und Youtube. Wenn die da so massakriert würden, müsste es ja irgendwelche Handyvideos, Fotos, Berichte oder sowas geben. Wenn in China ein Sack Reis umfällt, gibt es 400 Stunden Video darüber.

Vor allem aber hat mir auch jemand erklärt, dass es bereits Fake News sei, von den „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk zu sprechen. Von den Einwohnerzahlen entsprechen die gerade mal Städten, und nur, weil irgendein korruptes Regime sich als „Republik“ ausruft, sind es noch lange keine. Ich habe Zuschriften, wonach die überhaupt nichts mit eigenständigen Struktur zu tun hätten, nicht entfernt eine „Republik“ seien, sondern einfach nur kriminelle Gebiete, in der jeweils eine Mafia das Sagen hat. Als ob hier im Ruhrgebiet die Islamisten- und Clanmafia eine Republik ausrufen und sich für unabhängig erklären würde.

Wenn das alles so wäre, dann könnten die Russen eine vernünftige Dokumentation darüber vorlegen und das erkären. Wenn die Russen vernünftige Gründe für diesen Krieg hätten, könnten, wollten, würden und müssten sie sich auch darlegen.

Es ist aber doch völlig absurd anzunehmen, dass es triftige Gründe für diesen Krieg gibt, die Russen aber trotz ihrer Propagandaversuche selbst nicht in der Lage sind, diese greifbar und nachvollziehbar zu erklären, stattdessen lügen und zensieren, während hier dann irgendwelche Home-Office-Besserwisser dann den Krieg erklären.

  • Der von den Leuten beschriebene Zweck rechtfertigt selbst dann nicht die Mittel, wenn das alles so stimmen würde.
  • Wenn es eine Rechtfertigung für diesen Krieg gäbe, dann würde sie von der Propaganda-Maschine der Russen publiziert und nicht von deutschen Privatleuten einem Blogger vorgehalten. Warum sollten die Russen vertretbare Gründe haben und sie dann trotzdem nicht nennen, sondern lieber weltweite Ächtung und Sanktionen in Kauf nehmen?
  • Selbst dann, wenn die Russen einen guten Grund und eine gute Rechtfertigung für den Krieg hätten, wäre die als Rechtfertigung nur dann wirksam geworden, wenn sie sie auch dargelegt und erklärt hätten. Haben sie aber nicht. Es reicht nicht, eine Rechtfertigung zu haben. Man muss sie äußern. Es ist nicht Aufgabe des Publikums, sich eine Rechtfertigung zusammenzumutmaßen nach dem Schema „Wird schon stimmen“ oder „Die Genossen werden sich schon etwas dabei gedacht haben“. Es wäre Aufgabe der Russen, die Begründung zu liefern, und das haben sie nicht nur nicht getan, sondern erbärmlich gelogen. Kurz vorher noch behautet, sie hätten keinen Einmarsch vor, würden abziehen.

    Es ist einfach kein Raum dafür, den Russen irgendwelche positiven Absichten zu unterstellen, die sie selbst nicht äußern und darlegen.

  • Und wenn man behauptet, dass die NATO oder die Amerikaner in der Ukraine drinsteckten und dort heimlich Waffenlabors und Raketen aufbauen oder die Ukraine die Russen massakriert hätten, dann müsste es dafür doch mal irgendwelche greifbaren Belege geben und nicht nur Behauptungen, die jetzt hochpoppen.

    Vor allem verstehe ich nicht, warum es dann nicht einfacher und vor allem viel billiger gewesen wäre, wenn die angeblich unterdrückte russische Bevölkerung nicht einfach nach Russland umgezogen ist. An den hässlichen, vergammelten Plattenbauten dort werden sie ja wohl kaum hängen.

  • Und der oft genannte Kriegsgrund, dass die Ukrainer die Russen nicht russisch sprechen ließen – sorry, aber ist wohl ein Witz und kein Kriegsgrund.

Ich tue mir sehr schwer damit, das alles so hinzunehmen, wie es mir geschrieben wird.

Das alles ergibt in meinen Augen und bei meinem Wissensstand nicht mal dann einen Sinn, wenn das alles stimmt. Ich neige eher dazu, das Verhalten der Russen dann, wenn es so wäre wie beschrieben, erst recht für verwerflich zu halten.